Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
21.
Die Kaiks.

Jhr werdet jetzt wohl schon tief im Winter sitzen, wäh-
rend wir hier noch den herrlichsten Herbst genießen; frei-
lich, wenn der Nordwind (Poiras) weht, sieht es zuweilen
verdrießlich aus; so wie aber der Südwind (Lodoß) die
Oberhand gewinnt, bietet die Aussicht von meinem freund-
lichen Zimmer den herrlichsten Anblick auf den Bosphorus,
Therapia und die asiatische Küste. Des Tages über flim-
mert die Sonne auf den kleinen Wellen, und das Leben
auf einem Dutzend großer Schiffe, die hart unter meinem
Fenster ankern, gewährt Unterhaltung, wenn man sonst
nichts zu thun hat. Dann kommen die Fischer in großen
Kähnen, unter deren Ruderschlägen das Meer ächzet; mit
lautem Geschrei verfolgen sie Schaaren von Fischen, die
man bei der Klarheit des Wassers deutlich ziehen sieht; sie
umstellen sie mit ihren Kähnen und treiben sie so mit Ge-
räusch in die Netze; da giebt es denn eine bunt-geschuppte
Gesellschaft: den wohlschmeckenden Thon, den silbernen Pa-
lamid, den seltsamen Steinbutt, den Goldfisch, den Scor-
pionfisch, welcher Jeden, der ihn anfaßt, lebensgefährlich
verwundet; da giebt es Schwertfische mit ellenlanger Nase,
Makrelen, Antipalamiden und viele andere Gattungen. Der
Delphin allein hat das Recht, ungestört zu bleiben, weil
das Vorurtheil ihn schützt, wie bei uns die Schwalben
und Störche; er tanzt in der Strömung, folgt den Schif-
fen, springt schnaubend in die Luft und schießt pfeilschnell
nieder.

Ununterbrochen ziehen Kaiks vor meinem Fenster vor-
bei, es sind die Fiaker (das große Bazar-Kaik der Om-
nibus) des Bosphorus. Wirklich kann man nichts Zier-
licheres und Zweckmäßigeres sehen als ein Kaik.

21.
Die Kaiks.

Jhr werdet jetzt wohl ſchon tief im Winter ſitzen, waͤh-
rend wir hier noch den herrlichſten Herbſt genießen; frei-
lich, wenn der Nordwind (Poiras) weht, ſieht es zuweilen
verdrießlich aus; ſo wie aber der Suͤdwind (Lodoß) die
Oberhand gewinnt, bietet die Ausſicht von meinem freund-
lichen Zimmer den herrlichſten Anblick auf den Bosphorus,
Therapia und die aſiatiſche Kuͤſte. Des Tages uͤber flim-
mert die Sonne auf den kleinen Wellen, und das Leben
auf einem Dutzend großer Schiffe, die hart unter meinem
Fenſter ankern, gewaͤhrt Unterhaltung, wenn man ſonſt
nichts zu thun hat. Dann kommen die Fiſcher in großen
Kaͤhnen, unter deren Ruderſchlaͤgen das Meer aͤchzet; mit
lautem Geſchrei verfolgen ſie Schaaren von Fiſchen, die
man bei der Klarheit des Waſſers deutlich ziehen ſieht; ſie
umſtellen ſie mit ihren Kaͤhnen und treiben ſie ſo mit Ge-
raͤuſch in die Netze; da giebt es denn eine bunt-geſchuppte
Geſellſchaft: den wohlſchmeckenden Thon, den ſilbernen Pa-
lamid, den ſeltſamen Steinbutt, den Goldfiſch, den Scor-
pionfiſch, welcher Jeden, der ihn anfaßt, lebensgefaͤhrlich
verwundet; da giebt es Schwertfiſche mit ellenlanger Naſe,
Makrelen, Antipalamiden und viele andere Gattungen. Der
Delphin allein hat das Recht, ungeſtoͤrt zu bleiben, weil
das Vorurtheil ihn ſchuͤtzt, wie bei uns die Schwalben
und Stoͤrche; er tanzt in der Stroͤmung, folgt den Schif-
fen, ſpringt ſchnaubend in die Luft und ſchießt pfeilſchnell
nieder.

