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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Thorwege sitzt und sein Nargileh, oder die Wasserpfeife,
raucht.

Man begreift nicht, wie die Türken haben leben kön-
nen, ehe die große Erfindung der Pfeife gemacht wurde.
Wirklich waren die Gefährten Osmans, Bajasids und Meh-
mets ein turbulentes Volk, das beständig im Sattel lag
und Länder und Städte eroberte. Seit Suleimans Zeiten
haben sie ihre Nachbarn auch wohl noch manchmal heim-
gesucht, sind aber doch ein wesentlich sitzendes, und heute
ein wesentlich rauchendes Volk geworden, denn selbst die
Frauen "trinken" den Tschibuk.

Jch war kürzlich nach Kjat-hane oder dem Thal der
süßen Wasser geritten, und hatte mich dort auf einen klei-
nen niedrigen Rohrschemel, hinter dicken Platanen, so nahe
an eine Gruppe Frauen herangesetzt, wie die türkische Eti-
quette es erlaubt, d. h. noch ein gutes Endchen ab. Diese
Damen formalisirten sich sehr über eine Parthie Jüdinnen,
welche ebenfalls in einem Kaik von Konstantinopel herüber
gekommen waren und auf dem grünen Sammetteppich der
Wiese spazieren saßen; denn einmal waren sie so schrecklich
entschleiert, daß man das ganze Gesicht von den Augen-
braunen bis zur Oberlippe (letztere jedoch exclusive) zu se-
hen bekam, und dann tranken diese Ungläubigen Brannt-
wein, oder wohl gar Wein. "Schickt sich das?" fragte
eine breite "Kokonnah", "was ziemt sich für eine anstän-
dige Frau? eine Tasse Kaffee, eine Pfeife Taback et voila
tout
!" Dies zur Belehrung für unsere Damen.

Zwei Dinge sind in Konstantinopel zur Vollkommen-
heit gebracht: die Kaiks, von denen ich Dir schon geschrie-
ben, und die Pfeifen. Ein gewisser Grad von Unübertreff-
lichkeit führt zur Uniformität; ein Kaik ist genau wie das
andere, so ist es mit den Pfeifen auch, und ich brauche
Dir nur eine zu beschreiben, so kennst Du die ganze Ka-
tegorie von 28 Millionen (denn in diesem Lande hat Je-
der seine Pfeife).

Thorwege ſitzt und ſein Nargileh, oder die Waſſerpfeife,
raucht.

Man begreift nicht, wie die Tuͤrken haben leben koͤn-
nen, ehe die große Erfindung der Pfeife gemacht wurde.
Wirklich waren die Gefaͤhrten Osmans, Bajaſids und Meh-
mets ein turbulentes Volk, das beſtaͤndig im Sattel lag
und Laͤnder und Staͤdte eroberte. Seit Suleimans Zeiten
haben ſie ihre Nachbarn auch wohl noch manchmal heim-
geſucht, ſind aber doch ein weſentlich ſitzendes, und heute
ein weſentlich rauchendes Volk geworden, denn ſelbſt die
Frauen „trinken“ den Tſchibuk.

Jch war kuͤrzlich nach Kjat-hane oder dem Thal der
ſuͤßen Waſſer geritten, und hatte mich dort auf einen klei-
nen niedrigen Rohrſchemel, hinter dicken Platanen, ſo nahe
an eine Gruppe Frauen herangeſetzt, wie die tuͤrkiſche Eti-
quette es erlaubt, d. h. noch ein gutes Endchen ab. Dieſe
Damen formaliſirten ſich ſehr uͤber eine Parthie Juͤdinnen,
welche ebenfalls in einem Kaik von Konſtantinopel heruͤber
gekommen waren und auf dem gruͤnen Sammetteppich der
Wieſe ſpazieren ſaßen; denn einmal waren ſie ſo ſchrecklich
entſchleiert, daß man das ganze Geſicht von den Augen-
braunen bis zur Oberlippe (letztere jedoch excluſive) zu ſe-
hen bekam, und dann tranken dieſe Unglaͤubigen Brannt-
wein, oder wohl gar Wein. „Schickt ſich das?“ fragte
eine breite „Kokonnah“, „was ziemt ſich fuͤr eine anſtaͤn-
dige Frau? eine Taſſe Kaffee, eine Pfeife Taback et voilà
tout
!“ Dies zur Belehrung fuͤr unſere Damen.

Zwei Dinge ſind in Konſtantinopel zur Vollkommen-
heit gebracht: die Kaiks, von denen ich Dir ſchon geſchrie-
ben, und die Pfeifen. Ein gewiſſer Grad von Unuͤbertreff-
lichkeit fuͤhrt zur Uniformitaͤt; ein Kaik iſt genau wie das
andere, ſo iſt es mit den Pfeifen auch, und ich brauche
Dir nur eine zu beſchreiben, ſo kennſt Du die ganze Ka-
tegorie von 28 Millionen (denn in dieſem Lande hat Je-
der ſeine Pfeife).

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[147/0157] Thorwege ſitzt und ſein Nargileh, oder die Waſſerpfeife, raucht. Man begreift nicht, wie die Tuͤrken haben leben koͤn- nen, ehe die große Erfindung der Pfeife gemacht wurde. Wirklich waren die Gefaͤhrten Osmans, Bajaſids und Meh- mets ein turbulentes Volk, das beſtaͤndig im Sattel lag und Laͤnder und Staͤdte eroberte. Seit Suleimans Zeiten haben ſie ihre Nachbarn auch wohl noch manchmal heim- geſucht, ſind aber doch ein weſentlich ſitzendes, und heute ein weſentlich rauchendes Volk geworden, denn ſelbſt die Frauen „trinken“ den Tſchibuk. Jch war kuͤrzlich nach Kjat-hane oder dem Thal der ſuͤßen Waſſer geritten, und hatte mich dort auf einen klei- nen niedrigen Rohrſchemel, hinter dicken Platanen, ſo nahe an eine Gruppe Frauen herangeſetzt, wie die tuͤrkiſche Eti- quette es erlaubt, d. h. noch ein gutes Endchen ab. Dieſe Damen formaliſirten ſich ſehr uͤber eine Parthie Juͤdinnen, welche ebenfalls in einem Kaik von Konſtantinopel heruͤber gekommen waren und auf dem gruͤnen Sammetteppich der Wieſe ſpazieren ſaßen; denn einmal waren ſie ſo ſchrecklich entſchleiert, daß man das ganze Geſicht von den Augen- braunen bis zur Oberlippe (letztere jedoch excluſive) zu ſe- hen bekam, und dann tranken dieſe Unglaͤubigen Brannt- wein, oder wohl gar Wein. „Schickt ſich das?“ fragte eine breite „Kokonnah“, „was ziemt ſich fuͤr eine anſtaͤn- dige Frau? eine Taſſe Kaffee, eine Pfeife Taback et voilà tout!“ Dies zur Belehrung fuͤr unſere Damen. Zwei Dinge ſind in Konſtantinopel zur Vollkommen- heit gebracht: die Kaiks, von denen ich Dir ſchon geſchrie- ben, und die Pfeifen. Ein gewiſſer Grad von Unuͤbertreff- lichkeit fuͤhrt zur Uniformitaͤt; ein Kaik iſt genau wie das andere, ſo iſt es mit den Pfeifen auch, und ich brauche Dir nur eine zu beſchreiben, ſo kennſt Du die ganze Ka- tegorie von 28 Millionen (denn in dieſem Lande hat Je- der ſeine Pfeife).

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/157>, abgerufen am 25.11.2024.