brave Mann ist dick und fett, und ich gestehe, daß seine muthige, wahrhaft religiöse Ergebung mir heldenmüthiger scheint, als so manche gefeierte Waffenthat. Der Priester glaubt, in früher Jugend die Pest gehabt zu haben, aber es ist erwiesen, daß das nicht gegen neue Erkrankung schützt. Gewiß bedarf es einigermaßen fortgesetzter Berührung auf der erwärmten Haut und dabei noch einer Prädisposition des ganzen Körpers, um von dem Uebel erfaßt zu werden, und deshalb sind die Sachen gefährlicher, als die Men- schen. Die mehrsten Fälle entstehen aus gekauften Gegen- ständen, alten Kleidern und baumwollenen Waaren, welche die Juden umhertragen. Es gehört gewiß eine besondere Concurrenz von unglücklichen Umständen dazu, um durch bloßes Begegnen eines Kranken angesteckt zu werden. Wäh- rend der diesjährigen Pest, der heftigsten, die seit einem Viertel-Jahrhundert hier gewüthet, bin ich ganze Tage in den engsten Winkeln der Stadt und der Vorstädte umher- gegangen, bin in die Spitäler selbst eingetreten, gewöhnlich umgeben von Neugierigen, bin Todten und Sterbenden be- gegnet, und lebe der Ueberzeugung, mich einer sehr gerin- gen Gefahr ausgesetzt zu haben. Das große Arcanum ist Reinlichkeit; sobald ich zu Hause kam, wechselte ich von Kopf bis zu Fuß Wäsche und Kleider, und letztere blieben die Nacht durch im offenen Fenster aufgehängt. Wie sehr überhaupt die einfachste Vorsicht schützt, dies beweist die geringe Zahl von Opfern, welche die Pest unter der frän- kischen Bevölkerung dahin rafft, indeß die Türken und die Rajahs zu Tausenden sterben. Trotz der großen Verbrei- tung und Bösartigkeit der diesjährigen Pest, die seit 1812 ihres Gleichen nicht gehabt hat, sind etwa acht oder zwölf fränkische Familien heimgesucht worden, und dann waren es fast immer die Domestiken und die Kinder. Seit Jahr- hunderten, wo die Dragomane täglich mit Türken zu thun haben, kennt man nur ein Beispiel, daß einer die Pest ge- habt. Ein Fremder kann es nicht vermeiden, sich auf den Divan niederzulassen, wo eben ein zerlumpter Derwisch ge-
brave Mann iſt dick und fett, und ich geſtehe, daß ſeine muthige, wahrhaft religioͤſe Ergebung mir heldenmuͤthiger ſcheint, als ſo manche gefeierte Waffenthat. Der Prieſter glaubt, in fruͤher Jugend die Peſt gehabt zu haben, aber es iſt erwieſen, daß das nicht gegen neue Erkrankung ſchuͤtzt. Gewiß bedarf es einigermaßen fortgeſetzter Beruͤhrung auf der erwaͤrmten Haut und dabei noch einer Praͤdispoſition des ganzen Koͤrpers, um von dem Uebel erfaßt zu werden, und deshalb ſind die Sachen gefaͤhrlicher, als die Men- ſchen. Die mehrſten Faͤlle entſtehen aus gekauften Gegen- ſtaͤnden, alten Kleidern und baumwollenen Waaren, welche die Juden umhertragen. Es gehoͤrt gewiß eine beſondere Concurrenz von ungluͤcklichen Umſtaͤnden dazu, um durch bloßes Begegnen eines Kranken angeſteckt zu werden. Waͤh- rend der diesjaͤhrigen Peſt, der heftigſten, die ſeit einem Viertel-Jahrhundert hier gewuͤthet, bin ich ganze Tage in den engſten Winkeln der Stadt und der Vorſtaͤdte umher- gegangen, bin in die Spitaͤler ſelbſt eingetreten, gewoͤhnlich umgeben von Neugierigen, bin Todten und Sterbenden be- gegnet, und lebe der Ueberzeugung, mich