Aus der Entwickelung der verschiedenen menschlichen Le- benskreise (s. oben, § 1--7) hat sich die Bedeutung und der Zweck des Staates im Allgemeinen ergeben. Eine genaue Be- griffsbestimmung ist denn nun aber folgende:
Der Staat ist ein dauernder einheitlicher Organismus derjenigen Einrichtungen, welche, geleitet durch einen Gesammt- willen sowie aufrecht erhalten und durchgeführt durch eine Ge- sammtkraft, die Aufgabe haben, die erlaubten Lebenszwecke eines bestimmten und räumlich abgeschlossenen Volkes, und zwar vom Einzelnen bis zur Gesellschaft, zu fördern 1).
Erläuterung und Rechtfertigung dieser Auffassung des Staates ergiebt sich aus nachstehenden Bemerkungen.
Der Staat muß eine dauernde Einrichtung sein, weil Lebenszwecke bestehen und Schutz und Hülfe zur Er- reichung derselben nothwendig ist, so lange überhaupt Men- schen vorhanden sind. Das Bedürfniß einer staatlichen Ein- richtung ist also niemals ganz befriedigt, vielmehr erneuert sich dasselbe in jedem Augenblicke. Bloß vorübergehende Anstalten wären also durchaus ungenügend; und wenn je ein Staat auf- hört, so muß alsbald ein neuer an dessen Stelle treten, wenn
v. Mohl, Encyclopädie. 5
1. Allgemeine Staatslehre.
§ 11. 1. Begriff und Zweck des Staates.
Aus der Entwickelung der verſchiedenen menſchlichen Le- benskreiſe (ſ. oben, § 1—7) hat ſich die Bedeutung und der Zweck des Staates im Allgemeinen ergeben. Eine genaue Be- griffsbeſtimmung iſt denn nun aber folgende:
Der Staat iſt ein dauernder einheitlicher Organismus derjenigen Einrichtungen, welche, geleitet durch einen Geſammt- willen ſowie aufrecht erhalten und durchgeführt durch eine Ge- ſammtkraft, die Aufgabe haben, die erlaubten Lebenszwecke eines beſtimmten und räumlich abgeſchloſſenen Volkes, und zwar vom Einzelnen bis zur Geſellſchaft, zu fördern 1).
Erläuterung und Rechtfertigung dieſer Auffaſſung des Staates ergiebt ſich aus nachſtehenden Bemerkungen.
Der Staat muß eine dauernde Einrichtung ſein, weil Lebenszwecke beſtehen und Schutz und Hülfe zur Er- reichung derſelben nothwendig iſt, ſo lange überhaupt Men- ſchen vorhanden ſind. Das Bedürfniß einer ſtaatlichen Ein- richtung iſt alſo niemals ganz befriedigt, vielmehr erneuert ſich dasſelbe in jedem Augenblicke. Bloß vorübergehende Anſtalten wären alſo durchaus ungenügend; und wenn je ein Staat auf- hört, ſo muß alsbald ein neuer an deſſen Stelle treten, wenn
v. Mohl, Encyclopädie. 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0079"n="[65]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">1.<lb/>
Allgemeine Staatslehre.</hi></head><lb/><divn="3"><head>§ 11.<lb/><hirendition="#b">1. Begriff und Zweck des Staates.</hi></head><lb/><p>Aus der Entwickelung der verſchiedenen menſchlichen Le-<lb/>
benskreiſe (ſ. oben, § 1—7) hat ſich die Bedeutung und der<lb/>
Zweck des Staates im Allgemeinen ergeben. Eine genaue Be-<lb/>
griffsbeſtimmung iſt denn nun aber folgende:</p><lb/><p>Der Staat iſt ein dauernder einheitlicher Organismus<lb/>
derjenigen Einrichtungen, welche, geleitet durch einen Geſammt-<lb/>
willen ſowie aufrecht erhalten und durchgeführt durch eine Ge-<lb/>ſammtkraft, die Aufgabe haben, die erlaubten Lebenszwecke<lb/>
eines beſtimmten und räumlich abgeſchloſſenen Volkes, und<lb/>
zwar vom Einzelnen bis zur Geſellſchaft, zu fördern <hirendition="#sup">1</hi>).</p><lb/><p>Erläuterung und Rechtfertigung dieſer Auffaſſung des<lb/>
Staates ergiebt ſich aus nachſtehenden Bemerkungen.</p><lb/><p>Der Staat muß eine <hirendition="#g">dauernde</hi> Einrichtung ſein,<lb/>
weil Lebenszwecke beſtehen und Schutz und Hülfe zur Er-<lb/>
reichung derſelben nothwendig iſt, ſo lange überhaupt Men-<lb/>ſchen vorhanden ſind. Das Bedürfniß einer ſtaatlichen Ein-<lb/>
richtung iſt alſo niemals ganz befriedigt, vielmehr erneuert ſich<lb/>
dasſelbe in jedem Augenblicke. Bloß vorübergehende Anſtalten<lb/>
wären alſo durchaus ungenügend; und wenn je ein Staat auf-<lb/>
hört, ſo muß alsbald ein neuer an deſſen Stelle treten, wenn<lb/><fwplace="bottom"type="sig">v. <hirendition="#g">Mohl</hi>, Encyclopädie. 5</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[[65]/0079]
1.
Allgemeine Staatslehre.
§ 11.
1. Begriff und Zweck des Staates.
Aus der Entwickelung der verſchiedenen menſchlichen Le-
benskreiſe (ſ. oben, § 1—7) hat ſich die Bedeutung und der
Zweck des Staates im Allgemeinen ergeben. Eine genaue Be-
griffsbeſtimmung iſt denn nun aber folgende:
Der Staat iſt ein dauernder einheitlicher Organismus
derjenigen Einrichtungen, welche, geleitet durch einen Geſammt-
willen ſowie aufrecht erhalten und durchgeführt durch eine Ge-
ſammtkraft, die Aufgabe haben, die erlaubten Lebenszwecke
eines beſtimmten und räumlich abgeſchloſſenen Volkes, und
zwar vom Einzelnen bis zur Geſellſchaft, zu fördern 1).
Erläuterung und Rechtfertigung dieſer Auffaſſung des
Staates ergiebt ſich aus nachſtehenden Bemerkungen.
Der Staat muß eine dauernde Einrichtung ſein,
weil Lebenszwecke beſtehen und Schutz und Hülfe zur Er-
reichung derſelben nothwendig iſt, ſo lange überhaupt Men-
ſchen vorhanden ſind. Das Bedürfniß einer ſtaatlichen Ein-
richtung iſt alſo niemals ganz befriedigt, vielmehr erneuert ſich
dasſelbe in jedem Augenblicke. Bloß vorübergehende Anſtalten
wären alſo durchaus ungenügend; und wenn je ein Staat auf-
hört, ſo muß alsbald ein neuer an deſſen Stelle treten, wenn
v. Mohl, Encyclopädie. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. [65]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/79>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.