welche den stolzen Titel der römischen Kaiser führten, eine ganz andere Bedeutung gehabt, als für die gewaltigen Sul- tane, deren Heere den Halbmond nach Ungarn und Oester- reich, nach Egypten und Persien trugen. Unsere jetzige Zeit nun erlebt einen neuen Umschwung der Weltverhält- nisse, und jene merkwürdigen alten Thürme und Gräben scheinen abermals ihre frühere Wichtigkeit wieder gewin- nen zu sollen.
Die christliche Religion war im Orient in der That zu einer Art Götzendienst herabgesunken, als sie dem neuen Glauben erlag, welcher die Lehre von der Einheit eines höchsten, rein geistigen Wesens aus dem ursprünglichen Christen- und Judenthume mit hinübergenommen und ihn zur Grundlage gemacht hatte: "Allah il Allah!" "Es giebt nur einen Gott". Aber von dieser erhabenen und reinen Lehre geht der Mohamedanismus über zu solchen Gesetzen und Bestimmungen, daß er der Fortbildung der Gesellschaft durchaus hindernd in den Weg tritt. Der Uebermuth des Sieges, die Trägheit, welche ein glücklicher Himmel und ein reicher Boden nährt, aber ganz besonders die Religion machte den Orient stationair.
Wie sehr das ursprüngliche Christenthum auch im Abend- lande von spätern Hinzufügungen, von Menschensatzungen und von Erklärungen des Unerklärlichen überlagert war, so bestand doch das Wesentliche, Unvergängliche und wahr- haft Göttliche heilbringend fort. Die erhabene Moral der Bergpredigt mußte zur sittlichen Veredlung führen; Gesetz und Recht traten an die Stelle der rohen Gewalt, und nachdem eine große Umwälzung meist innerhalb der Gren- zen germanischer Stämme zur Gedankenfreiheit geführt, ver- breitete sich das Licht der Wissenschaft nicht als Feind, sondern als nothwendige Folge der christlichen Religion. Das Recht erzeugte die Sicherheit, in deren Schutz Künste und Gewerbe empor blühten, und der Glaube war es, wel- cher in diesem Sinne Meere bahnte und Berge versetzte. Drei Jahrhunderte nach dem Siege des Jslam über das
welche den ſtolzen Titel der roͤmiſchen Kaiſer fuͤhrten, eine ganz andere Bedeutung gehabt, als fuͤr die gewaltigen Sul- tane, deren Heere den Halbmond nach Ungarn und Oeſter- reich, nach Egypten und Perſien trugen. Unſere jetzige Zeit nun erlebt einen neuen Umſchwung der Weltverhaͤlt- niſſe, und jene merkwuͤrdigen alten Thuͤrme und Graͤben ſcheinen abermals ihre fruͤhere Wichtigkeit wieder gewin- nen zu ſollen.
Die chriſtliche Religion war im Orient in der That zu einer Art Goͤtzendienſt herabgeſunken, als ſie dem neuen Glauben erlag, welcher die Lehre von der Einheit eines hoͤchſten, rein geiſtigen Weſens aus dem urſpruͤnglichen Chriſten- und Judenthume mit hinuͤbergenommen und ihn zur Grundlage gemacht hatte: „Allah il Allah!“ „Es giebt nur einen Gott“. Aber von dieſer erhabenen und reinen Lehre geht der Mohamedanismus uͤber zu ſolchen Geſetzen und Beſtimmungen, daß er der Fortbildung der Geſellſchaft durchaus hindernd in den Weg tritt. Der Uebermuth des Sieges, die Traͤgheit, welche ein gluͤcklicher Himmel und ein reicher Boden naͤhrt, aber ganz beſonders die Religion machte den Orient ſtationair.
Wie ſehr das urſpruͤngliche Chriſtenthum auch im Abend- lande von ſpaͤtern Hinzufuͤgungen, von Menſchenſatzungen und von Erklaͤrungen des Unerklaͤrlichen uͤberlagert war, ſo beſtand doch das Weſentliche, Unvergaͤngliche und wahr- haft Goͤttliche heilbringend fort. Die erhabene Moral der Bergpredigt mußte zur ſittlichen Veredlung fuͤhren; Geſetz und Recht traten an die Stelle der rohen Gewalt, und nachdem eine große Umwaͤlzung meiſt innerhalb der Gren- zen germaniſcher Staͤmme zur Gedankenfreiheit gefuͤhrt, ver- breitete ſich das Licht der Wiſſenſchaft nicht als Feind, ſondern als nothwendige Folge der chriſtlichen Religion. Das Recht erzeugte die Sicherheit, in deren Schutz Kuͤnſte und Gewerbe empor bluͤhten, und der Glaube war es, wel- cher in dieſem Sinne Meere bahnte und Berge verſetzte. Drei Jahrhunderte nach dem Siege des Jslam uͤber das
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welche den ſtolzen Titel der roͤmiſchen Kaiſer fuͤhrten, eine
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reich, nach Egypten und Perſien trugen. Unſere jetzige
Zeit nun erlebt einen neuen Umſchwung der Weltverhaͤlt-
niſſe, und jene merkwuͤrdigen alten Thuͤrme und Graͤben
ſcheinen abermals ihre fruͤhere Wichtigkeit wieder gewin-
nen zu ſollen.
Die chriſtliche Religion war im Orient in der That
zu einer Art Goͤtzendienſt herabgeſunken, als ſie dem neuen
Glauben erlag, welcher die Lehre von der Einheit eines
hoͤchſten, rein geiſtigen Weſens aus dem urſpruͤnglichen
Chriſten- und Judenthume mit hinuͤbergenommen und ihn
zur Grundlage gemacht hatte: „Allah il Allah!“ „Es giebt
nur einen Gott“. Aber von dieſer erhabenen und reinen
Lehre geht der Mohamedanismus uͤber zu ſolchen Geſetzen
und Beſtimmungen, daß er der Fortbildung der Geſellſchaft
durchaus hindernd in den Weg tritt. Der Uebermuth des
Sieges, die Traͤgheit, welche ein gluͤcklicher Himmel und
ein reicher Boden naͤhrt, aber ganz beſonders die Religion
machte den Orient ſtationair.
Wie ſehr das urſpruͤngliche Chriſtenthum auch im Abend-
lande von ſpaͤtern Hinzufuͤgungen, von Menſchenſatzungen
und von Erklaͤrungen des Unerklaͤrlichen uͤberlagert war,
ſo beſtand doch das Weſentliche, Unvergaͤngliche und wahr-
haft Goͤttliche heilbringend fort. Die erhabene Moral der
Bergpredigt mußte zur ſittlichen Veredlung fuͤhren; Geſetz
und Recht traten an die Stelle der rohen Gewalt, und
nachdem eine große Umwaͤlzung meiſt innerhalb der Gren-
zen germaniſcher Staͤmme zur Gedankenfreiheit gefuͤhrt, ver-
breitete ſich das Licht der Wiſſenſchaft nicht als Feind,
ſondern als nothwendige Folge der chriſtlichen Religion.
Das Recht erzeugte die Sicherheit, in deren Schutz Kuͤnſte
und Gewerbe empor bluͤhten, und der Glaube war es, wel-
cher in dieſem Sinne Meere bahnte und Berge verſetzte.
Drei Jahrhunderte nach dem Siege des Jslam uͤber das
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/206>, abgerufen am 28.11.2024.
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