minen, die sich in dieser schroffen Bergwand finden. Der Ort muß mindestens 3000 Fuß hoch liegen, denn der Schnee weilt noch an den Bergen und es hat heute Mittag an- haltend geschneit. Eine Stunde oberhalb fließen die beiden Wasser, der Murad vom Ararat kommend, und der eigent- liche Frat von Erzerum her, zusammen und bilden nun einen auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom, der hier etwa 120 Schritte breit und überaus reißend ist. So wie die Fähre in die Mitte des Flusses kam, glitt sie mit Menschen und Pferden angefüllt, pfeilschnell abwärts, und es schien als ob sie unmöglich das andere Ufer erreichen könne, aber ein Gegenstrom erfaßt sie bald und führt sie genau an die Landestelle. Unterhalb Palu und Egin giebt es bis zur Mündung keine einzige Brücke über den Eu- phrat, seitdem die von Thapsakus zerstört ist, und doch ist dies eine Entfernung von mehreren hundert Meilen.
Zur größten Freude unsers Effendi gab's keine Pferde auf der Post. Der Pascha giebt uns morgen dreißig von seinen eigenen. Wir benutzten den Aufenthalt, uns hier umzusehen und ins Bad zu gehen, denn ein verdächtiges Jucken erinnerte uns daran, daß wir in Asien reiseten, wo es von Ungeziefer wimmelt; alle Kleider wurden gewech- selt, und ich benutzte die Ruhe, um diese Zeilen auf mei- nem Knie niederzuschreiben.
40. Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee.
Messre bei Karput, den 19. März 1838.
Von Kieban-Maaden stiegen wir durch ein tiefes Ge- birgsthal während drei Stunden aufwärts, und erreichten dann ein flaches, aber hohes Hügelland, auf welchem ein- zelne Kurden-Dörfer zerstreut liegen. Der Schnee bedeckte noch die hohen schroffen Gipfel, die uns umringten, und unsere Straße selbst war nicht überall davon befreit; je
minen, die ſich in dieſer ſchroffen Bergwand finden. Der Ort muß mindeſtens 3000 Fuß hoch liegen, denn der Schnee weilt noch an den Bergen und es hat heute Mittag an- haltend geſchneit. Eine Stunde oberhalb fließen die beiden Waſſer, der Murad vom Ararat kommend, und der eigent- liche Frat von Erzerum her, zuſammen und bilden nun einen auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom, der hier etwa 120 Schritte breit und uͤberaus reißend iſt. So wie die Faͤhre in die Mitte des Fluſſes kam, glitt ſie mit Menſchen und Pferden angefuͤllt, pfeilſchnell abwaͤrts, und es ſchien als ob ſie unmoͤglich das andere Ufer erreichen koͤnne, aber ein Gegenſtrom erfaßt ſie bald und fuͤhrt ſie genau an die Landeſtelle. Unterhalb Palu und Egin giebt es bis zur Muͤndung keine einzige Bruͤcke uͤber den Eu- phrat, ſeitdem die von Thapſakus zerſtoͤrt iſt, und doch iſt dies eine Entfernung von mehreren hundert Meilen.
Zur groͤßten Freude unſers Effendi gab's keine Pferde auf der Poſt. Der Paſcha giebt uns morgen dreißig von ſeinen eigenen. Wir benutzten den Aufenthalt, uns hier umzuſehen und ins Bad zu gehen, denn ein verdaͤchtiges Jucken erinnerte uns daran, daß wir in Aſien reiſeten, wo es von Ungeziefer wimmelt; alle Kleider wurden gewech- ſelt, und ich benutzte die Ruhe, um dieſe Zeilen auf mei- nem Knie niederzuſchreiben.
40. Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee.
Meſſre bei Karput, den 19. Maͤrz 1838.
