Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Stadt, die Errichtung und Ausbildung von 6000 Mann
Milizen, sind fast ganz das Werk der russischen Occupation
unter dem General Kisseleff. Es ist aber gerecht zu sa-
gen, daß der russische General Manches thun durfte, was
der wallachische Fürst nicht darf, auch ist die Zeit noch zu
kurz, als daß in einem so lange und so schwer bedrängten
Lande ein befriedigender Zustand gedeihen konnte.

Serbien bildet in vielen Beziehungen das Gegenstück
zur Wallachei. Jn Serbien giebt es weder Bojaren noch
andern Adel, weder große Städte, noch einen Hof, sondern
nur Volk und Fürst. Milosch, dieser außerordentliche
Mann, hat mit dem Schwert die Freiheit seiner Landsleute
erkämpft, aber er hat es verschmäht, ihren bürgerlichen
Zustand zu begründen. Gewiß that er recht, das Ansin-
nen derer von der Hand zu weisen, welche Kammern, Wah-
len und Abstimmungen, kurz eine neue Copie der Charte
verite
von der Seine an die Morawa versetzt wissen woll-
ten; aber was dem Lande unstreitig noth that, waren Ge-
setze. Der Fürst hat sich allein die ganze Fülle der Macht
vorbehalten und die Ordnung eines Feldlagers in die Staats-
verwaltung übertragen. Er sieht sich als alleinigen Grund-
herrn im ganzen Umfang seines Fürstenthums an, weil, als
die Türken diese Gegenden unterwarfen, das Eigenthums-
recht der Serben erlosch und auf den Sultan überging.
Milosch betrachtet die jetzigen Besitzer von Ländereien nur
als Lehnsmänner, nicht als Eigenthümer. Jhre Söhne
erben das Gut, allein sie können es nicht an Nebenver-
wandte vermachen. Die Serben glauben aber, mit ihrem
Blut das Recht ihrer Väter wieder erkauft zu haben.
Endlich scheint es, daß Milosch allen Handelsverkehr an
sich gerissen hat, namentlich den für Serbien so wichtigen
und einträglichen Schweinehandel, in welchem Geschäft die-
ser Fürst aufgewachsen ist. Er hat dadurch unermeßliche
Reichthümer angehäuft, und dies Monopol hat weit mehr
als gewisse blutige Rechtsentscheidungen Reactionen herbei-
geführt.

Stadt, die Errichtung und Ausbildung von 6000 Mann
Milizen, ſind faſt ganz das Werk der ruſſiſchen Occupation
unter dem General Kiſſeleff. Es iſt aber gerecht zu ſa-
gen, daß der ruſſiſche General Manches thun durfte, was
der wallachiſche Fuͤrſt nicht darf, auch iſt die Zeit noch zu
kurz, als daß in einem ſo lange und ſo ſchwer bedraͤngten
Lande ein befriedigender Zuſtand gedeihen konnte.

Serbien bildet in vielen Beziehungen das Gegenſtuͤck
zur Wallachei. Jn Serbien giebt es weder Bojaren noch
andern Adel, weder große Staͤdte, noch einen Hof, ſondern
nur Volk und Fuͤrſt. Miloſch, dieſer außerordentliche
Mann, hat mit dem Schwert die Freiheit ſeiner Landsleute
erkaͤmpft, aber er hat es verſchmaͤht, ihren buͤrgerlichen
Zuſtand zu begruͤnden. Gewiß that er recht, das Anſin-
nen derer von der Hand zu weiſen, welche Kammern, Wah-
len und Abſtimmungen, kurz eine neue Copie der Charte
vérité
von der Seine an die Morawa verſetzt wiſſen woll-
ten; aber was dem Lande unſtreitig noth that, waren Ge-
ſetze. Der Fuͤrſt hat ſich allein die ganze Fuͤlle der Macht
vorbehalten und die Ordnung eines Feldlagers in die Staats-
verwaltung uͤbertragen. Er ſieht ſich als alleinigen Grund-
herrn im ganzen Umfang ſeines Fuͤrſtenthums an, weil, als
die Tuͤrken dieſe Gegenden unterwarfen, das Eigenthums-
recht der Serben erloſch und auf den Sultan uͤberging.