Ununterbrochen ziehen Kaiks vor meinem Fenſter vor-
bei, es ſind die Fiaker (das große Bazar-Kaik der Om-
nibus) des Bosphorus. Wirklich kann man nichts Zier-
licheres und Zweckmaͤßigeres ſehen als ein Kaik.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0103" n="93"/>
      <div n="1">
        <head>21.<lb/><hi rendition="#b">Die Kaiks</hi>.</head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Bujukdere, den 30. November 1836.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Jhr werdet jetzt wohl &#x017F;chon tief im Winter &#x017F;itzen, wa&#x0364;h-<lb/>
rend wir hier noch den herrlich&#x017F;ten Herb&#x017F;t genießen; frei-<lb/>
lich, wenn der Nordwind (Poiras) weht, &#x017F;ieht es zuweilen<lb/>
verdrießlich aus; &#x017F;o wie aber der Su&#x0364;dwind (Lodoß) die<lb/>
Oberhand gewinnt, bietet die Aus&#x017F;icht von meinem freund-<lb/>
lichen Zimmer den herrlich&#x017F;ten Anblick auf den Bosphorus,<lb/>
Therapia und die a&#x017F;iati&#x017F;che Ku&#x0364;&#x017F;te. Des Tages u&#x0364;ber flim-<lb/>
mert die Sonne auf den kleinen Wellen, und das Leben<lb/>
auf einem Dutzend großer Schiffe, die hart unter meinem<lb/>
Fen&#x017F;ter ankern, gewa&#x0364;hrt Unterhaltung, wenn man &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
nichts zu thun hat. Dann kommen die Fi&#x017F;cher in großen<lb/>
Ka&#x0364;hnen, unter deren Ruder&#x017F;chla&#x0364;gen das Meer a&#x0364;chzet; mit<lb/>
lautem Ge&#x017F;chrei verfolgen &#x017F;ie Schaaren von Fi&#x017F;chen, die<lb/>
man bei der Klarheit des Wa&#x017F;&#x017F;ers deutlich ziehen &#x017F;ieht; &#x017F;ie<lb/>
um&#x017F;tellen &#x017F;ie mit ihren Ka&#x0364;hnen und treiben &#x017F;ie &#x017F;o mit Ge-<lb/>
ra&#x0364;u&#x017F;ch in die Netze; da giebt es denn eine bunt-ge&#x017F;chuppte<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft: den wohl&#x017F;chmeckenden Thon, den &#x017F;ilbernen Pa-<lb/>
lamid, den &#x017F;elt&#x017F;amen Steinbutt, den Goldfi&#x017F;ch, den Scor-<lb/>
pionfi&#x017F;ch, welcher Jeden, der ihn anfaßt, lebensgefa&#x0364;hrlich<lb/>
verwundet; da giebt es Schwertfi&#x017F;che mit ellenlanger Na&#x017F;e,<lb/>
Makrelen, Antipalamiden und viele andere Gattungen. Der<lb/>
Delphin allein hat das Recht, unge&#x017F;to&#x0364;rt zu bleiben, weil<lb/>
das Vorurtheil ihn &#x017F;chu&#x0364;tzt, wie bei uns die Schwalben<lb/>
und Sto&#x0364;rche; er tanzt in der Stro&#x0364;mung, folgt den Schif-<lb/>
fen, &#x017F;pringt &#x017F;chnaubend in die Luft und &#x017F;chießt pfeil&#x017F;chnell<lb/>
nieder.</p><lb/>
        <p>Ununterbrochen ziehen Kaiks vor meinem Fen&#x017F;ter vor-<lb/>
bei, es &#x017F;ind die Fiaker (das große Bazar-Kaik der Om-<lb/>
nibus) des Bosphorus. Wirklich kann man nichts Zier-<lb/>
licheres und Zweckma&#x0364;ßigeres &#x017F;ehen als ein Kaik.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0103] 21. Die Kaiks. Bujukdere, den 30. November 1836. Jhr werdet jetzt wohl ſchon tief im Winter ſitzen, waͤh- rend wir hier noch den herrlichſten Herbſt genießen; frei- lich, wenn der Nordwind (Poiras) weht, ſieht es zuweilen verdrießlich aus; ſo wie aber der Suͤdwind (Lodoß) die Oberhand gewinnt, bietet die Ausſicht von meinem freund- lichen Zimmer den herrlichſten Anblick auf den Bosphorus, Therapia und die aſiatiſche Kuͤſte. Des Tages uͤber flim- mert die Sonne auf den kleinen Wellen, und das Leben auf einem Dutzend großer Schiffe, die hart unter meinem Fenſter ankern, gewaͤhrt Unterhaltung, wenn man ſonſt nichts zu thun hat. Dann kommen die Fiſcher in großen Kaͤhnen, unter deren Ruderſchlaͤgen das Meer aͤchzet; mit lautem Geſchrei verfolgen ſie Schaaren von Fiſchen, die man bei der Klarheit des Waſſers deutlich ziehen ſieht; ſie umſtellen ſie mit ihren Kaͤhnen und treiben ſie ſo mit Ge- raͤuſch in die Netze; da giebt es denn eine bunt-geſchuppte Geſellſchaft: den wohlſchmeckenden Thon, den ſilbernen Pa- lamid, den ſeltſamen Steinbutt, den Goldfiſch, den Scor- pionfiſch, welcher Jeden, der ihn anfaßt, lebensgefaͤhrlich verwundet; da giebt es Schwertfiſche mit ellenlanger Naſe, Makrelen, Antipalamiden und viele andere Gattungen. Der Delphin allein hat das Recht, ungeſtoͤrt zu bleiben, weil das Vorurtheil ihn ſchuͤtzt, wie bei uns die Schwalben und Stoͤrche; er tanzt in der Stroͤmung, folgt den Schif- fen, ſpringt ſchnaubend in die Luft und ſchießt pfeilſchnell nieder. Ununterbrochen ziehen Kaiks vor meinem Fenſter vor- bei, es ſind die Fiaker (das große Bazar-Kaik der Om- nibus) des Bosphorus. Wirklich kann man nichts Zier- licheres und Zweckmaͤßigeres ſehen als ein Kaik.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/103
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/103>, abgerufen am 21.11.2024.