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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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damit Du Dir keine unnöthige Sorge machst, denn man
fürchtet am meisten die Gefahr, die man nicht kennt, weil
man sie überschätzt.

Ob die Pest aus Egypten oder aus Trebisond kömmt,
oder wie sie und wo sie sonst entsteht, darüber will ich Dir
nichts sagen, weil ich und weil kein Mensch das weiß.
Die Pest ist ein noch unerklärtes Geheimniß; sie ist das
Räthsel der Sphinx, welches dem das Leben kostet, der sich
an die Lösung wagt, ohne sie zu finden. So ging es mit
den französischen Aerzten bei der Armee Napoleons in Egyp-
ten, so ging es unlängst einem jungen deutschen Arzt, der
sich hier dreißig Tage lang den erdenklichsten Proben aus-
setzte, endlich in ein türkisches Dampfbad ging, sich zu
einem Pestkranken legte und binnen vier und zwanzig Stun-
den todt war.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß alle die großen eng-
gebauten Städte des Orients innerhalb gewisser Breiten-
grade die wahren Herde der Pest sind. Die Krankheit ver-
trägt sich aber weder mit einer sehr großen Hitze, noch mit
strenger Kälte. Sie ist fast nie in Persien gewesen, und
wie sehr sie an der Mündung des Nil gewüthet, so ist sie
doch niemals bis über die Cataracten dieses Stroms hin-
aufgestiegen.

Ebenso kann die Pest in Europa wohl eingeschleppt
werden, nicht aber, wie eine hundertjährige Erfahrung seit
Errichtung der Quarantainen dies beweist, sich dort erzeu-
gen. Es ist ferner wohl außer Zweifel, daß das Uebel
durch Berührung sich mittheilt, und viele, welche dies be-
streiten, würden sich gewiß sehr bedenken, einen Pestkran-
ken anzurühren. Aber die Krankheit ist nur bis zu einem
gewissen, sehr beschränkten Grade ansteckend. Selbst das
unglückliche Beispiel, von welchem ich eben sprach, beweiset
dies. Jm Pest-Hospital der Franken zu Pera lebt seit
einer Reihe von Jahren ein katholischer Priester, welcher
den Erkrankten nicht nur den geistlichen Beistand leistet,
sondern sie anfaßt, umkleidet, pflegt und begräbt. Dieser

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damit Du Dir keine unnoͤthige Sorge machſt, denn man
fuͤrchtet am meiſten die Gefahr, die man nicht kennt, weil
man ſie uͤberſchaͤtzt.

Ob die Peſt aus Egypten oder aus Trebiſond koͤmmt,
oder wie ſie und wo ſie ſonſt entſteht, daruͤber will ich Dir
nichts ſagen, weil ich und weil kein Menſch das weiß.
Die Peſt iſt ein noch unerklaͤrtes Geheimniß; ſie iſt das
Raͤthſel der Sphinx, welches dem das Leben koſtet, der ſich
an die Loͤſung wagt, ohne ſie zu finden. So ging es mit
den franzoͤſiſchen Aerzten bei der Armee Napoleons in Egyp-
ten, ſo ging es unlaͤngſt einem jungen deutſchen Arzt, der
ſich hier dreißig Tage lang den erdenklichſten Proben aus-
ſetzte, endlich in ein tuͤrkiſches Dampfbad ging, ſich zu
einem Peſtkranken legte und binnen vier und zwanzig Stun-
den todt war.

Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß alle die großen eng-
gebauten Staͤdte des Orients innerhalb gewiſſer Breiten-
grade die wahren Herde der Peſt ſind. Die Krankheit ver-
traͤgt ſich aber weder mit einer ſehr großen Hitze, noch mit
ſtrenger Kaͤlte. Sie iſt faſt nie in Perſien geweſen, und
wie ſehr ſie an der Muͤndung des Nil gewuͤthet, ſo iſt ſie
doch niemals bis uͤber die Cataracten dieſes Stroms hin-
aufgeſtiegen.