Miloſch betrachtet die jetzigen Beſitzer von Laͤndereien nur
als Lehnsmaͤnner, nicht als Eigenthuͤmer. Jhre Soͤhne
erben das Gut, allein ſie koͤnnen es nicht an Nebenver-
wandte vermachen. Die Serben glauben aber, mit ihrem
Blut das Recht ihrer Vaͤter wieder erkauft zu haben.
Endlich ſcheint es, daß Miloſch allen Handelsverkehr an
ſich geriſſen hat, namentlich den fuͤr Serbien ſo wichtigen
und eintraͤglichen Schweinehandel, in welchem Geſchaͤft die-
ſer Fuͤrſt aufgewachſen iſt. Er hat dadurch unermeßliche
Reichthuͤmer angehaͤuft, und dies Monopol hat weit mehr
als gewiſſe blutige Rechtsentſcheidungen Reactionen herbei-
gefuͤhrt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="9"/>
Stadt, die Errichtung und Ausbildung von 6000 Mann<lb/>
Milizen, &#x017F;ind fa&#x017F;t ganz das Werk der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Occupation<lb/>
unter dem General <hi rendition="#g">Ki&#x017F;&#x017F;eleff</hi>. Es i&#x017F;t aber gerecht zu &#x017F;a-<lb/>
gen, daß der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che General Manches thun durfte, was<lb/>
der wallachi&#x017F;che Fu&#x0364;r&#x017F;t nicht darf, auch i&#x017F;t die Zeit noch zu<lb/>
kurz, als daß in einem &#x017F;o lange und &#x017F;o &#x017F;chwer bedra&#x0364;ngten<lb/>
Lande ein befriedigender Zu&#x017F;tand gedeihen konnte.</p><lb/>
        <p>Serbien bildet in vielen Beziehungen das Gegen&#x017F;tu&#x0364;ck<lb/>
zur Wallachei. Jn Serbien giebt es weder Bojaren noch<lb/>
andern Adel, weder große Sta&#x0364;dte, noch einen Hof, &#x017F;ondern<lb/>
nur Volk und Fu&#x0364;r&#x017F;t. <hi rendition="#g">Milo&#x017F;ch</hi>, die&#x017F;er außerordentliche<lb/>
Mann, hat mit dem Schwert die Freiheit &#x017F;einer Landsleute<lb/>
erka&#x0364;mpft, aber er hat es ver&#x017F;chma&#x0364;ht, ihren bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Zu&#x017F;tand zu begru&#x0364;nden. Gewiß that er recht, das An&#x017F;in-<lb/>
nen derer von der Hand zu wei&#x017F;en, welche Kammern, Wah-<lb/>
len und Ab&#x017F;timmungen, kurz eine neue Copie der <hi rendition="#aq">Charte<lb/>
vérité</hi> von der Seine an die Morawa ver&#x017F;etzt wi&#x017F;&#x017F;en woll-<lb/>
ten; aber was dem Lande un&#x017F;treitig noth that, waren Ge-<lb/>
&#x017F;etze. Der Fu&#x0364;r&#x017F;t hat &#x017F;ich allein die ganze Fu&#x0364;lle der Macht<lb/>
vorbehalten und die Ordnung eines Feldlagers in die Staats-<lb/>
verwaltung u&#x0364;bertragen. Er &#x017F;ieht &#x017F;ich als alleinigen Grund-<lb/>
herrn im ganzen Umfang &#x017F;eines Fu&#x0364;r&#x017F;tenthums an, weil, als<lb/>
die Tu&#x0364;rken die&#x017F;e Gegenden unterwarfen, das Eigenthums-<lb/>
recht der Serben erlo&#x017F;ch und auf den Sultan u&#x0364;berging.<lb/><hi rendition="#g">Milo&#x017F;ch</hi> betrachtet die jetzigen Be&#x017F;itzer von La&#x0364;ndereien nur<lb/>
als Lehnsma&#x0364;nner, nicht als Eigenthu&#x0364;mer. Jhre So&#x0364;hne<lb/>
