Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

bemerken. Ersterer suchte durch möglichste Steigerung der
Staatskräfte und der Regierungsmacht die Mittel zu einem
glücklichen Befreiungskampfe von fremder Uebermacht zu ge-
winnen, und hoffte nach Erreichung dieses nächsten Zieles auf
Erzielung von Freiheit und Recht im Innern. Bedeutender
durch die Gesinnung und den sittlichen Eifer als durch staats-
männische Ueberlegung gibt das Buch in einer Vergleichung
mit Macchiavelli's Schrift von Fürsten, welche einen ähnlichen
Zweck verfolgt, einen schlagenden Beweis von der Verschieden-
heit deutscher und welscher Volksthümlichkeit und von dem
Vorschreiten der Gesittigung seit dem Mittelalter. Dahlmann's
Bruchstück ist formlos und stofflich unzureichend, allein ein
höchst achtbares Ergebniß tiefer Forschung und ernsten Nach-
denkens. -- Geistreich und belehrend endlich ist des Deutsch-
amerikaners F. Lieber größere Arbeit (Political ethics), die
Anschauungen zweier Welttheile und europäische Gelehrsamkeit
mit amerikanischem Freiheitssinn vereinigend.

4. Umfassende Systeme.

Nur in der deutschen Literatur finden sich einige Werke,
welche sich die Aufgabe setzen, die Politik der verschiedenen
Staatsgattungen gleichmäßig zu bearbeiten; keines hat jedoch
die große Aufgabe vollständig gelöst. Vollgraff's "Systeme
der praktischen Politik im Abendlande" (4 Bde., 1828,) sind
bei weitem nicht vollendet; zeugen aber, soweit sie gehen, von
Verständniß der eigenthümlichen Aufgaben der verschiedenen
Staaten. -- K. S. Zachariä's "Vierzig Bücher vom Staate"
behandeln auch die Staatskunst in ihrem vollen Umfange. Die
betreffende Abtheilung des Werkes ist, wie das Ganze, voll
Geist und Gedanken, gelehrt und anregend; allein auch wun-
derlich abspringend und oft spielend, Auffallendes und Para-
doxes nicht selten der Wahrheit vorziehend.

bemerken. Erſterer ſuchte durch möglichſte Steigerung der
Staatskräfte und der Regierungsmacht die Mittel zu einem
glücklichen Befreiungskampfe von fremder Uebermacht zu ge-
winnen, und hoffte nach Erreichung dieſes nächſten Zieles auf
Erzielung von Freiheit und Recht im Innern. Bedeutender
durch die Geſinnung und den ſittlichen Eifer als durch ſtaats-
männiſche Ueberlegung gibt das Buch in einer Vergleichung
mit Macchiavelli’s Schrift von Fürſten, welche einen ähnlichen
Zweck verfolgt, einen ſchlagenden Beweis von der Verſchieden-
heit deutſcher und welſcher Volksthümlichkeit und von dem
Vorſchreiten der Geſittigung ſeit dem Mittelalter. Dahlmann’s
Bruchſtück iſt formlos und ſtofflich unzureichend, allein ein
höchſt achtbares Ergebniß tiefer Forſchung und ernſten Nach-
denkens. — Geiſtreich und belehrend endlich iſt des Deutſch-
amerikaners F. Lieber größere Arbeit (Political ethics), die
Anſchauungen zweier Welttheile und europäiſche Gelehrſamkeit
mit amerikaniſchem Freiheitsſinn vereinigend.

