Se. Hoheit saßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer- ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein- kleidung von sechzig Notabeln von Schumla statt; der Großherr setzte sich unter einen prachtvollen Baldachin auf einen Divan, wir Großen des Reichs standen zu beiden Seiten. Nun wurden zuerst die Mollahs, einige Ayans aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und Rajahs der Stadt, erstere mit dem Zusatz Duwardschinis "der Gebete für dich macht", einzeln vorgerufen; der Cere- monienmeister hing ihnen weite Mäntel von verschiedener Farbe um, der Beglückte küßte das Kleid, berührte dann mit der Hand die Erde, Brust und Stirn, und verfügte sich hierauf, stets das Antlitz gegen den Padischah, zurück, eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der Großherr hielt nun durch seinen ersten Sekretair, Wassaf- Effendi, eine Rede, in welcher er den Versammelten sagte, daß er selbst gekommen sei, um sich von ihrem Zustande zu überzeugen, -- daß er ihre Stadt und Festung wieder auf- zubauen und Ordnung und Wohlstand im Lande selbst zu befestigen gewilligt sei, -- daß Gesetz und Recht nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Umfange seines Reichs gehandhabt werden solle. "Jhr Griechen", sagte er, "ihr Armenier, ihr Juden seid alle Diener Gottes und meine Unterthanen so gut, wie die Moslems; ihr seid verschie- den im Glauben, aber euch Alle schützt das Gesetz und mein kaiserlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer- lege; die Zwecke, zu denen sie verwendet werden, sind eure Sicherheit und euer Wohl." Zum Schluß fragte der Sul- tan, ob Jemand unter den Rajahs Beschwerden habe, und ob ihre Kirchen Ausbesserung bedürfen.
Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausübung schon überall solche Gerechtigkeit gehandhabt würde, so ist doch das Princip anerkannt, und das ist immer schon sehr viel; die Gewalt der Umstände wird das Uebrige thun.
Jn diesem Lande, wo der geringe Mann gewöhnt ist, Alles umsonst, als Frohndienst für den Mächtigen zu thun,
Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer- ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein- kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt; der Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf einen Divan, wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden Seiten. Nun wurden zuerſt die Mollahs, einige Ayans aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und Rajahs der Stadt, erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis „der Gebete fuͤr dich macht“, einzeln vorgerufen; der Cere- monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener Farbe um, der Begluͤckte kuͤßte das Kleid, beruͤhrte dann mit der Hand die Erde, Bruſt und Stirn, und verfuͤgte ſich hierauf, ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah, zuruͤck, eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair, Waſſaf- Effendi, eine Rede, in welcher er den Verſammelten ſagte, daß er ſelbſt gekommen ſei, um ſich von ihrem Zuſtande zu uͤberzeugen, — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf- zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu befeſtigen gewilligt ſei, — daß Geſetz und Recht nicht nur in der Hauptſtadt, ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs gehandhabt werden ſolle. „Jhr Griechen“, ſagte er, „ihr Armenier, ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine Unterthanen ſo gut, wie die Moslems; ihr ſeid verſchie- den im Glauben, aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein kaiſerlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer- lege; die Zwecke, zu denen ſie verwendet werden, ſind eure Sicherheit und euer Wohl.“ Zum Schluß fragte der Sul- tan, ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe, und ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen.
Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausuͤbung ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde, ſo iſt doch das Princip anerkannt, und das iſt immer ſchon ſehr viel; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun.
Jn dieſem Lande, wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt, Alles umſonſt, als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0141"n="131"/>
Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer-<lb/>
ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein-<lb/>
kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt; der<lb/>
Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf<lb/>
einen Divan, wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden<lb/>
Seiten. Nun wurden zuerſt die Mollahs, einige Ayans<lb/>
aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und<lb/>
Rajahs der Stadt, erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis<lb/>„der Gebete fuͤr dich macht“, einzeln vorgerufen; der Cere-<lb/>
monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener<lb/>
Farbe um, der Begluͤckte kuͤßte das Kleid, beruͤhrte dann<lb/>
mit der Hand die Erde, Bruſt und Stirn, und verfuͤgte<lb/>ſich hierauf, ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah, zuruͤck,<lb/>
eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der<lb/>
Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair, Waſſaf-<lb/>
Effendi, eine Rede, in welcher er den Verſammelten ſagte,<lb/>
daß er ſelbſt gekommen ſei, um ſich von ihrem Zuſtande zu<lb/>
uͤberzeugen, — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf-<lb/>
zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu<lb/>
befeſtigen gewilligt ſei, — daß Geſetz und Recht nicht nur<lb/>
in der Hauptſtadt, ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs<lb/>
gehandhabt werden ſolle. „Jhr Griechen“, ſagte er, „ihr<lb/>
Armenier, ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine<lb/>
Unterthanen ſo gut, wie die Moslems; ihr ſeid verſchie-<lb/>
den im Glauben, aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein<lb/>
kaiſerlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer-<lb/>
lege; die Zwecke, zu denen ſie verwendet werden, ſind eure<lb/>
Sicherheit und euer Wohl.“ Zum Schluß fragte der Sul-<lb/>
tan, ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe, und<lb/>
ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen.</p><lb/><p>Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausuͤbung<lb/>ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde, ſo iſt<lb/>
doch das Princip anerkannt, und das iſt immer ſchon ſehr<lb/>
viel; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun.</p><lb/><p>Jn dieſem Lande, wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt,<lb/>
Alles umſonſt, als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[131/0141]
Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer-
ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein-
kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt; der
Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf
einen Divan, wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden
Seiten. Nun wurden zuerſt die Mollahs, einige Ayans
aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und
Rajahs der Stadt, erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis
„der Gebete fuͤr dich macht“, einzeln vorgerufen; der Cere-
monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener
Farbe um, der Begluͤckte kuͤßte das Kleid, beruͤhrte dann
mit der Hand die Erde, Bruſt und Stirn, und verfuͤgte
ſich hierauf, ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah, zuruͤck,
eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der
Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair, Waſſaf-
Effendi, eine Rede, in welcher er den Verſammelten ſagte,
daß er ſelbſt gekommen ſei, um ſich von ihrem Zuſtande zu
uͤberzeugen, — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf-
zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu
befeſtigen gewilligt ſei, — daß Geſetz und Recht nicht nur
in der Hauptſtadt, ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs
gehandhabt werden ſolle. „Jhr Griechen“, ſagte er, „ihr
Armenier, ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine
Unterthanen ſo gut, wie die Moslems; ihr ſeid verſchie-
den im Glauben, aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein
kaiſerlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer-
lege; die Zwecke, zu denen ſie verwendet werden, ſind eure
Sicherheit und euer Wohl.“ Zum Schluß fragte der Sul-
tan, ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe, und
ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen.
Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausuͤbung
ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde, ſo iſt
doch das Princip anerkannt, und das iſt immer ſchon ſehr
viel; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun.
Jn dieſem Lande, wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt,
Alles umſonſt, als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/141>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.