Von Kieban-Maaden ſtiegen wir durch ein tiefes Ge- birgsthal waͤhrend drei Stunden aufwaͤrts, und erreichten dann ein flaches, aber hohes Huͤgelland, auf welchem ein- zelne Kurden-Doͤrfer zerſtreut liegen. Der Schnee bedeckte noch die hohen ſchroffen Gipfel, die uns umringten, und unſere Straße ſelbſt war nicht uͤberall davon befreit; je
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0224"n="214"/>
minen, die ſich in dieſer ſchroffen Bergwand finden. Der<lb/>
Ort muß mindeſtens 3000 Fuß hoch liegen, denn der Schnee<lb/>
weilt noch an den Bergen und es hat heute Mittag an-<lb/>
haltend geſchneit. Eine Stunde oberhalb fließen die beiden<lb/>
Waſſer, der Murad vom Ararat kommend, und der eigent-<lb/>
liche Frat von Erzerum her, zuſammen und bilden nun einen<lb/>
auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom, der<lb/>
hier etwa 120 Schritte breit und uͤberaus reißend iſt. So<lb/>
wie die Faͤhre in die Mitte des Fluſſes kam, glitt ſie mit<lb/>
Menſchen und Pferden angefuͤllt, pfeilſchnell abwaͤrts, und<lb/>
es ſchien als ob ſie unmoͤglich das andere Ufer erreichen<lb/>
koͤnne, aber ein Gegenſtrom erfaßt ſie bald und fuͤhrt ſie<lb/>
genau an die Landeſtelle. Unterhalb Palu und Egin giebt<lb/>
es bis zur Muͤndung keine einzige Bruͤcke uͤber den Eu-<lb/>
phrat, ſeitdem die von Thapſakus zerſtoͤrt iſt, und doch iſt<lb/>
dies eine Entfernung von mehreren hundert Meilen.</p><lb/><p>Zur groͤßten Freude unſers Effendi gab's keine Pferde<lb/>
auf der Poſt. Der Paſcha giebt uns morgen dreißig von<lb/>ſeinen eigenen. Wir benutzten den Aufenthalt, uns hier<lb/>
umzuſehen und ins Bad zu gehen, denn ein verdaͤchtiges<lb/>
Jucken erinnerte uns daran, daß wir in Aſien reiſeten, wo<lb/>
es von Ungeziefer wimmelt; alle Kleider wurden gewech-<lb/>ſelt, und ich benutzte die Ruhe, um dieſe Zeilen auf mei-<lb/>
nem Knie niederzuſchreiben.</p></div><lb/><divn="1"><head>40.<lb/><hirendition="#b">Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Meſſre bei Karput, den 19. Maͤrz 1838.</hi></dateline><lb/><p>Von Kieban-Maaden ſtiegen wir durch ein tiefes Ge-<lb/>
birgsthal waͤhrend drei Stunden aufwaͤrts, und erreichten<lb/>
dann ein flaches, aber hohes Huͤgelland, auf welchem ein-<lb/>
zelne Kurden-Doͤrfer zerſtreut liegen. Der Schnee bedeckte<lb/>
noch die hohen ſchroffen Gipfel, die uns umringten, und<lb/>
unſere Straße ſelbſt war nicht uͤberall davon befreit; je<lb/></p></div></body></text></TEI>
[214/0224]
minen, die ſich in dieſer ſchroffen Bergwand finden. Der
Ort muß mindeſtens 3000 Fuß hoch liegen, denn der Schnee
weilt noch an den Bergen und es hat heute Mittag an-
haltend geſchneit. Eine Stunde oberhalb fließen die beiden
Waſſer, der Murad vom Ararat kommend, und der eigent-
liche Frat von Erzerum her, zuſammen und bilden nun einen
auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom, der
hier etwa 120 Schritte breit und uͤberaus reißend iſt. So
wie die Faͤhre in die Mitte des Fluſſes kam, glitt ſie mit
Menſchen und Pferden angefuͤllt, pfeilſchnell abwaͤrts, und
es ſchien als ob ſie unmoͤglich das andere Ufer erreichen
koͤnne, aber ein Gegenſtrom erfaßt ſie bald und fuͤhrt ſie
genau an die Landeſtelle. Unterhalb Palu und Egin giebt
es bis zur Muͤndung keine einzige Bruͤcke uͤber den Eu-
phrat, ſeitdem die von Thapſakus zerſtoͤrt iſt, und doch iſt
dies eine Entfernung von mehreren hundert Meilen.
Zur groͤßten Freude unſers Effendi gab's keine Pferde
auf der Poſt. Der Paſcha giebt uns morgen dreißig von
ſeinen eigenen. Wir benutzten den Aufenthalt, uns hier
umzuſehen und ins Bad zu gehen, denn ein verdaͤchtiges
Jucken erinnerte uns daran, daß wir in Aſien reiſeten, wo
es von Ungeziefer wimmelt; alle Kleider wurden gewech-
ſelt, und ich benutzte die Ruhe, um dieſe Zeilen auf mei-
nem Knie niederzuſchreiben.
40.
Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee.
Meſſre bei Karput, den 19. Maͤrz 1838.
Von Kieban-Maaden ſtiegen wir durch ein tiefes Ge-
birgsthal waͤhrend drei Stunden aufwaͤrts, und erreichten
dann ein flaches, aber hohes Huͤgelland, auf welchem ein-
zelne Kurden-Doͤrfer zerſtreut liegen. Der Schnee bedeckte
noch die hohen ſchroffen Gipfel, die uns umringten, und
unſere Straße ſelbſt war nicht uͤberall davon befreit; je
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/224>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.