den Bewohnern, auch nur einen Theil ihrer Habe in die nächsten Moscheen zu flüchten; oft ist es kaum möglich, das Leben zu retten. Die Häuser sind schmal und hoch, die Treppen eng und elend. Mitten in der Nacht schreckt der Ruf: Gjangen-var -- "es ist Feuer!" -- die Ein- wohner aus dem Schlaf; kaum raffen sie das Nothwen- digste zusammen, so finden sie schon ihre Straßen bren- nend; sie eilen nach einem andern Ausgang, die Menge stopft die Gassen, in wenigen Minuten finden sie sich von der schrecklichen Glut umstellt. Eben so furchtbar wie die Feuersbrünste hier sind, so leicht werden sie verursacht, be- sonders des Winters. Oefen giebt es nur in einigen Woh- nungen der Franken; die Türken, Armenier und Griechen bedienen sich der Kohlenbecken (Mangall), welche auf den Fußteppich, oft unter die mit Decken belegten Tische (Tan- dur) gestellt werden. Nun begreift man, daß die geringste Nachlässigkeit eine Feuersbrunst erzeugen kann. Dies Al- les macht, daß die Miethen übermäßig theuer sind, denn der, welcher ein Haus erbaut, muß sich darauf gefaßt ma- chen, daß in zehn oder funfzehn Jahren aller Wahrschein- lichkeit nach sein Capital vom Feuer verzehrt wird, und also die Zinsen danach berechnen. Nun ist auf der an- dern Seite nicht zu leugnen, daß hölzerne Häuser viel an- genehmer zu bewohnen sind, als steinerne, die hier stets feucht sind und nie so sonnig, hell und freundlich wie jene sein können. Eine Hauptbedingung für ein angenehmes Haus ist hier, daß es zu drei Viertheilen aus Fenstern be- stehe, und das kann nur ein hölzernes Haus leisten. Da- mit recht viel Zimmer auf drei Seiten Fenster an Fenster haben können, sind die Häuser mit lauter vorspringenden und eingehenden Winkeln erbaut; was man bei uns die Spiegelwände nennt, ist ein schmaler Balken. Unter den Fenstern laufen die breiten niedrigen Divans hin; die vierte Wand aber enthält eine Nische, in deren Mitte die Thüre, zu beiden Seiten derselben aber große Wandschränke sich befinden, worin die Matratzen und Decken des Tags über
den Bewohnern, auch nur einen Theil ihrer Habe in die naͤchſten Moſcheen zu fluͤchten; oft iſt es kaum moͤglich, das Leben zu retten. Die Haͤuſer ſind ſchmal und hoch, die Treppen eng und elend. Mitten in der Nacht ſchreckt der Ruf: Gjangen-var — „es iſt Feuer!“ — die Ein- wohner aus dem Schlaf; kaum raffen ſie das Nothwen- digſte zuſammen, ſo finden ſie ſchon ihre Straßen bren- nend; ſie eilen nach einem andern Ausgang, die Menge ſtopft die Gaſſen, in wenigen Minuten finden ſie ſich von der ſchrecklichen Glut umſtellt. Eben ſo furchtbar wie die Feuersbruͤnſte hier ſind, ſo leicht werden ſie verurſacht, be- ſonders des Winters. Oefen giebt es nur in einigen Woh- nungen der Franken; die Tuͤrken, Armenier und Griechen bedienen ſich der Kohlenbecken (Mangall), welche auf den Fußteppich, oft unter die mit Decken belegten Tiſche (Tan- dur) geſtellt werden. Nun begreift man, daß die geringſte Nachlaͤſſigkeit eine Feuersbrunſt erzeugen kann. Dies Al- les macht, daß die Miethen uͤbermaͤßig theuer ſind, denn der, welcher ein Haus erbaut, muß ſich darauf gefaßt ma- chen, daß in zehn oder funfzehn Jahren aller