einer ſehr gerin- gen Gefahr ausgeſetzt zu haben. Das große Arcanum iſt Reinlichkeit; ſobald ich zu Hauſe kam, wechſelte ich von Kopf bis zu Fuß Waͤſche und Kleider, und letztere blieben die Nacht durch im offenen Fenſter aufgehaͤngt. Wie ſehr uͤberhaupt die einfachſte Vorſicht ſchuͤtzt, dies beweiſt die geringe Zahl von Opfern, welche die Peſt unter der fraͤn- kiſchen Bevoͤlkerung dahin rafft, indeß die Tuͤrken und die Rajahs zu Tauſenden ſterben. Trotz der großen Verbrei- tung und Boͤsartigkeit der diesjaͤhrigen Peſt, die ſeit 1812 ihres Gleichen nicht gehabt hat, ſind etwa acht oder zwoͤlf fraͤnkiſche Familien heimgeſucht worden, und dann waren es faſt immer die Domeſtiken und die Kinder. Seit Jahr- hunderten, wo die Dragomane taͤglich mit Tuͤrken zu thun haben, kennt man nur ein Beiſpiel, daß einer die Peſt ge- habt. Ein Fremder kann es nicht vermeiden, ſich auf den Divan niederzulaſſen, wo eben ein zerlumpter Derwiſch ge-
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brave Mann iſt dick und fett, und ich geſtehe, daß ſeine
muthige, wahrhaft religioͤſe Ergebung mir heldenmuͤthiger
ſcheint, als ſo manche gefeierte Waffenthat. Der Prieſter
glaubt, in fruͤher Jugend die Peſt gehabt zu haben, aber
es iſt erwieſen, daß das nicht gegen neue Erkrankung ſchuͤtzt.
Gewiß bedarf es einigermaßen fortgeſetzter Beruͤhrung auf
der erwaͤrmten Haut und dabei noch einer Praͤdispoſition
des ganzen Koͤrpers, um von dem Uebel erfaßt zu werden,
und deshalb ſind die Sachen gefaͤhrlicher, als die Men-
ſchen. Die mehrſten Faͤlle entſtehen aus gekauften Gegen-
ſtaͤnden, alten Kleidern und baumwollenen Waaren, welche
die Juden umhertragen. Es gehoͤrt gewiß eine beſondere
Concurrenz von ungluͤcklichen Umſtaͤnden dazu, um durch
bloßes Begegnen eines Kranken angeſteckt zu werden. Waͤh-
rend der diesjaͤhrigen Peſt, der heftigſten, die ſeit einem
Viertel-Jahrhundert hier gewuͤthet, bin ich ganze Tage in
den engſten Winkeln der Stadt und der Vorſtaͤdte umher-
gegangen, bin in die Spitaͤler ſelbſt eingetreten, gewoͤhnlich
umgeben von Neugierigen, bin Todten und Sterbenden be-
gegnet, und lebe der Ueberzeugung, mich einer ſehr gerin-
gen Gefahr ausgeſetzt zu haben. Das große Arcanum iſt
Reinlichkeit; ſobald ich zu Hauſe kam, wechſelte ich von
Kopf bis zu Fuß Waͤſche und Kleider, und letztere blieben
die Nacht durch im offenen Fenſter aufgehaͤngt. Wie ſehr
uͤberhaupt die einfachſte Vorſicht ſchuͤtzt, dies beweiſt die
geringe Zahl von Opfern, welche die Peſt unter der fraͤn-
kiſchen Bevoͤlkerung dahin rafft, indeß die Tuͤrken und die
Rajahs zu Tauſenden ſterben. Trotz der großen Verbrei-
tung und Boͤsartigkeit der diesjaͤhrigen Peſt, die ſeit 1812
ihres Gleichen nicht gehabt hat, ſind etwa acht oder zwoͤlf
fraͤnkiſche Familien heimgeſucht worden, und dann waren
es faſt immer die Domeſtiken und die Kinder. Seit Jahr-
hunderten, wo die Dragomane taͤglich mit Tuͤrken zu thun
haben, kennt man nur ein Beiſpiel, daß einer die Peſt ge-
habt. Ein Fremder kann es nicht vermeiden, ſich auf den
Divan niederzulaſſen, wo eben ein zerlumpter Derwiſch ge-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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