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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Widerwillen, und man begnügte sich bald damit, einen Vers
aus dem Koran an die Thür der Kaserne zu nageln.

Mahomed hatte gewiß nicht Unrecht, als er, indem er
verzweifelte, seine Landsleute vor der fürchterlichen Seuche
zu bewahren, ihnen eine solche Verachtung gegen dieselbe
einflößte. Dem Moslem ist die Pest nicht eine Heimsuchung,
sondern eine Gnade Gottes, und die daran sterben, sind
ausdrücklich vom Koran als Märtyrer bezeichnet. Die Furcht
vor der Pest und alle Maaßregeln sind daher nicht nur über-
flüssig, sondern auch sündlich. "Weshalb", sagte der Mol-
lah letzt im Kaffeehause zu Bujukdere seinem bärtigen Au-
ditorium, "weshalb sind so viele Soldaten umgekommen?
Weil man allerlei thörichte Vorkehrungen getroffen; aber
ihr, die ihr die Pest nicht fürchtet, und keine, auch nicht
die mindeste Vorsicht gebrauchtet, seid ihr an der Pest ge-
storben?" Die Pest wird bestehen, so lange es Ulema's
giebt, und eine blutige Reaction muß stattfinden, ehe man
an Sanitäts-Polizei denken kann.

Bei diesem Fatalismus sind die Türken tolerant gegen
uns, wie man es nur bei der geistigen Ueberlegenheit sein
kann, die eine unerschütterliche Ueberzeugung gewährt. --
"Komm ihm nicht nah, er fürchtet sich," sagt der Türke
mit aller Gutmüthigkeit und ohne Spott, höchstens mit
einem bischen Mitleid. Die Hamal oder Lastträger tragen
die Kranken auf ihrem Rücken in die Spitäler, und die
Todten aus den Spitälern in die Grube, in die sie ohne
Sarg hineingelegt werden; dann schüttet man höchstens
zwei Fuß Erde über den Leichnam, und der Muezim ruft
dreimal den Namen des Todten, oder wenn er ihn nicht
kennt, Sohn des Adam, und ermahnt ihn, geradesweges
ins Paradies zu gehen. Zuweilen scharren die Hunde des
Nachts den Leichnam wieder aus. Die Begräbnißplätze
sehen aus wie frisch geackertes Feld.

Auf diese Weise begreift sich, daß die einmal angezün-
dete Flamme lange fortbrennen muß, und fast nur aus
Mangel an Nahrung erlischt. Die Angabe der Zeitungen,

Widerwillen, und man begnuͤgte ſich bald damit, einen Vers
aus dem Koran an die Thuͤr der Kaſerne zu nageln.

Mahomed hatte gewiß nicht Unrecht, als er, indem er
verzweifelte, ſeine Landsleute vor der fuͤrchterlichen Seuche
zu bewahren, ihnen eine ſolche Verachtung gegen dieſelbe
einfloͤßte. Dem Moslem iſt die Peſt nicht eine Heimſuchung,
ſondern eine Gnade Gottes, und die daran ſterben, ſind
ausdruͤcklich vom Koran als Maͤrtyrer bezeichnet. Die Furcht
vor der Peſt und alle Maaßregeln ſind daher nicht nur uͤber-
fluͤſſig, ſondern auch ſuͤndlich. „Weshalb“, ſagte der Mol-
lah letzt im Kaffeehauſe zu Bujukdere ſeinem baͤrtigen Au-
ditorium, „weshalb ſind ſo viele Soldaten umgekommen?
Weil man allerlei thoͤrichte Vorkehrungen getroffen; aber
ihr, die ihr die Peſt nicht fuͤrchtet, und keine, auch nicht
die mindeſte Vorſicht gebrauchtet, ſeid ihr an der Peſt ge-
ſtorben?“ Die Peſt wird beſtehen, ſo lange es Ulema's
giebt, und eine blutige Reaction muß ſtattfinden, ehe man
an Sanitaͤts-Polizei denken kann.

