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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Zwar widerstanden die Mauern des Theodosius einer
Belagerung von 200,000 Osmanen unter Amurat II., aber
die Muselmänner breiteten sich in Asien wie in Europa aus.
Sie besetzten Gallipolis, ihren Uebergangspunkt, und mach-
ten Adrianopel zu ihrer Residenz; schon erhob sich eine tür-
kische Burg auf dem asiatischen Ufer an der schmalsten
Stelle des Bosphorus, und Mohammed der Eroberer grün-
dete eine noch gewaltigere auf der europäischen Seite, nur
anderthalb Meilen von dem Herrschersitz der Kaiser ent-
fernt. Das römische Reich erstreckte seine Grenzen nicht
mehr über die Mauern der Hauptstadt hinaus.

Jm Jahre 1453 begann Mohammed der Eroberer die
letzte Belagerung, welche Konstantinopel bis auf jetzige Zeit
erlebt hat. Seine Schaaren zählten 250,000 Streiter und
verschanzten sich der Landfront gegenüber vom Propontis
bis an den Hafen. Dem Herkommen gemäß standen hier
auf europäischem Boden die europäischen Kriegsvölker auf
dem rechten, die asiatischen auf dem linken Flügel; im Cen-
trum aber pflanzte Mohammed seine Banner, gedeckt durch
18,000 Janitscharen, dem Thurm des heiligen Romanus
gegenüber auf. -- Eine genaue Zählung verrieth dem Kai-
ser das traurige Geheimniß, daß nur 4970 "Römer" be-
reit seien, die Waffen zur Vertheidigung ihres Heerdes und
ihres Glaubens zu ergreifen. Die Griechen setzten ihre
Hoffnung auf 2000 Ausländer unter Johann Giustiniani,
einen genuesischen Edlen. Der Hafen wurde abermals durch
eine Kette gesperrt, welche italienische und griechische Schiffe
vertheidigten, denn Mohammed hatte zwar 320 Seegel auf
dem Bosphor, aber nur achtzehn davon waren Kriegs-
schiffe.

Eine neue Erfindung in der Kriegskunst hätte das
Gleichgewicht der civilisirtern Christen gegen die begeister-
ten Schaaren des Jslam herstellen können; das Schieß-
pulver wurde eben damals als Kriegsmaterial in Anwen-
dung gebracht; aber wir finden das Geheimniß desselben
den Ungläubigen überliefert und weit nachdrücklicher von

Zwar widerſtanden die Mauern des Theodoſius einer
Belagerung von 200,000 Osmanen unter Amurat II., aber
die Muſelmaͤnner breiteten ſich in Aſien wie in Europa aus.
Sie beſetzten Gallipolis, ihren Uebergangspunkt, und mach-
ten Adrianopel zu ihrer Reſidenz; ſchon erhob ſich eine tuͤr-
kiſche Burg auf dem aſiatiſchen Ufer an der ſchmalſten
Stelle des Bosphorus, und Mohammed der Eroberer gruͤn-
dete eine noch gewaltigere auf der europaͤiſchen Seite, nur
anderthalb Meilen von dem Herrſcherſitz der Kaiſer ent-
fernt. Das roͤmiſche Reich erſtreckte ſeine Grenzen nicht
mehr uͤber die Mauern der Hauptſtadt hinaus.

