Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

halten. In der Hauptsache wird dies durch Vermögensbestim-
mung zu erreichen sein; allein es mag auch noch durch andere
Mittel nachgeholfen werden, wie z. B. durch Ausschließung
der im Auslande Geborenen, sämmtlicher wegen schwerer Ver-
gehen bereits Verurtheilter, oder Solcher, welche der Gesammt-
heit die allgemeinen Dienstleistungen verweigert haben.

Weit geringere Zweifel walten ob hinsichtlich der Frage,
ob bei Einzelnregierungen Erbrecht oder Wahl die richtige
Berufungsart sei? Trotz mannchfacher unläugbarer Unzuträg-
lichkeiten ist der erblichen Besetzung unbedingt der Vorzug zu
geben. Allerdings ist man bei derselben allen Zufälligkeiten
der natürlichen Anlagen bloßgegeben; auch hat wohl die Aus-
sicht auf den künftigen Anfall der Regierung und das Ver-
derbniß durch eine selbstsüchtige und niedrig gesinnte Umgebung
des künftigen Thronerben durchschnittlich größere Nachtheile zur
Folge, als das Vorhandensein der reichlichsten Bildungsmittel
und das frühe Hineinleben in die Ausnahmsstellung Vortheile
verspricht. Allein wenn die Geschichte in irgend einem Punkte
übereinstimmende Lehren gibt, so ist dies hinsichtlich der Ver-
derblichkeit eines Wahlreiches. Alle Staaten, welche diese
Regierungsform hatten, sind gerade an ihr zu Grunde gegangen.
Und es ist dies auch leicht begreiflich. Vor Allem bietet eine
Wahl schon an sich keine viel größere Wahrscheinlichkeit der
Uebertragung an eine vollkommen taugliche Persönlichkeit dar,
als der Zufall der Geburt, weil weitaus in der Regel nicht
die Tugenden des Gewählten, sondern ganz andere Umstände die
Ernennung bestimmen werden. Hierzu kommen aber noch als
positive weitere Nachtheile: die allmälige Schwächung der noth-
wendigen Regierungsgewalt durch Wahlkapitulationen; die
Gefahr und Unordnung häufiger Interregnen; die Möglichkeit
bestrittener Wahlen und daraus hervorgehende Bürgerkriege,
Zerreißung des Staates, Einmischung Fremder; das immer

halten. In der Hauptſache wird dies durch Vermögensbeſtim-
mung zu erreichen ſein; allein es mag auch noch durch andere
Mittel nachgeholfen werden, wie z. B. durch Ausſchließung
der im Auslande Geborenen, ſämmtlicher wegen ſchwerer Ver-
gehen bereits Verurtheilter, oder Solcher, welche der Geſammt-
heit die allgemeinen Dienſtleiſtungen verweigert haben.