Bei dieſem Fatalismus ſind die Tuͤrken tolerant gegen
uns, wie man es nur bei der geiſtigen Ueberlegenheit ſein
kann, die eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung gewaͤhrt. —
„Komm ihm nicht nah, er fuͤrchtet ſich,“ ſagt der Tuͤrke
mit aller Gutmuͤthigkeit und ohne Spott, hoͤchſtens mit
einem bischen Mitleid. Die Hamal oder Laſttraͤger tragen
die Kranken auf ihrem Ruͤcken in die Spitaͤler, und die
Todten aus den Spitaͤlern in die Grube, in die ſie ohne
Sarg hineingelegt werden; dann ſchuͤttet man hoͤchſtens
zwei Fuß Erde uͤber den Leichnam, und der Muezim ruft
dreimal den Namen des Todten, oder wenn er ihn nicht
kennt, Sohn des Adam, und ermahnt ihn, geradesweges
ins Paradies zu gehen. Zuweilen ſcharren die Hunde des
Nachts den Leichnam wieder aus. Die Begraͤbnißplaͤtze
ſehen aus wie friſch geackertes Feld.

Auf dieſe Weiſe begreift ſich, daß die einmal angezuͤn-
dete Flamme lange fortbrennen muß, und faſt nur aus
Mangel an Nahrung erliſcht. Die Angabe der Zeitungen,

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[116/0126] Widerwillen, und man begnuͤgte ſich bald damit, einen Vers aus dem Koran an die Thuͤr der Kaſerne zu nageln. Mahomed hatte gewiß nicht Unrecht, als er, indem er verzweifelte, ſeine Landsleute vor der fuͤrchterlichen Seuche zu bewahren, ihnen eine ſolche Verachtung gegen dieſelbe einfloͤßte. Dem Moslem iſt die Peſt nicht eine Heimſuchung, ſondern eine Gnade Gottes, und die daran ſterben, ſind ausdruͤcklich vom Koran als Maͤrtyrer bezeichnet. Die Furcht vor der Peſt und alle Maaßregeln ſind daher nicht nur uͤber- fluͤſſig, ſondern auch ſuͤndlich. „Weshalb“, ſagte der Mol- lah letzt im Kaffeehauſe zu Bujukdere ſeinem baͤrtigen Au- ditorium, „weshalb ſind ſo viele Soldaten umgekommen? Weil man allerlei thoͤrichte Vorkehrungen getroffen; aber ihr, die ihr die Peſt nicht fuͤrchtet, und keine, auch nicht die mindeſte Vorſicht gebrauchtet, ſeid ihr an der Peſt ge- ſtorben?“ Die Peſt wird beſtehen, ſo lange es Ulema's giebt, und eine blutige Reaction muß ſtattfinden, ehe man an Sanitaͤts-Polizei denken kann. Bei dieſem Fatalismus ſind die Tuͤrken tolerant gegen uns, wie man es nur bei der geiſtigen Ueberlegenheit ſein kann, die eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung gewaͤhrt. — „Komm ihm nicht nah, er fuͤrchtet ſich,“ ſagt der Tuͤrke mit aller Gutmuͤthigkeit und ohne Spott, hoͤchſtens mit einem bischen Mitleid. Die Hamal oder Laſttraͤger tragen die Kranken auf ihrem Ruͤcken in die Spitaͤler, und die Todten aus den Spitaͤlern in die Grube, in die ſie ohne Sarg hineingelegt werden; dann ſchuͤttet man hoͤchſtens zwei Fuß Erde uͤber den Leichnam, und der Muezim ruft dreimal den Namen des Todten, oder wenn er ihn nicht kennt, Sohn des Adam, und ermahnt ihn, geradesweges ins Paradies zu gehen. Zuweilen ſcharren die Hunde des Nachts den Leichnam wieder aus. Die Begraͤbnißplaͤtze ſehen aus wie friſch geackertes Feld. Auf dieſe Weiſe begreift ſich, daß die einmal angezuͤn- dete Flamme lange fortbrennen muß, und faſt nur aus Mangel an Nahrung erliſcht. Die Angabe der Zeitungen,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/126>, abgerufen am 21.11.2024.