4. Umfaſſende Syſteme.

Nur in der deutſchen Literatur finden ſich einige Werke,
welche ſich die Aufgabe ſetzen, die Politik der verſchiedenen
Staatsgattungen gleichmäßig zu bearbeiten; keines hat jedoch
die große Aufgabe vollſtändig gelöſt. Vollgraff’s „Syſteme
der praktiſchen Politik im Abendlande“ (4 Bde., 1828,) ſind
bei weitem nicht vollendet; zeugen aber, ſoweit ſie gehen, von
Verſtändniß der eigenthümlichen Aufgaben der verſchiedenen
Staaten. — K. S. Zachariä’s „Vierzig Bücher vom Staate“
behandeln auch die Staatskunſt in ihrem vollen Umfange. Die
betreffende Abtheilung des Werkes iſt, wie das Ganze, voll
Geiſt und Gedanken, gelehrt und anregend; allein auch wun-
derlich abſpringend und oft ſpielend, Auffallendes und Para-
doxes nicht ſelten der Wahrheit vorziehend.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0572" n="558"/>
bemerken. Er&#x017F;terer &#x017F;uchte durch möglich&#x017F;te Steigerung der<lb/>
Staatskräfte und der Regierungsmacht die Mittel zu einem<lb/>
glücklichen Befreiungskampfe von fremder Uebermacht zu ge-<lb/>
winnen, und hoffte nach Erreichung die&#x017F;es näch&#x017F;ten Zieles auf<lb/>
Erzielung von Freiheit und Recht im Innern. Bedeutender<lb/>
durch die Ge&#x017F;innung und den &#x017F;ittlichen Eifer als durch &#x017F;taats-<lb/>
männi&#x017F;che Ueberlegung gibt das Buch in einer Vergleichung<lb/>
mit Macchiavelli&#x2019;s Schrift von Für&#x017F;ten, welche einen ähnlichen<lb/>
Zweck verfolgt, einen &#x017F;chlagenden Beweis von der Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit deut&#x017F;cher und wel&#x017F;cher Volksthümlichkeit und von dem<lb/>
Vor&#x017F;chreiten der Ge&#x017F;ittigung &#x017F;eit dem Mittelalter. Dahlmann&#x2019;s<lb/>
Bruch&#x017F;tück i&#x017F;t formlos und &#x017F;tofflich unzureichend, allein ein<lb/>
höch&#x017F;t achtbares Ergebniß tiefer For&#x017F;chung und ern&#x017F;ten Nach-<lb/>
denkens. &#x2014; Gei&#x017F;treich und belehrend endlich i&#x017F;t des Deut&#x017F;ch-<lb/>
amerikaners F. <hi rendition="#g">Lieber</hi> größere Arbeit (<hi rendition="#aq">Political ethics</hi>), die<lb/>
An&#x017F;chauungen zweier Welttheile und europäi&#x017F;che Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
mit amerikani&#x017F;chem Freiheits&#x017F;inn vereinigend.</p><lb/>
              <p>4. <hi rendition="#g">Umfa&#x017F;&#x017F;ende Sy&#x017F;teme</hi>.</p><lb/>
              <p>Nur in der deut&#x017F;chen Literatur finden &#x017F;ich einige Werke,<lb/>
welche &#x017F;ich die Aufgabe &#x017F;etzen, die Politik der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Staatsgattungen gleichmäßig zu bearbeiten; keines hat jedoch<lb/>
die große Aufgabe voll&#x017F;tändig gelö&#x017F;t. <hi rendition="#g">Vollgraff</hi>&#x2019;s &#x201E;Sy&#x017F;teme<lb/>
der prakti&#x017F;chen Politik im Abendlande&#x201C; (4 Bde., 1828,) &#x017F;ind<lb/>
bei weitem nicht vollendet; zeugen aber, &#x017F;oweit &#x017F;ie gehen, von<lb/>
Ver&#x017F;tändniß der eigenthümlichen Aufgaben der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Staaten. &#x2014; K. S. <hi rendition="#g">Zachariä</hi>&#x2019;s &#x201E;Vierzig Bücher vom Staate&#x201C;<lb/>
behandeln auch die Staatskun&#x017F;t in ihrem vollen Umfange. Die<lb/>
betreffende Abtheilung des Werkes i&#x017F;t, wie das Ganze, voll<lb/>
Gei&#x017F;t und Gedanken, gelehrt und anregend; allein auch wun-<lb/>
derlich ab&#x017F;pringend und oft &#x017F;pielend, Auffallendes und Para-<lb/>
doxes nicht &#x017F;elten der Wahrheit vorziehend.</p>
            </div><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[558/0572] bemerken. Erſterer ſuchte durch möglichſte Steigerung der Staatskräfte und der Regierungsmacht die Mittel zu einem glücklichen Befreiungskampfe von fremder Uebermacht zu ge- winnen, und hoffte nach Erreichung dieſes nächſten Zieles auf Erzielung von Freiheit und Recht im Innern. Bedeutender durch die Geſinnung und den ſittlichen Eifer als durch ſtaats- männiſche Ueberlegung gibt das Buch in einer Vergleichung mit Macchiavelli’s Schrift von Fürſten, welche einen ähnlichen Zweck verfolgt, einen ſchlagenden Beweis von der Verſchieden- heit deutſcher und welſcher Volksthümlichkeit und von dem Vorſchreiten der Geſittigung ſeit dem Mittelalter. Dahlmann’s Bruchſtück iſt formlos und ſtofflich unzureichend, allein ein höchſt achtbares Ergebniß tiefer Forſchung und ernſten Nach- denkens. — Geiſtreich und belehrend endlich iſt des Deutſch- amerikaners F. Lieber größere Arbeit (Political ethics), die Anſchauungen zweier Welttheile und europäiſche Gelehrſamkeit mit amerikaniſchem Freiheitsſinn vereinigend. 4. Umfaſſende Syſteme. Nur in der deutſchen Literatur finden ſich einige Werke, welche ſich die Aufgabe ſetzen, die Politik der verſchiedenen Staatsgattungen gleichmäßig zu bearbeiten; keines hat jedoch die große Aufgabe vollſtändig gelöſt. Vollgraff’s „Syſteme der praktiſchen Politik im Abendlande“ (4 Bde., 1828,) ſind bei weitem nicht vollendet; zeugen aber, ſoweit ſie gehen, von Verſtändniß der eigenthümlichen Aufgaben der verſchiedenen Staaten. — K. S. Zachariä’s „Vierzig Bücher vom Staate“ behandeln auch die Staatskunſt in ihrem vollen Umfange. Die betreffende Abtheilung des Werkes iſt, wie das Ganze, voll Geiſt und Gedanken, gelehrt und anregend; allein auch wun- derlich abſpringend und oft ſpielend, Auffallendes und Para- doxes nicht ſelten der Wahrheit vorziehend.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/572
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/572>, abgerufen am 24.11.2024.