Wahrſchein- lichkeit nach ſein Capital vom Feuer verzehrt wird, und alſo die Zinſen danach berechnen. Nun iſt auf der an- dern Seite nicht zu leugnen, daß hoͤlzerne Haͤuſer viel an- genehmer zu bewohnen ſind, als ſteinerne, die hier ſtets feucht ſind und nie ſo ſonnig, hell und freundlich wie jene ſein koͤnnen. Eine Hauptbedingung fuͤr ein angenehmes Haus iſt hier, daß es zu drei Viertheilen aus Fenſtern be- ſtehe, und das kann nur ein hoͤlzernes Haus leiſten. Da- mit recht viel Zimmer auf drei Seiten Fenſter an Fenſter haben koͤnnen, ſind die Haͤuſer mit lauter vorſpringenden und eingehenden Winkeln erbaut; was man bei uns die Spiegelwaͤnde nennt, iſt ein ſchmaler Balken. Unter den Fenſtern laufen die breiten niedrigen Divans hin; die vierte Wand aber enthaͤlt eine Niſche, in deren Mitte die Thuͤre, zu beiden Seiten derſelben aber große Wandſchraͤnke ſich befinden, worin die Matratzen und Decken des Tags uͤber
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den Bewohnern, auch nur einen Theil ihrer Habe in die
naͤchſten Moſcheen zu fluͤchten; oft iſt es kaum moͤglich,
das Leben zu retten. Die Haͤuſer ſind ſchmal und hoch,
die Treppen eng und elend. Mitten in der Nacht ſchreckt
der Ruf: Gjangen-var — „es iſt Feuer!“ — die Ein-
wohner aus dem Schlaf; kaum raffen ſie das Nothwen-
digſte zuſammen, ſo finden ſie ſchon ihre Straßen bren-
nend; ſie eilen nach einem andern Ausgang, die Menge
ſtopft die Gaſſen, in wenigen Minuten finden ſie ſich von
der ſchrecklichen Glut umſtellt. Eben ſo furchtbar wie die
Feuersbruͤnſte hier ſind, ſo leicht werden ſie verurſacht, be-
ſonders des Winters. Oefen giebt es nur in einigen Woh-
nungen der Franken; die Tuͤrken, Armenier und Griechen
bedienen ſich der Kohlenbecken (Mangall), welche auf den
Fußteppich, oft unter die mit Decken belegten Tiſche (Tan-
dur) geſtellt werden. Nun begreift man, daß die geringſte
Nachlaͤſſigkeit eine Feuersbrunſt erzeugen kann. Dies Al-
les macht, daß die Miethen uͤbermaͤßig theuer ſind, denn
der, welcher ein Haus erbaut, muß ſich darauf gefaßt ma-
chen, daß in zehn oder funfzehn Jahren aller Wahrſchein-
lichkeit nach ſein Capital vom Feuer verzehrt wird, und
alſo die Zinſen danach berechnen. Nun iſt auf der an-
dern Seite nicht zu leugnen, daß hoͤlzerne Haͤuſer viel an-
genehmer zu bewohnen ſind, als ſteinerne, die hier ſtets
feucht ſind und nie ſo ſonnig, hell und freundlich wie jene
ſein koͤnnen. Eine Hauptbedingung fuͤr ein angenehmes
Haus iſt hier, daß es zu drei Viertheilen aus Fenſtern be-
ſtehe, und das kann nur ein hoͤlzernes Haus leiſten. Da-
mit recht viel Zimmer auf drei Seiten Fenſter an Fenſter
haben koͤnnen, ſind die Haͤuſer mit lauter vorſpringenden
und eingehenden Winkeln erbaut; was man bei uns die
Spiegelwaͤnde nennt, iſt ein ſchmaler Balken. Unter den
Fenſtern laufen die breiten niedrigen Divans hin; die vierte
Wand aber enthaͤlt eine Niſche, in deren Mitte die Thuͤre,
zu beiden Seiten derſelben aber große Wandſchraͤnke ſich
befinden, worin die Matratzen und Decken des Tags uͤber
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/108>, abgerufen am 21.11.2024.
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