Wege getreten, und wie man in solchem einen Fuß hohen Schlitten durch drei Fuß tiefe Ueberschwemmungen fährt, magst Du Dir denken. Man wurde eben in vollem Ren- nen durchgeschleift.
Das Schlimmste für den europäischen Reisenden in die- sen Ländern ist der gänzliche Mangel an Gasthöfen. Wenn man hungrig, durchnäßt und halb erstarrt Abends in eine Stadt kommt, so findet man für Geld weder eine warme Stube, noch ein Bett, noch ein Abendessen. Es bedurfte eines Schreibens des Fürsten, um uns zu Gjurgew Auf- nahme in eine Privatwohnung zu verschaffen.
Man sieht in dieser Stadt noch deutlich genug die Spuren der Verwüstung aus den letzten Kriegen. Die Festungswerke nach der Landseite sind geschleift, an der Donau sind dagegen einige revetirte Bollwerke stehen ge- blieben. Die Lage an dem schiffbaren Strom wird aber gewiß den Ort bald wieder heben, und schon jetzt steigen außer den Kirchen mit ihren byzantinischen Kuppelthürmen einzelne stattliche steinerne Gebäude empor.
Am folgenden Morgen setzten wir über den hier sehr breiten Strom, welcher an dieser Stelle mehrere Jnseln bildet. Der Wind half uns gegen die starke Strömung hinauf, denn Gjurgew liegt etwas unterhalb Rustschuk. Dort betraten wir den türkischen Boden, und waren nach der Quarantainen-Sprache "vermischt".
Alles in dieser Stadt erschien uns neu und außeror- dentlich. Wir sahen mit eben so viel Erstaunen um uns, als wir von den Einwohnern mit Erstaunen angesehen wur- den. Unser Weg führte uns am Pallast des Pascha's vor- über, einem großen baufälligen Hause aus Fachwerk mit vergitterten Fenstern und weit hervorragendem Dach. Ge- genüber, auf einem freien Platz, standen einige Kanonen. Hierauf durchwanderten wir den Basar, eine lange Straße zwischen zwei Reihen von Buden, deren Dächer fast zu- sammenstießen, so daß man einigermaßen gegen Sonne oder Regen geschützt geht. Pfeifen, Pferdegeschirr, baumwollene
Wege getreten, und wie man in ſolchem einen Fuß hohen Schlitten durch drei Fuß tiefe Ueberſchwemmungen faͤhrt, magſt Du Dir denken. Man wurde eben in vollem Ren- nen durchgeſchleift.
Das Schlimmſte fuͤr den europaͤiſchen Reiſenden in die- ſen Laͤndern iſt der gaͤnzliche Mangel an Gaſthoͤfen. Wenn man hungrig, durchnaͤßt und halb erſtarrt Abends in eine Stadt kommt, ſo findet man fuͤr Geld weder eine warme Stube, noch ein Bett, noch ein Abendeſſen. Es bedurfte eines Schreibens des Fuͤrſten, um uns zu Gjurgew Auf- nahme in eine Privatwohnung zu verſchaffen.
Man ſieht in dieſer Stadt noch deutlich genug die Spuren der Verwuͤſtung aus den letzten Kriegen. Die Feſtungswerke nach der Landſeite ſind geſchleift, an der Donau ſind dagegen einige revetirte Bollwerke ſtehen ge- blieben. Die Lage an dem ſchiffbaren Strom wird aber gewiß den Ort bald wieder heben, und ſchon jetzt ſteigen außer den Kirchen mit ihren byzantiniſchen Kuppelthuͤrmen einzelne ſtattliche ſteinerne Gebaͤude empor.
Am folgenden Morgen ſetzten wir uͤber den hier ſehr breiten Strom, welcher an dieſer Stelle mehrere Jnſeln bildet. Der Wind half uns gegen die ſtarke Stroͤmung hinauf, denn Gjurgew liegt etwas unterhalb Ruſtſchuk. Dort betraten wir den tuͤrkiſchen Boden, und waren nach der Quarantainen-Sprache „vermiſcht“.
Alles in dieſer Stadt erſchien uns neu und außeror- dentlich. Wir ſahen mit eben ſo viel Erſtaunen um uns, als wir von den Einwohnern mit Erſtaunen angeſehen wur- den. Unſer Weg fuͤhrte uns am Pallaſt des Paſcha's vor- uͤber, einem großen baufaͤlligen Hauſe aus Fachwerk mit vergitterten Fenſtern und weit hervorragendem Dach. Ge- genuͤber, auf einem freien Platz, ſtanden einige Kanonen. Hierauf durchwanderten wir den Baſar, eine lange Straße zwiſchen zwei Reihen von Buden, deren Daͤcher faſt zu- ſammenſtießen, ſo daß man einigermaßen gegen Sonne oder Regen geſchuͤtzt geht. Pfeifen, Pferdegeſchirr, baumwollene
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Wege getreten, und wie man in ſolchem einen Fuß hohen
Schlitten durch drei Fuß tiefe Ueberſchwemmungen faͤhrt,
magſt Du Dir denken. Man wurde eben in vollem Ren-
nen durchgeſchleift.
Das Schlimmſte fuͤr den europaͤiſchen Reiſenden in die-
ſen Laͤndern iſt der gaͤnzliche Mangel an Gaſthoͤfen. Wenn
man hungrig, durchnaͤßt und halb erſtarrt Abends in eine
Stadt kommt, ſo findet man fuͤr Geld weder eine warme
Stube, noch ein Bett, noch ein Abendeſſen. Es bedurfte
eines Schreibens des Fuͤrſten, um uns zu Gjurgew Auf-
nahme in eine Privatwohnung zu verſchaffen.
Man ſieht in dieſer Stadt noch deutlich genug die
Spuren der Verwuͤſtung aus den letzten Kriegen. Die
Feſtungswerke nach der Landſeite ſind geſchleift, an der
Donau ſind dagegen einige revetirte Bollwerke ſtehen ge-
blieben. Die Lage an dem ſchiffbaren Strom wird aber
gewiß den Ort bald wieder heben, und ſchon jetzt ſteigen
außer den Kirchen mit ihren byzantiniſchen Kuppelthuͤrmen
einzelne ſtattliche ſteinerne Gebaͤude empor.
Am folgenden Morgen ſetzten wir uͤber den hier ſehr
breiten Strom, welcher an dieſer Stelle mehrere Jnſeln
bildet. Der Wind half uns gegen die ſtarke Stroͤmung
hinauf, denn Gjurgew liegt etwas unterhalb Ruſtſchuk.
Dort betraten wir den tuͤrkiſchen Boden, und waren nach
der Quarantainen-Sprache „vermiſcht“.
Alles in dieſer Stadt erſchien uns neu und außeror-
dentlich. Wir ſahen mit eben ſo viel Erſtaunen um uns,
als wir von den Einwohnern mit Erſtaunen angeſehen wur-
den. Unſer Weg fuͤhrte uns am Pallaſt des Paſcha's vor-
uͤber, einem großen baufaͤlligen Hauſe aus Fachwerk mit
vergitterten Fenſtern und weit hervorragendem Dach. Ge-
genuͤber, auf einem freien Platz, ſtanden einige Kanonen.
Hierauf durchwanderten wir den Baſar, eine lange Straße
zwiſchen zwei Reihen von Buden, deren Daͤcher faſt zu-
ſammenſtießen, ſo daß man einigermaßen gegen Sonne oder
Regen geſchuͤtzt geht. Pfeifen, Pferdegeſchirr, baumwollene
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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