eine plätschernde Fontaine und eine Tasse Kaffee sind Alles, was der Türke bedarf, um sich 10 bis 12 Stunden des Tages köstlich zu unterhalten. Der "Kjef" oder die gute Laune des Orientalen besteht in einer gleichmüthigen See- lenstimmung mit gänzlicher Vermeidung aller Emotionen. Eine lebhafte Unterhaltung oder nur eine weite Aussicht sind schon Störungen; dagegen erhöht es sehr die Laune, wenn zur Romaika oder Zither der Armenier eine der ein- förmigen, durch das ganze weite Reich gleichtönenden Wei- sen singt, deren Refrain stets Amann, Amann -- "Erbar- men" -- ist, oder wenn griechische Knaben ihre nach un- sern Begriffen höchst anstößigen und ungraziösen Tänze aus- führen. Aber selbst zu singen oder selbst zu tanzen kömmt keinem Moslem in den Sinn; man könnte ihm eben so gut zumuthen, sich zu geißeln, oder spazieren zu gehen.
Jch finde indeß, daß einem Franken auch die reizendste Gegend und selbst die Pfeife nicht Umgang und geistige Mittheilung ersetzen können; damit sieht es nun am schö- nen Bosphorus schlecht aus. Die Diplomaten wohnen in verschiedenen Dörfern, sie sind durch die Entfernung, wie durch Rücksichten getrennt, und die Peroten gehen in ihren Jdeen selten weiter, als die Kaiks, d. h. nicht über die nächste Umgebung hinaus. Jch freue mich daher unbe- schreiblich auf die nahe Ankunft der Offiziere, welche der Großherr vom König erbeten hat. Während andere Mächte sich die größte Mühe gegeben, Offiziere in den türkischen Dienst zu bringen, ohne daß es ihnen gelungen, hat unsere Regierung in dieser Beziehung nur den wiederholten Wün- schen und Anträgen der Pforte nachgegeben, wodurch denn unsere Stellung von der wenig beneidenswerthen der frän- kischen Talimdschis oder Jnstructeure sich wesentlich anders gestaltet hat.
eine plaͤtſchernde Fontaine und eine Taſſe Kaffee ſind Alles, was der Tuͤrke bedarf, um ſich 10 bis 12 Stunden des Tages koͤſtlich zu unterhalten. Der „Kjef“ oder die gute Laune des Orientalen beſteht in einer gleichmuͤthigen See- lenſtimmung mit gaͤnzlicher Vermeidung aller Emotionen. Eine lebhafte Unterhaltung oder nur eine weite Ausſicht ſind ſchon Stoͤrungen; dagegen erhoͤht es ſehr die Laune, wenn zur Romaika oder Zither der Armenier eine der ein- foͤrmigen, durch das ganze weite Reich gleichtoͤnenden Wei- ſen ſingt, deren Refrain ſtets Amann, Amann — „Erbar- men“ — iſt, oder wenn griechiſche Knaben ihre nach un- ſern Begriffen hoͤchſt anſtoͤßigen und ungrazioͤſen Taͤnze aus- fuͤhren. Aber ſelbſt zu ſingen oder ſelbſt zu tanzen koͤmmt keinem Moslem in den Sinn; man koͤnnte ihm eben ſo gut zumuthen, ſich zu geißeln, oder ſpazieren zu gehen.
Jch finde indeß, daß einem Franken auch die reizendſte Gegend und ſelbſt die Pfeife nicht Umgang und geiſtige Mittheilung erſetzen koͤnnen; damit ſieht es nun am ſchoͤ- nen Bosphorus ſchlecht aus. Die Diplomaten wohnen in verſchiedenen Doͤrfern, ſie ſind durch die Entfernung, wie durch Ruͤckſichten getrennt, und die Peroten gehen in ihren Jdeen ſelten weiter, als die Kaiks, d. h. nicht uͤber die naͤchſte Umgebung hinaus. Jch freue mich daher unbe- ſchreiblich auf die nahe Ankunft der Offiziere, welche der Großherr vom Koͤnig erbeten hat. Waͤhrend andere Maͤchte ſich die groͤßte Muͤhe gegeben, Offiziere in den tuͤrkiſchen Dienſt zu bringen, ohne daß es ihnen gelungen, hat unſere Regierung in dieſer Beziehung nur den wiederholten Wuͤn- ſchen und Antraͤgen der Pforte nachgegeben, wodurch denn unſere Stellung von der wenig beneidenswerthen der fraͤn- kiſchen Talimdſchis oder Jnſtructeure ſich weſentlich anders geſtaltet hat.
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eine plaͤtſchernde Fontaine und eine Taſſe Kaffee ſind Alles,
was der Tuͤrke bedarf, um ſich 10 bis 12 Stunden des
Tages koͤſtlich zu unterhalten. Der „Kjef“ oder die gute
Laune des Orientalen beſteht in einer gleichmuͤthigen See-
lenſtimmung mit gaͤnzlicher Vermeidung aller Emotionen.
Eine lebhafte Unterhaltung oder nur eine weite Ausſicht
ſind ſchon Stoͤrungen; dagegen erhoͤht es ſehr die Laune,
wenn zur Romaika oder Zither der Armenier eine der ein-
foͤrmigen, durch das ganze weite Reich gleichtoͤnenden Wei-
ſen ſingt, deren Refrain ſtets Amann, Amann — „Erbar-
men“ — iſt, oder wenn griechiſche Knaben ihre nach un-
ſern Begriffen hoͤchſt anſtoͤßigen und ungrazioͤſen Taͤnze aus-
fuͤhren. Aber ſelbſt zu ſingen oder ſelbſt zu tanzen koͤmmt
keinem Moslem in den Sinn; man koͤnnte ihm eben ſo gut
zumuthen, ſich zu geißeln, oder ſpazieren zu gehen.
Jch finde indeß, daß einem Franken auch die reizendſte
Gegend und ſelbſt die Pfeife nicht Umgang und geiſtige
Mittheilung erſetzen koͤnnen; damit ſieht es nun am ſchoͤ-
nen Bosphorus ſchlecht aus. Die Diplomaten wohnen in
verſchiedenen Doͤrfern, ſie ſind durch die Entfernung, wie
durch Ruͤckſichten getrennt, und die Peroten gehen in ihren
Jdeen ſelten weiter, als die Kaiks, d. h. nicht uͤber die
naͤchſte Umgebung hinaus. Jch freue mich daher unbe-
ſchreiblich auf die nahe Ankunft der Offiziere, welche der
Großherr vom Koͤnig erbeten hat. Waͤhrend andere Maͤchte
ſich die groͤßte Muͤhe gegeben, Offiziere in den tuͤrkiſchen
Dienſt zu bringen, ohne daß es ihnen gelungen, hat unſere
Regierung in dieſer Beziehung nur den wiederholten Wuͤn-
ſchen und Antraͤgen der Pforte nachgegeben, wodurch denn
unſere Stellung von der wenig beneidenswerthen der fraͤn-
kiſchen Talimdſchis oder Jnſtructeure ſich weſentlich anders
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/160>, abgerufen am 25.11.2024.
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