Wir sind jetzt in der Stadt Kaiser Hadrians ange- kommen, des Römers, der seinen Namen an der Donau und der Tiber, am Euphrat und an der Maritza verewigte. Bereits sechs Tage ruhen wir aus und werden übermor- gen nach Konstantinopel zurückkehren, woselbst der Groß- herr seinen feierlichen Einzug halten will.
Die Lage von Adrianopel erhält einen eigenthümlichen Charakter durch den Zusammenfluß von vier beträchtlichen Strömen: Maritza, Arda, Tundscha und Usundscha; daher die weite, mit Maulbeerbäumen bedeckte Niederung, welche die Stadt einschließt. Adrianopel ist auf einem Hügel er- baut, dessen Gipfel von der prachtvollen Moschee Sultan Selims gekrönt ist. Zahlreiche große Steinbrücken von schöner Arbeit überschreiten die vielen Wasserarme in allen Richtungen, und der Anblick dieser Stadt von außerhalb ist höchst prachtvoll.
Adrianopel war, nachdem die osmanischen Herrscher den europäischen Boden betraten, der Sitz ihrer Regierung, wie Brussa es zuvor gewesen und wie Konstantinopel es später wurde. Das alte Seraj ist noch jetzt erhalten; ich habe es heute mit großem Jnteresse besucht; die Oertlich- keit einer prächtigen Wiese an der Tundscha, überschattet von mächtigen Platanen und Ulmen, ist ganz so, daß sie einladet, ein Zelt aufzuschlagen, keinesweges aber, ein Haus darauf zu bauen, denn im Winter ist Alles rings umher überschwemmt. Hohe Mauern umschließen den ziemlich be- trächtlichen Raum, auf welchem eine Menge regelloser Ge- bäude, einzelne Wohnungen, Bäder, Küchen und Kioske in verschiedenen Höfen vertheilt sind. Einige dieser letztern sind wohl erhalten, sie zeigen sehr schön gearbeitete und überaus reich vergoldete Plafonds, marmorne Bassins, künstlich gearbeitete Gitter und schönes Schnitzwerk. Jn der Mitte des Ganzen erhebt sich ein massives steinernes Gebäude, von einem seltsam geformten Thurm überragt,
Adrianopel, den 1. Juni 1837.
Wir ſind jetzt in der Stadt Kaiſer Hadrians ange- kommen, des Roͤmers, der ſeinen Namen an der Donau und der Tiber, am Euphrat und an der Maritza verewigte. Bereits ſechs Tage ruhen wir aus und werden uͤbermor- gen nach Konſtantinopel zuruͤckkehren, woſelbſt der Groß- herr ſeinen feierlichen Einzug halten will.
Die Lage von Adrianopel erhaͤlt einen eigenthuͤmlichen Charakter durch den Zuſammenfluß von vier betraͤchtlichen Stroͤmen: Maritza, Arda, Tundſcha und Uſundſcha; daher die weite, mit Maulbeerbaͤumen bedeckte Niederung, welche die Stadt einſchließt. Adrianopel iſt auf einem Huͤgel er- baut, deſſen Gipfel von der prachtvollen Moſchee Sultan Selims gekroͤnt iſt. Zahlreiche große Steinbruͤcken von ſchoͤner Arbeit uͤberſchreiten die vielen Waſſerarme in allen Richtungen, und der Anblick dieſer Stadt von außerhalb iſt hoͤchſt prachtvoll.
Adrianopel war, nachdem die osmaniſchen Herrſcher den europaͤiſchen Boden betraten, der Sitz ihrer Regierung, wie Bruſſa es zuvor geweſen und wie Konſtantinopel es ſpaͤter wurde. Das alte Seraj iſt noch jetzt erhalten; ich habe es heute mit großem Jntereſſe beſucht; die Oertlich- keit einer praͤchtigen Wieſe an der Tundſcha, uͤberſchattet von maͤchtigen Platanen und Ulmen, iſt ganz ſo, daß ſie einladet, ein Zelt aufzuſchlagen, keinesweges aber, ein Haus darauf zu bauen, denn im Winter iſt Alles rings umher uͤberſchwemmt. Hohe Mauern umſchließen den ziemlich be- traͤchtlichen Raum, auf welchem eine Menge regelloſer Ge- baͤude, einzelne Wohnungen, Baͤder, Kuͤchen und Kioske in verſchiedenen Hoͤfen vertheilt ſind. Einige dieſer letztern ſind wohl erhalten, ſie zeigen ſehr ſchoͤn gearbeitete und uͤberaus reich vergoldete Plafonds, marmorne Baſſins, kuͤnſtlich gearbeitete Gitter und ſchoͤnes Schnitzwerk. Jn der Mitte des Ganzen erhebt ſich ein maſſives ſteinernes Gebaͤude, von einem ſeltſam geformten Thurm uͤberragt,
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Adrianopel, den 1. Juni 1837.
Wir ſind jetzt in der Stadt Kaiſer Hadrians ange-
kommen, des Roͤmers, der ſeinen Namen an der Donau
und der Tiber, am Euphrat und an der Maritza verewigte.
Bereits ſechs Tage ruhen wir aus und werden uͤbermor-
gen nach Konſtantinopel zuruͤckkehren, woſelbſt der Groß-
herr ſeinen feierlichen Einzug halten will.
Die Lage von Adrianopel erhaͤlt einen eigenthuͤmlichen
Charakter durch den Zuſammenfluß von vier betraͤchtlichen
Stroͤmen: Maritza, Arda, Tundſcha und Uſundſcha; daher
die weite, mit Maulbeerbaͤumen bedeckte Niederung, welche
die Stadt einſchließt. Adrianopel iſt auf einem Huͤgel er-
baut, deſſen Gipfel von der prachtvollen Moſchee Sultan
Selims gekroͤnt iſt. Zahlreiche große Steinbruͤcken von
ſchoͤner Arbeit uͤberſchreiten die vielen Waſſerarme in allen
Richtungen, und der Anblick dieſer Stadt von außerhalb
iſt hoͤchſt prachtvoll.
Adrianopel war, nachdem die osmaniſchen Herrſcher
den europaͤiſchen Boden betraten, der Sitz ihrer Regierung,
wie Bruſſa es zuvor geweſen und wie Konſtantinopel es
ſpaͤter wurde. Das alte Seraj iſt noch jetzt erhalten; ich
habe es heute mit großem Jntereſſe beſucht; die Oertlich-
keit einer praͤchtigen Wieſe an der Tundſcha, uͤberſchattet
von maͤchtigen Platanen und Ulmen, iſt ganz ſo, daß ſie
einladet, ein Zelt aufzuſchlagen, keinesweges aber, ein Haus
darauf zu bauen, denn im Winter iſt Alles rings umher
uͤberſchwemmt. Hohe Mauern umſchließen den ziemlich be-
traͤchtlichen Raum, auf welchem eine Menge regelloſer Ge-
baͤude, einzelne Wohnungen, Baͤder, Kuͤchen und Kioske in
verſchiedenen Hoͤfen vertheilt ſind. Einige dieſer letztern
ſind wohl erhalten, ſie zeigen ſehr ſchoͤn gearbeitete und
uͤberaus reich vergoldete Plafonds, marmorne Baſſins,
kuͤnſtlich gearbeitete Gitter und ſchoͤnes Schnitzwerk. Jn
der Mitte des Ganzen erhebt ſich ein maſſives ſteinernes
Gebaͤude, von einem ſeltſam geformten Thurm uͤberragt,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/153>, abgerufen am 25.11.2024.
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