Weit geringere Zweifel walten ob hinſichtlich der Frage,
ob bei Einzelnregierungen Erbrecht oder Wahl die richtige
Berufungsart ſei? Trotz mannchfacher unläugbarer Unzuträg-
lichkeiten iſt der erblichen Beſetzung unbedingt der Vorzug zu
geben. Allerdings iſt man bei derſelben allen Zufälligkeiten
der natürlichen Anlagen bloßgegeben; auch hat wohl die Aus-
ſicht auf den künftigen Anfall der Regierung und das Ver-
derbniß durch eine ſelbſtſüchtige und niedrig geſinnte Umgebung
des künftigen Thronerben durchſchnittlich größere Nachtheile zur
Folge, als das Vorhandenſein der reichlichſten Bildungsmittel
und das frühe Hineinleben in die Ausnahmsſtellung Vortheile
verſpricht. Allein wenn die Geſchichte in irgend einem Punkte
übereinſtimmende Lehren gibt, ſo iſt dies hinſichtlich der Ver-
derblichkeit eines Wahlreiches. Alle Staaten, welche dieſe
Regierungsform hatten, ſind gerade an ihr zu Grunde gegangen.
Und es iſt dies auch leicht begreiflich. Vor Allem bietet eine
Wahl ſchon an ſich keine viel größere Wahrſcheinlichkeit der
Uebertragung an eine vollkommen taugliche Perſönlichkeit dar,
als der Zufall der Geburt, weil weitaus in der Regel nicht
die Tugenden des Gewählten, ſondern ganz andere Umſtände die
Ernennung beſtimmen werden. Hierzu kommen aber noch als
poſitive weitere Nachtheile: die allmälige Schwächung der noth-
wendigen Regierungsgewalt durch Wahlkapitulationen; die
Gefahr und Unordnung häufiger Interregnen; die Möglichkeit
beſtrittener Wahlen und daraus hervorgehende Bürgerkriege,
Zerreißung des Staates, Einmiſchung Fremder; das immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0632" n="618"/>
halten. In der Haupt&#x017F;ache wird dies durch Vermögensbe&#x017F;tim-<lb/>
mung zu erreichen &#x017F;ein; allein es mag auch noch durch andere<lb/>
Mittel nachgeholfen werden, wie z. B. durch Aus&#x017F;chließung<lb/>
der im Auslande Geborenen, &#x017F;ämmtlicher wegen &#x017F;chwerer Ver-<lb/>
gehen bereits Verurtheilter, oder Solcher, welche der Ge&#x017F;ammt-<lb/>
heit die allgemeinen Dien&#x017F;tlei&#x017F;tungen verweigert haben.</p><lb/>
                  <p>Weit geringere Zweifel walten ob hin&#x017F;ichtlich der Frage,<lb/>
ob bei Einzelnregierungen <hi rendition="#g">Erbrecht</hi> oder <hi rendition="#g">Wahl</hi> die richtige<lb/>
Berufungsart &#x017F;ei? Trotz mannchfacher unläugbarer Unzuträg-<lb/>
lichkeiten i&#x017F;t der erblichen Be&#x017F;etzung unbedingt der Vorzug zu<lb/>
geben. Allerdings i&#x017F;t man bei der&#x017F;elben allen Zufälligkeiten<lb/>
der natürlichen Anlagen bloßgegeben; auch hat wohl die Aus-<lb/>
&#x017F;icht auf den künftigen Anfall der Regierung und das Ver-<lb/>
derbniß durch eine &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;üchtige und niedrig ge&#x017F;innte Umgebung<lb/>
des künftigen Thronerben durch&#x017F;chnittlich größere Nachtheile zur<lb/>
Folge, als das Vorhanden&#x017F;ein der reichlich&#x017F;ten Bildungsmittel<lb/>
und das frühe Hineinleben in die Ausnahms&#x017F;tellung Vortheile<lb/>
ver&#x017F;pricht. Allein wenn die Ge&#x017F;chichte in irgend einem Punkte<lb/>
überein&#x017F;timmende Lehren gibt, &#x017F;o i&#x017F;t dies hin&#x017F;ichtlich der Ver-<lb/>
derblichkeit eines Wahlreiches. Alle Staaten, welche die&#x017F;e<lb/>
Regierungsform hatten, &#x017F;ind gerade an ihr zu Grunde gegangen.<lb/>
Und es i&#x017F;t dies auch leicht begreiflich. Vor Allem bietet eine<lb/>
Wahl &#x017F;chon an &#x017F;ich keine viel größere Wahr&#x017F;cheinlichkeit der<lb/>
Uebertragung an eine vollkommen taugliche Per&#x017F;önlichkeit dar,<lb/>
als der Zufall der Geburt, weil weitaus in der Regel nicht<lb/>
die Tugenden des Gewählten, &#x017F;ondern ganz andere Um&#x017F;tände die<lb/>
Ernennung be&#x017F;timmen werden. Hierzu kommen aber noch als<lb/>
po&#x017F;itive weitere Nachtheile: die allmälige Schwächung der noth-<lb/>
wendigen Regierungsgewalt durch Wahlkapitulationen; die<lb/>
Gefahr und Unordnung häufiger Interregnen; die Möglichkeit<lb/>
be&#x017F;trittener Wahlen und daraus hervorgehende Bürgerkriege,<lb/>
Zerreißung des Staates, Einmi&#x017F;chung Fremder; das immer<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[618/0632] halten. In der Hauptſache wird dies durch Vermögensbeſtim- mung zu erreichen ſein; allein es mag auch noch durch andere Mittel nachgeholfen werden, wie z. B. durch Ausſchließung der im Auslande Geborenen, ſämmtlicher wegen ſchwerer Ver- gehen bereits Verurtheilter, oder Solcher, welche der Geſammt- heit die allgemeinen Dienſtleiſtungen verweigert haben. Weit geringere Zweifel walten ob hinſichtlich der Frage, ob bei Einzelnregierungen Erbrecht oder Wahl die richtige Berufungsart ſei? Trotz mannchfacher unläugbarer Unzuträg- lichkeiten iſt der erblichen Beſetzung unbedingt der Vorzug zu geben. Allerdings iſt man bei derſelben allen Zufälligkeiten der natürlichen Anlagen bloßgegeben; auch hat wohl die Aus- ſicht auf den künftigen Anfall der Regierung und das Ver- derbniß durch eine ſelbſtſüchtige und niedrig geſinnte Umgebung des künftigen Thronerben durchſchnittlich größere Nachtheile zur Folge, als das Vorhandenſein der reichlichſten Bildungsmittel und das frühe Hineinleben in die Ausnahmsſtellung Vortheile verſpricht. Allein wenn die Geſchichte in irgend einem Punkte übereinſtimmende Lehren gibt, ſo iſt dies hinſichtlich der Ver- derblichkeit eines Wahlreiches. Alle Staaten, welche dieſe Regierungsform hatten, ſind gerade an ihr zu Grunde gegangen. Und es iſt dies auch leicht begreiflich. Vor Allem bietet eine Wahl ſchon an ſich keine viel größere Wahrſcheinlichkeit der Uebertragung an eine vollkommen taugliche Perſönlichkeit dar, als der Zufall der Geburt, weil weitaus in der Regel nicht die Tugenden des Gewählten, ſondern ganz andere Umſtände die Ernennung beſtimmen werden. Hierzu kommen aber noch als poſitive weitere Nachtheile: die allmälige Schwächung der noth- wendigen Regierungsgewalt durch Wahlkapitulationen; die Gefahr und Unordnung häufiger Interregnen; die Möglichkeit beſtrittener Wahlen und daraus hervorgehende Bürgerkriege, Zerreißung des Staates, Einmiſchung Fremder; das immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/632
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/632>, abgerufen am 24.11.2024.