bezahlt der Großherr die Kosten seiner Reise baar. Wie ich höre, führt er an Geld 21/2 Million Gulden, außerdem eine Menge von Pretiosen mit sich; an keinem Armen oder Krüppel reiten wir vorüber, dem der Großherr nicht durch einen seiner Leute ein Goldstück schickt. Bei seiner Abreise hat er für die Armen in Schumla 10,000 Gulden hinter- lassen, und dabei ausdrücklich dafür gesorgt, daß das Geld wirklich an die ihm besonders namhaft gemachten Nothlei- denden kömmt, und nicht allzuviel zwischen den Fingern der Austheiler kleben bleibt. Die Jman müssen darüber be- richten. So oft wir zurückkehren, sehe ich Gruppen von Weibern, welche Bittschriften über ihre Köpfe emporhalten. Ein Offizier reitet dann heran, rafft die Zettel zusammen, steckt die ganze Correspondance in seine Satteltaschen, um sie dem Almosenier zu überreichen. Letzthin fuhr der Groß- herr in seinem vierspännigen Phaeton, den er selbst sehr geschickt lenkt; eine arme Frau hielt ihr Papier an einem Stock, so hoch sie konnte, empor, da es aber sehr schnell ging, bemerkte sie Niemand; nur der Großherr sah sie, hielt die Pferde an, schickte einen seiner Offiziere ab und fuhr dann weiter.
Silistria, den 11. Mai 1837.
Heute erst finde ich Muße, meinen Bericht wieder auf- zunehmen. Am 9. ritt ich vor Sonnenaufgang nach einem Dorfe auf der andern Seite des Gebirges; Mittags war ich zurück, fand frische Pferde und begleitete den Groß- herrn bis 5 Uhr; dann wurde ein treffliches Mittagsmahl eingenommen. Wir setzten uns in den Wagen und fuhren die Nacht durch; ich traf um 1 Uhr Nachmittags hier ein und konnte noch am Abend und am folgenden Morgen vor Ankunft des Großherrn den Plan der Festung aufnehmen. Der Großherr hat in seinem Benehmen gegen seine Um- gebung so viel gemüthliche Geradheit und Gutmüthigkeit, daß bei aller Strenge der Etiquette ein Jeder a son aise
bezahlt der Großherr die Koſten ſeiner Reiſe baar. Wie ich hoͤre, fuͤhrt er an Geld 2½ Million Gulden, außerdem eine Menge von Pretioſen mit ſich; an keinem Armen oder Kruͤppel reiten wir voruͤber, dem der Großherr nicht durch einen ſeiner Leute ein Goldſtuͤck ſchickt. Bei ſeiner Abreiſe hat er fuͤr die Armen in Schumla 10,000 Gulden hinter- laſſen, und dabei ausdruͤcklich dafuͤr geſorgt, daß das Geld wirklich an die ihm beſonders namhaft gemachten Nothlei- denden koͤmmt, und nicht allzuviel zwiſchen den Fingern der Austheiler kleben bleibt. Die Jman muͤſſen daruͤber be- richten. So oft wir zuruͤckkehren, ſehe ich Gruppen von Weibern, welche Bittſchriften uͤber ihre Koͤpfe emporhalten. Ein Offizier reitet dann heran, rafft die Zettel zuſammen, ſteckt die ganze Correſpondance in ſeine Satteltaſchen, um ſie dem Almoſenier zu uͤberreichen. Letzthin fuhr der Groß- herr in ſeinem vierſpaͤnnigen Phaeton, den er ſelbſt ſehr geſchickt lenkt; eine arme Frau hielt ihr Papier an einem Stock, ſo hoch ſie konnte, empor, da es aber ſehr ſchnell ging, bemerkte ſie Niemand; nur der Großherr ſah ſie, hielt die Pferde an, ſchickte einen ſeiner Offiziere ab und fuhr dann weiter.
Siliſtria, den 11. Mai 1837.
Heute erſt finde ich Muße, meinen Bericht wieder auf- zunehmen. Am 9. ritt ich vor Sonnenaufgang nach einem Dorfe auf der andern Seite des Gebirges; Mittags war ich zuruͤck, fand friſche Pferde und begleitete den Groß- herrn bis 5 Uhr; dann wurde ein treffliches Mittagsmahl eingenommen. Wir ſetzten uns in den Wagen und fuhren die Nacht durch; ich traf um 1 Uhr Nachmittags hier ein und konnte noch am Abend und am folgenden Morgen vor Ankunft des Großherrn den Plan der Feſtung aufnehmen. Der Großherr hat in ſeinem Benehmen gegen ſeine Um- gebung ſo viel gemuͤthliche Geradheit und Gutmuͤthigkeit, daß bei aller Strenge der Etiquette ein Jeder à son aise
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bezahlt der Großherr die Koſten ſeiner Reiſe baar. Wie
ich hoͤre, fuͤhrt er an Geld 2½ Million Gulden, außerdem
eine Menge von Pretioſen mit ſich; an keinem Armen oder
Kruͤppel reiten wir voruͤber, dem der Großherr nicht durch
einen ſeiner Leute ein Goldſtuͤck ſchickt. Bei ſeiner Abreiſe
hat er fuͤr die Armen in Schumla 10,000 Gulden hinter-
laſſen, und dabei ausdruͤcklich dafuͤr geſorgt, daß das Geld
wirklich an die ihm beſonders namhaft gemachten Nothlei-
denden koͤmmt, und nicht allzuviel zwiſchen den Fingern der
Austheiler kleben bleibt. Die Jman muͤſſen daruͤber be-
richten. So oft wir zuruͤckkehren, ſehe ich Gruppen von
Weibern, welche Bittſchriften uͤber ihre Koͤpfe emporhalten.
Ein Offizier reitet dann heran, rafft die Zettel zuſammen,
ſteckt die ganze Correſpondance in ſeine Satteltaſchen, um
ſie dem Almoſenier zu uͤberreichen. Letzthin fuhr der Groß-
herr in ſeinem vierſpaͤnnigen Phaeton, den er ſelbſt ſehr
geſchickt lenkt; eine arme Frau hielt ihr Papier an einem
Stock, ſo hoch ſie konnte, empor, da es aber ſehr ſchnell
ging, bemerkte ſie Niemand; nur der Großherr ſah ſie,
hielt die Pferde an, ſchickte einen ſeiner Offiziere ab und
fuhr dann weiter.
Siliſtria, den 11. Mai 1837.
Heute erſt finde ich Muße, meinen Bericht wieder auf-
zunehmen. Am 9. ritt ich vor Sonnenaufgang nach einem
Dorfe auf der andern Seite des Gebirges; Mittags war
ich zuruͤck, fand friſche Pferde und begleitete den Groß-
herrn bis 5 Uhr; dann wurde ein treffliches Mittagsmahl
eingenommen. Wir ſetzten uns in den Wagen und fuhren
die Nacht durch; ich traf um 1 Uhr Nachmittags hier ein
und konnte noch am Abend und am folgenden Morgen vor
Ankunft des Großherrn den Plan der Feſtung aufnehmen.
Der Großherr hat in ſeinem Benehmen gegen ſeine Um-
gebung ſo viel gemuͤthliche Geradheit und Gutmuͤthigkeit,
daß bei aller Strenge der Etiquette ein Jeder à son aise
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/142>, abgerufen am 24.11.2024.
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