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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Seite der internationalen Verhältnisse; und so wie schon das Völkerrecht
das Recht des Krieges und blutigen Zwanges unendlich vollständiger aus-
gebildet hat als das Recht des friedlichen Verkehres, so hat sich auch die
wissenschaftliche Politik nur der gewaltthätigen oder listigen Seite des Staaten-
verkehres zugewendet. Hier hat unläugbar die Wissenschaft noch eine schwere
Schuld zu bezahlen. Ein Nutzen für das Leben wird aber hier um so
leichter zu erreichen sein, als in der That die Uebung der Lehre vor-
aus ist. Es ist allerdings nicht daran zu denken, daß die Staaten wirklich
schon alle und jede Forderung erfüllen, welche hinsichtlich der internationalen
Nutzensförderung gestellt werden können; allein im Ganzen muß ihnen das
Zeugniß gegeben werden, daß sie hier thätiger sind als die Theorie. Nicht
sowohl den Systemen, sondern weit mehr den Vertragssammlungen sind
Grundsätze und Gegenstände zu entnehmen.
2) Ein Beispiel gemeinschaftlich zu Stande gebrachter Gesetzgebung ist
die deutsche Wechselordnung; und ein zweites noch weit bedeutenderes wird
die, hoffentlich gelingende, Verabredung eines gemeinschaftlichen deutschen
Handelsgesetzbuches sein. Wie nothwendig aber in solchem Falle ein weiterer
Vertrag über ebenfalls gemeinsame Aufrechterhaltung und Fortbildung ist,
beweist schon jetzt das Wechselgesetz, und würde unzweifelhaft in noch weit
höherem Maaße des Handelsgesetzbuch zeigen. Die Ausführung hat ihre
Schwierigkeiten; allein wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen.
3) Gemeinschaftliche Gerichte sind nicht selten. In Deutschland schreibt
sie die Bundesacte den kleineren Staaten geradezu vor; außerdem bestehen
die gemischten Gerichte zur Entscheidung über Anklagen wegen Sklaven-
handels u. s. w.
4) Der ganze gegenwärtige Zustand des internationalen Privatrechtes
(mit Einschluß der strafrechtlichen Fragen) beweist die Nothwendigkeit be-
stimmter und ausgedehnter Verabredungen. Da die Lehre über diese schwie-
rigen Gegenstände durchaus nicht feststeht, vielmehr die Ansichten auf das
Bunteste gemischt sind und in den entgegengesetztesten Richtungen aus
einander laufen, so ist es kein Wunder, daß auch die Uebung der ver-
schiedenen Staaten sehr verschieden ist, und daß dieselbe Rechtsfrage von
Land zu Land auf die abweichendste Weise behandelt wird. Daher dann
große Rechtsunsicherheit für die Einzelnen und Veranlassung zu unzähligen
Verwickelungen unter den Regierungen; aber auch die Unmöglichkeit, anders
als durch Verträge unter den Staatsgewalten zu helfen.
5) Ein höchst erfreuliches Beispiel dieser Art ist die Gesammtuniversität
Jena.
6) Ein, freilich die Probe nicht bestehender, Vorgang dieser Art war
die Verabredung der die oberrheinischen Kirchenprovinz bildenden deutschen
Seite der internationalen Verhältniſſe; und ſo wie ſchon das Völkerrecht
das Recht des Krieges und blutigen Zwanges unendlich vollſtändiger aus-
gebildet hat als das Recht des friedlichen Verkehres, ſo hat ſich auch die
wiſſenſchaftliche Politik nur der gewaltthätigen oder liſtigen Seite des Staaten-
verkehres zugewendet. Hier hat unläugbar die Wiſſenſchaft noch eine ſchwere
Schuld zu bezahlen. Ein Nutzen für das Leben wird aber hier um ſo
leichter zu erreichen ſein, als in der That die Uebung der Lehre vor-
aus iſt. Es iſt allerdings nicht daran zu denken, daß die Staaten wirklich
ſchon alle und jede Forderung erfüllen, welche hinſichtlich der internationalen
Nutzensförderung geſtellt werden können; allein im Ganzen muß ihnen das
Zeugniß gegeben werden, daß ſie hier thätiger ſind als die Theorie. Nicht
ſowohl den Syſtemen, ſondern weit mehr den Vertragsſammlungen ſind
Grundſätze und Gegenſtände zu entnehmen.
2) Ein Beiſpiel gemeinſchaftlich zu Stande gebrachter Geſetzgebung iſt
die deutſche Wechſelordnung; und ein zweites noch weit bedeutenderes wird
die, hoffentlich gelingende, Verabredung eines gemeinſchaftlichen deutſchen
Handelsgeſetzbuches ſein. Wie nothwendig aber in ſolchem Falle ein weiterer
Vertrag über ebenfalls gemeinſame Aufrechterhaltung und Fortbildung iſt,
beweiſt ſchon jetzt das Wechſelgeſetz, und würde unzweifelhaft in noch weit
höherem Maaße des Handelsgeſetzbuch zeigen. Die Ausführung hat ihre
Schwierigkeiten; allein wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen.