Jm Jahre 1453 begann Mohammed der Eroberer die
letzte Belagerung, welche Konſtantinopel bis auf jetzige Zeit
erlebt hat. Seine Schaaren zaͤhlten 250,000 Streiter und
verſchanzten ſich der Landfront gegenuͤber vom Propontis
bis an den Hafen. Dem Herkommen gemaͤß ſtanden hier
auf europaͤiſchem Boden die europaͤiſchen Kriegsvoͤlker auf
dem rechten, die aſiatiſchen auf dem linken Fluͤgel; im Cen-
trum aber pflanzte Mohammed ſeine Banner, gedeckt durch
18,000 Janitſcharen, dem Thurm des heiligen Romanus
gegenuͤber auf. — Eine genaue Zaͤhlung verrieth dem Kai-
ſer das traurige Geheimniß, daß nur 4970 „Roͤmer“ be-
reit ſeien, die Waffen zur Vertheidigung ihres Heerdes und
ihres Glaubens zu ergreifen. Die Griechen ſetzten ihre
Hoffnung auf 2000 Auslaͤnder unter Johann Giuſtiniani,
einen genueſiſchen Edlen. Der Hafen wurde abermals durch
eine Kette geſperrt, welche italieniſche und griechiſche Schiffe
vertheidigten, denn Mohammed hatte zwar 320 Seegel auf
dem Bosphor, aber nur achtzehn davon waren Kriegs-
ſchiffe.

Eine neue Erfindung in der Kriegskunſt haͤtte das
Gleichgewicht der civiliſirtern Chriſten gegen die begeiſter-
ten Schaaren des Jslam herſtellen koͤnnen; das Schieß-
pulver wurde eben damals als Kriegsmaterial in Anwen-
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[190/0200] Zwar widerſtanden die Mauern des Theodoſius einer Belagerung von 200,000 Osmanen unter Amurat II., aber die Muſelmaͤnner breiteten ſich in Aſien wie in Europa aus. Sie beſetzten Gallipolis, ihren Uebergangspunkt, und mach- ten Adrianopel zu ihrer Reſidenz; ſchon erhob ſich eine tuͤr- kiſche Burg auf dem aſiatiſchen Ufer an der ſchmalſten Stelle des Bosphorus, und Mohammed der Eroberer gruͤn- dete eine noch gewaltigere auf der europaͤiſchen Seite, nur anderthalb Meilen von dem Herrſcherſitz der Kaiſer ent- fernt. Das roͤmiſche Reich erſtreckte ſeine Grenzen nicht mehr uͤber die Mauern der Hauptſtadt hinaus. Jm Jahre 1453 begann Mohammed der Eroberer die letzte Belagerung, welche Konſtantinopel bis auf jetzige Zeit erlebt hat. Seine Schaaren zaͤhlten 250,000 Streiter und verſchanzten ſich der Landfront gegenuͤber vom Propontis bis an den Hafen. Dem Herkommen gemaͤß ſtanden hier auf europaͤiſchem Boden die europaͤiſchen Kriegsvoͤlker auf dem rechten, die aſiatiſchen auf dem linken Fluͤgel; im Cen- trum aber pflanzte Mohammed ſeine Banner, gedeckt durch 18,000 Janitſcharen, dem Thurm des heiligen Romanus gegenuͤber auf. — Eine genaue Zaͤhlung verrieth dem Kai- ſer das traurige Geheimniß, daß nur 4970 „Roͤmer“ be- reit ſeien, die Waffen zur Vertheidigung ihres Heerdes und ihres Glaubens zu ergreifen. Die Griechen ſetzten ihre Hoffnung auf 2000 Auslaͤnder unter Johann Giuſtiniani, einen genueſiſchen Edlen. Der Hafen wurde abermals durch eine Kette geſperrt, welche italieniſche und griechiſche Schiffe vertheidigten, denn Mohammed hatte zwar 320 Seegel auf dem Bosphor, aber nur achtzehn davon waren Kriegs- ſchiffe. Eine neue Erfindung in der Kriegskunſt haͤtte das Gleichgewicht der civiliſirtern Chriſten gegen die begeiſter- ten Schaaren des Jslam herſtellen koͤnnen; das Schieß- pulver wurde eben damals als Kriegsmaterial in Anwen- dung gebracht; aber wir finden das Geheimniß deſſelben den Unglaͤubigen uͤberliefert und weit nachdruͤcklicher von

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/200>, abgerufen am 28.11.2024.