erben das Gut, allein &#x017F;ie ko&#x0364;nnen es nicht an Nebenver-<lb/>
wandte vermachen. Die Serben glauben aber, mit ihrem<lb/>
Blut das Recht ihrer Va&#x0364;ter wieder erkauft zu haben.<lb/>
Endlich &#x017F;cheint es, daß <hi rendition="#g">Milo&#x017F;ch</hi> allen Handelsverkehr an<lb/>
&#x017F;ich geri&#x017F;&#x017F;en hat, namentlich den fu&#x0364;r Serbien &#x017F;o wichtigen<lb/>
und eintra&#x0364;glichen Schweinehandel, in welchem Ge&#x017F;cha&#x0364;ft die-<lb/>
&#x017F;er Fu&#x0364;r&#x017F;t aufgewach&#x017F;en i&#x017F;t. Er hat dadurch unermeßliche<lb/>
Reichthu&#x0364;mer angeha&#x0364;uft, und dies Monopol hat weit mehr<lb/>
als gewi&#x017F;&#x017F;e blutige Rechtsent&#x017F;cheidungen Reactionen herbei-<lb/>
gefu&#x0364;hrt.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0019] Stadt, die Errichtung und Ausbildung von 6000 Mann Milizen, ſind faſt ganz das Werk der ruſſiſchen Occupation unter dem General Kiſſeleff. Es iſt aber gerecht zu ſa- gen, daß der ruſſiſche General Manches thun durfte, was der wallachiſche Fuͤrſt nicht darf, auch iſt die Zeit noch zu kurz, als daß in einem ſo lange und ſo ſchwer bedraͤngten Lande ein befriedigender Zuſtand gedeihen konnte. Serbien bildet in vielen Beziehungen das Gegenſtuͤck zur Wallachei. Jn Serbien giebt es weder Bojaren noch andern Adel, weder große Staͤdte, noch einen Hof, ſondern nur Volk und Fuͤrſt. Miloſch, dieſer außerordentliche Mann, hat mit dem Schwert die Freiheit ſeiner Landsleute erkaͤmpft, aber er hat es verſchmaͤht, ihren buͤrgerlichen Zuſtand zu begruͤnden. Gewiß that er recht, das Anſin- nen derer von der Hand zu weiſen, welche Kammern, Wah- len und Abſtimmungen, kurz eine neue Copie der Charte vérité von der Seine an die Morawa verſetzt wiſſen woll- ten; aber was dem Lande unſtreitig noth that, waren Ge- ſetze. Der Fuͤrſt hat ſich allein die ganze Fuͤlle der Macht vorbehalten und die Ordnung eines Feldlagers in die Staats- verwaltung uͤbertragen. Er ſieht ſich als alleinigen Grund- herrn im ganzen Umfang ſeines Fuͤrſtenthums an, weil, als die Tuͤrken dieſe Gegenden unterwarfen, das Eigenthums- recht der Serben erloſch und auf den Sultan uͤberging. Miloſch betrachtet die jetzigen Beſitzer von Laͤndereien nur als Lehnsmaͤnner, nicht als Eigenthuͤmer. Jhre Soͤhne erben das Gut, allein ſie koͤnnen es nicht an Nebenver- wandte vermachen. Die Serben glauben aber, mit ihrem Blut das Recht ihrer Vaͤter wieder erkauft zu haben. Endlich ſcheint es, daß Miloſch allen Handelsverkehr an ſich geriſſen hat, namentlich den fuͤr Serbien ſo wichtigen und eintraͤglichen Schweinehandel, in welchem Geſchaͤft die- ſer Fuͤrſt aufgewachſen iſt. Er hat dadurch unermeßliche Reichthuͤmer angehaͤuft, und dies Monopol hat weit mehr als gewiſſe blutige Rechtsentſcheidungen Reactionen herbei- gefuͤhrt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/19
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/19>, abgerufen am 05.05.2024.