Ebenſo kann die Peſt in Europa wohl eingeſchleppt
werden, nicht aber, wie eine hundertjaͤhrige Erfahrung ſeit
Errichtung der Quarantainen dies beweiſt, ſich dort erzeu-
gen. Es iſt ferner wohl außer Zweifel, daß das Uebel
durch Beruͤhrung ſich mittheilt, und viele, welche dies be-
ſtreiten, wuͤrden ſich gewiß ſehr bedenken, einen Peſtkran-
ken anzuruͤhren. Aber die Krankheit iſt nur bis zu einem
gewiſſen, ſehr beſchraͤnkten Grade anſteckend. Selbſt das
ungluͤckliche Beiſpiel, von welchem ich eben ſprach, beweiſet
dies. Jm Peſt-Hoſpital der Franken zu Pera lebt ſeit
einer Reihe von Jahren ein katholiſcher Prieſter, welcher
den Erkrankten nicht nur den geiſtlichen Beiſtand leiſtet,
ſondern ſie anfaßt, umkleidet, pflegt und begraͤbt. Dieſer

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[113/0123] damit Du Dir keine unnoͤthige Sorge machſt, denn man fuͤrchtet am meiſten die Gefahr, die man nicht kennt, weil man ſie uͤberſchaͤtzt. Ob die Peſt aus Egypten oder aus Trebiſond koͤmmt, oder wie ſie und wo ſie ſonſt entſteht, daruͤber will ich Dir nichts ſagen, weil ich und weil kein Menſch das weiß. Die Peſt iſt ein noch unerklaͤrtes Geheimniß; ſie iſt das Raͤthſel der Sphinx, welches dem das Leben koſtet, der ſich an die Loͤſung wagt, ohne ſie zu finden. So ging es mit den franzoͤſiſchen Aerzten bei der Armee Napoleons in Egyp- ten, ſo ging es unlaͤngſt einem jungen deutſchen Arzt, der ſich hier dreißig Tage lang den erdenklichſten Proben aus- ſetzte, endlich in ein tuͤrkiſches Dampfbad ging, ſich zu einem Peſtkranken legte und binnen vier und zwanzig Stun- den todt war. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß alle die großen eng- gebauten Staͤdte des Orients innerhalb gewiſſer Breiten- grade die wahren Herde der Peſt ſind. Die Krankheit ver- traͤgt ſich aber weder mit einer ſehr großen Hitze, noch mit ſtrenger Kaͤlte. Sie iſt faſt nie in Perſien geweſen, und wie ſehr ſie an der Muͤndung des Nil gewuͤthet, ſo iſt ſie doch niemals bis uͤber die Cataracten dieſes Stroms hin- aufgeſtiegen. Ebenſo kann die Peſt in Europa wohl eingeſchleppt werden, nicht aber, wie eine hundertjaͤhrige Erfahrung ſeit Errichtung der Quarantainen dies beweiſt, ſich dort erzeu- gen. Es iſt ferner wohl außer Zweifel, daß das Uebel durch Beruͤhrung ſich mittheilt, und viele, welche dies be- ſtreiten, wuͤrden ſich gewiß ſehr bedenken, einen Peſtkran- ken anzuruͤhren. Aber die Krankheit iſt nur bis zu einem gewiſſen, ſehr beſchraͤnkten Grade anſteckend. Selbſt das ungluͤckliche Beiſpiel, von welchem ich eben ſprach, beweiſet dies. Jm Peſt-Hoſpital der Franken zu Pera lebt ſeit einer Reihe von Jahren ein katholiſcher Prieſter, welcher den Erkrankten nicht nur den geiſtlichen Beiſtand leiſtet, ſondern ſie anfaßt, umkleidet, pflegt und begraͤbt. Dieſer 8

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/123>, abgerufen am 21.11.2024.