3) Gemeinſchaftliche Gerichte ſind nicht ſelten. In Deutſchland ſchreibt
ſie die Bundesacte den kleineren Staaten geradezu vor; außerdem beſtehen
die gemiſchten Gerichte zur Entſcheidung über Anklagen wegen Sklaven-
handels u. ſ. w.
4) Der ganze gegenwärtige Zuſtand des internationalen Privatrechtes
(mit Einſchluß der ſtrafrechtlichen Fragen) beweiſt die Nothwendigkeit be-
ſtimmter und ausgedehnter Verabredungen. Da die Lehre über dieſe ſchwie-
rigen Gegenſtände durchaus nicht feſtſteht, vielmehr die Anſichten auf das
Bunteſte gemiſcht ſind und in den entgegengeſetzteſten Richtungen aus
einander laufen, ſo iſt es kein Wunder, daß auch die Uebung der ver-
ſchiedenen Staaten ſehr verſchieden iſt, und daß dieſelbe Rechtsfrage von
Land zu Land auf die abweichendſte Weiſe behandelt wird. Daher dann
große Rechtsunſicherheit für die Einzelnen und Veranlaſſung zu unzähligen
Verwickelungen unter den Regierungen; aber auch die Unmöglichkeit, anders
als durch Verträge unter den Staatsgewalten zu helfen.
5) Ein höchſt erfreuliches Beiſpiel dieſer Art iſt die Geſammtuniverſität
Jena.
6) Ein, freilich die Probe nicht beſtehender, Vorgang dieſer Art war
die Verabredung der die oberrheiniſchen Kirchenprovinz bildenden deutſchen
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[704/0718] ¹⁾ Seite der internationalen Verhältniſſe; und ſo wie ſchon das Völkerrecht das Recht des Krieges und blutigen Zwanges unendlich vollſtändiger aus- gebildet hat als das Recht des friedlichen Verkehres, ſo hat ſich auch die wiſſenſchaftliche Politik nur der gewaltthätigen oder liſtigen Seite des Staaten- verkehres zugewendet. Hier hat unläugbar die Wiſſenſchaft noch eine ſchwere Schuld zu bezahlen. Ein Nutzen für das Leben wird aber hier um ſo leichter zu erreichen ſein, als in der That die Uebung der Lehre vor- aus iſt. Es iſt allerdings nicht daran zu denken, daß die Staaten wirklich ſchon alle und jede Forderung erfüllen, welche hinſichtlich der internationalen Nutzensförderung geſtellt werden können; allein im Ganzen muß ihnen das Zeugniß gegeben werden, daß ſie hier thätiger ſind als die Theorie. Nicht ſowohl den Syſtemen, ſondern weit mehr den Vertragsſammlungen ſind Grundſätze und Gegenſtände zu entnehmen. ²⁾ Ein Beiſpiel gemeinſchaftlich zu Stande gebrachter Geſetzgebung iſt die deutſche Wechſelordnung; und ein zweites noch weit bedeutenderes wird die, hoffentlich gelingende, Verabredung eines gemeinſchaftlichen deutſchen Handelsgeſetzbuches ſein. Wie nothwendig aber in ſolchem Falle ein weiterer Vertrag über ebenfalls gemeinſame Aufrechterhaltung und Fortbildung iſt, beweiſt ſchon jetzt das Wechſelgeſetz, und würde unzweifelhaft in noch weit höherem Maaße des Handelsgeſetzbuch zeigen. Die Ausführung hat ihre Schwierigkeiten; allein wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen. ³⁾ Gemeinſchaftliche Gerichte ſind nicht ſelten. In Deutſchland ſchreibt ſie die Bundesacte den kleineren Staaten geradezu vor; außerdem beſtehen die gemiſchten Gerichte zur Entſcheidung über Anklagen wegen Sklaven- handels u. ſ. w. ⁴⁾ Der ganze gegenwärtige Zuſtand des internationalen Privatrechtes (mit Einſchluß der ſtrafrechtlichen Fragen) beweiſt die Nothwendigkeit be- ſtimmter und ausgedehnter Verabredungen. Da die Lehre über dieſe ſchwie- rigen Gegenſtände durchaus nicht feſtſteht, vielmehr die Anſichten auf das Bunteſte gemiſcht ſind und in den entgegengeſetzteſten Richtungen aus einander laufen, ſo iſt es kein Wunder, daß auch die Uebung der ver- ſchiedenen Staaten ſehr verſchieden iſt, und daß dieſelbe Rechtsfrage von Land zu Land auf die abweichendſte Weiſe behandelt wird. Daher dann große Rechtsunſicherheit für die Einzelnen und Veranlaſſung zu unzähligen Verwickelungen unter den Regierungen; aber auch die Unmöglichkeit, anders als durch Verträge unter den Staatsgewalten zu helfen. ⁵⁾ Ein höchſt erfreuliches Beiſpiel dieſer Art iſt die Geſammtuniverſität Jena. ⁶⁾ Ein, freilich die Probe nicht beſtehender, Vorgang dieſer Art war die Verabredung der die oberrheiniſchen Kirchenprovinz bildenden deutſchen

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/718>, abgerufen am 24.11.2024.