römische Reich sehen wir das christliche Europa groß und mächtig, mit unermeßlichen Reichthümern, gewaltigen Flot- ten und furchtbaren Heeren in stetem Fortschreiten begrif- fen; das Morgenland hingegen, das reiche Morgenland, welches einst die Wiege der Gesittung war, durch seine Religion in enge Grenzen gebannt, ist stehen geblieben in Barbarei.
Ehe es so weit gekommen, waren es Oesterreich und Rußland, welche Europa gegen den Andrang der Musel- männer zu schützen hatten. Rußland that es mit besserm Erfolg, Oesterreich mit größerm Ruhm. Man darf über das Gelingen jener Kämpfe nie vergessen, daß die deut- schen Kaiser gegen das kräftige, die Czaare gegen das be- reits hinfällige Reich Osmans rangen. Oesterreichs lange Operationslinien führten durch ausgedehnte, halb wilde Länder, in die wegelosesten Provinzen, welche von den streit- barsten Völkerschaften des türkischen Staats, den Bosnia- ken, Serben und Arnauten, bewohnt sind, die noch heute ihre kriegerischen Tugenden bewährt haben. Rußland fand eine unermeßliche Hülfe in der Glaubensverwandtschaft der Bewohner und in der Seeverbindung mit den Küstenlän- dern der Türkei. Aber zu einem so furchtbaren Feinde ist auch Rußland herangewachsen, daß es der Freund und Beschützer des unmündig gewordenen Gegners werden konnte. Wenn es nun dahin gekommen ist, daß alle europäischen Nachbarn sich zu Vertheidigern des einst so gefürchteten Türkenreichs erklären, weil alle den Umsturz desselben fürch- ten, so begreift man, wie die endliche Lösung der großen Frage leicht noch einmal unter die alten Mauern von By- zanz gerückt werden kann.
roͤmiſche Reich ſehen wir das chriſtliche Europa groß und maͤchtig, mit unermeßlichen Reichthuͤmern, gewaltigen Flot- ten und furchtbaren Heeren in ſtetem Fortſchreiten begrif- fen; das Morgenland hingegen, das reiche Morgenland, welches einſt die Wiege der Geſittung war, durch ſeine Religion in enge Grenzen gebannt, iſt ſtehen geblieben in Barbarei.
Ehe es ſo weit gekommen, waren es Oeſterreich und Rußland, welche Europa gegen den Andrang der Muſel- maͤnner zu ſchuͤtzen hatten. Rußland that es mit beſſerm Erfolg, Oeſterreich mit groͤßerm Ruhm. Man darf uͤber das Gelingen jener Kaͤmpfe nie vergeſſen, daß die deut- ſchen Kaiſer gegen das kraͤftige, die Czaare gegen das be- reits hinfaͤllige Reich Osmans rangen. Oeſterreichs lange Operationslinien fuͤhrten durch ausgedehnte, halb wilde Laͤnder, in die wegeloſeſten Provinzen, welche von den ſtreit- barſten Voͤlkerſchaften des tuͤrkiſchen Staats, den Bosnia- ken, Serben und Arnauten, bewohnt ſind, die noch heute ihre kriegeriſchen Tugenden bewaͤhrt haben. Rußland fand eine unermeßliche Huͤlfe in der Glaubensverwandtſchaft der Bewohner und in der Seeverbindung mit den Kuͤſtenlaͤn- dern der Tuͤrkei. Aber zu einem ſo furchtbaren Feinde iſt auch Rußland herangewachſen, daß es der Freund und Beſchuͤtzer des unmuͤndig gewordenen Gegners werden konnte. Wenn es nun dahin gekommen iſt, daß alle europaͤiſchen Nachbarn ſich zu Vertheidigern des einſt ſo gefuͤrchteten Tuͤrkenreichs erklaͤren, weil alle den Umſturz deſſelben fuͤrch- ten, ſo begreift man, wie die endliche Loͤſung der großen Frage leicht noch einmal unter die alten Mauern von By- zanz geruͤckt werden kann.
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roͤmiſche Reich ſehen wir das chriſtliche Europa groß und
maͤchtig, mit unermeßlichen Reichthuͤmern, gewaltigen Flot-
ten und furchtbaren Heeren in ſtetem Fortſchreiten begrif-
fen; das Morgenland hingegen, das reiche Morgenland,
welches einſt die Wiege der Geſittung war, durch ſeine
Religion in enge Grenzen gebannt, iſt ſtehen geblieben in
Barbarei.
Ehe es ſo weit gekommen, waren es Oeſterreich und
Rußland, welche Europa gegen den Andrang der Muſel-
maͤnner zu ſchuͤtzen hatten. Rußland that es mit beſſerm
Erfolg, Oeſterreich mit groͤßerm Ruhm. Man darf uͤber
das Gelingen jener Kaͤmpfe nie vergeſſen, daß die deut-
ſchen Kaiſer gegen das kraͤftige, die Czaare gegen das be-
reits hinfaͤllige Reich Osmans rangen. Oeſterreichs lange
Operationslinien fuͤhrten durch ausgedehnte, halb wilde
Laͤnder, in die wegeloſeſten Provinzen, welche von den ſtreit-
barſten Voͤlkerſchaften des tuͤrkiſchen Staats, den Bosnia-
ken, Serben und Arnauten, bewohnt ſind, die noch heute
ihre kriegeriſchen Tugenden bewaͤhrt haben. Rußland fand
eine unermeßliche Huͤlfe in der Glaubensverwandtſchaft der
Bewohner und in der Seeverbindung mit den Kuͤſtenlaͤn-
dern der Tuͤrkei. Aber zu einem ſo furchtbaren Feinde iſt
auch Rußland herangewachſen, daß es der Freund und
Beſchuͤtzer des unmuͤndig gewordenen Gegners werden konnte.
Wenn es nun dahin gekommen iſt, daß alle europaͤiſchen
Nachbarn ſich zu Vertheidigern des einſt ſo gefuͤrchteten
Tuͤrkenreichs erklaͤren, weil alle den Umſturz deſſelben fuͤrch-
ten, ſo begreift man, wie die endliche Loͤſung der großen
Frage leicht noch einmal unter die alten Mauern von By-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/207>, abgerufen am 28.11.2024.
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