zu erhalten gesucht, theils durch direkte Verbote des Besitzes gewisser Sachen oder der Ausübung gewisser Erwerbsarten, theils wenigstens durch indirekte Erschwerung oder Verhinderung von Gewerben. Als Gründe einer solchen freiwilligen Be- schränkung hinsichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens- zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und Verunsittlichung durch den Reichthum; die durch den Besitz entstehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern Spaltungen, zu Beherrschung durch die Reichen, oder zu neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der Anreiz fremder Habsucht zu Eroberungen und Ueberfällen. Diese Gründe sind denn nun aber doch höchstens in Volks- herrschaften so triftig, daß im Allgemeinen bescheidene und möglichst gleiche Vermögensverhältnisse verlangt werden kön- nen. In allen übrigen Staaten sind die Vortheile eines großen Besitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und es ist somit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung und Niederhaltung, sondern im Gegentheile auf Steigerung hinzuwirken.
1) Die Lehre von den verschiedenen Vermögenssystemen ist lange nicht mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert. Selbst in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthschaft ist das System des persönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be- ziehung auf Eigenthum als sich von selbst verstehend und stillschweigend vor- ausgesetzt. Nur von Zeit zu Zeit stört ein Staatsroman oder, dann freilich gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das bestehende System gerichteten Massenbewegung dieses Stillleben. So müssen denn die Angriffe auf die verschiedenen Systeme und deren Vertheidigung mit Mühe gesammelt werden; und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Besitzver- hältnisse in ihrem ganzen Umgange, das heißt sowohl mit Berücksichtigung der Geschichte als der Wissenschaft und im Hinblicke auf die verschiedenen Staats- arten, darstellte. Noch am meisten ist in den beiden letzten Jahrzehnten ge- schehen, seitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der Eigenthumsfrage besonders nahe legten. -- Es sind somit dreierlei Gattungen von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorerst die Schriften der Socia-
zu erhalten geſucht, theils durch direkte Verbote des Beſitzes gewiſſer Sachen oder der Ausübung gewiſſer Erwerbsarten, theils wenigſtens durch indirekte Erſchwerung oder Verhinderung von Gewerben. Als Gründe einer ſolchen freiwilligen Be- ſchränkung hinſichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens- zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und Verunſittlichung durch den Reichthum; die durch den Beſitz entſtehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern Spaltungen, zu Beherrſchung durch die Reichen, oder zu neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der Anreiz fremder Habſucht zu Eroberungen und Ueberfällen. Dieſe Gründe ſind denn nun aber doch höchſtens in Volks- herrſchaften ſo triftig, daß im Allgemeinen beſcheidene und möglichſt gleiche Vermögensverhältniſſe verlangt werden kön- nen. In allen übrigen Staaten ſind die Vortheile eines großen Beſitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und es iſt ſomit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung und Niederhaltung, ſondern im Gegentheile auf Steigerung hinzuwirken.
1) Die Lehre von den verſchiedenen Vermögensſyſtemen iſt lange nicht mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert. Selbſt in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthſchaft iſt das Syſtem des perſönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be- ziehung auf Eigenthum als ſich von ſelbſt verſtehend und ſtillſchweigend vor- ausgeſetzt. Nur von Zeit zu Zeit ſtört ein Staatsroman oder, dann freilich gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das beſtehende Syſtem gerichteten Maſſenbewegung dieſes Stillleben. So müſſen denn die Angriffe auf die verſchiedenen Syſteme und deren Vertheidigung mit Mühe geſammelt werden; und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Beſitzver- hältniſſe in ihrem ganzen Umgange, das heißt ſowohl mit Berückſichtigung der Geſchichte als der Wiſſenſchaft und im Hinblicke auf die verſchiedenen Staats- arten, darſtellte. Noch am meiſten iſt in den beiden letzten Jahrzehnten ge- ſchehen, ſeitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der Eigenthumsfrage beſonders nahe legten. — Es ſind ſomit dreierlei Gattungen von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorerſt die Schriften der Socia-
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zu erhalten geſucht, theils durch direkte Verbote des Beſitzes
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theils wenigſtens durch indirekte Erſchwerung oder Verhinderung
von Gewerben. Als Gründe einer ſolchen freiwilligen Be-
ſchränkung hinſichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens-
zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und
Verunſittlichung durch den Reichthum; die durch den Beſitz
entſtehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern
Spaltungen, zu Beherrſchung durch die Reichen, oder zu
neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der
Anreiz fremder Habſucht zu Eroberungen und Ueberfällen.
Dieſe Gründe ſind denn nun aber doch höchſtens in Volks-
herrſchaften ſo triftig, daß im Allgemeinen beſcheidene und
möglichſt gleiche Vermögensverhältniſſe verlangt werden kön-
nen. In allen übrigen Staaten ſind die Vortheile eines
großen Beſitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und
es iſt ſomit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung
und Niederhaltung, ſondern im Gegentheile auf Steigerung
hinzuwirken.
¹⁾ Die Lehre von den verſchiedenen Vermögensſyſtemen iſt lange nicht
mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert.
Selbſt in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthſchaft iſt das
Syſtem des perſönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be-
ziehung auf Eigenthum als ſich von ſelbſt verſtehend und ſtillſchweigend vor-
ausgeſetzt. Nur von Zeit zu Zeit ſtört ein Staatsroman oder, dann freilich
gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das beſtehende Syſtem gerichteten
Maſſenbewegung dieſes Stillleben. So müſſen denn die Angriffe auf die
verſchiedenen Syſteme und deren Vertheidigung mit Mühe geſammelt werden;
und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Beſitzver-
hältniſſe in ihrem ganzen Umgange, das heißt ſowohl mit Berückſichtigung der
Geſchichte als der Wiſſenſchaft und im Hinblicke auf die verſchiedenen Staats-
arten, darſtellte. Noch am meiſten iſt in den beiden letzten Jahrzehnten ge-
ſchehen, ſeitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der
Eigenthumsfrage beſonders nahe legten. — Es ſind ſomit dreierlei Gattungen
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/608>, abgerufen am 24.11.2024.
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