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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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tet. Wir mußten am 30. denselben Fluß (Gök-suj) über-
schreiten, dessen Quellen wir bei Sürghü gesehen und der
durch das Schneewasser sehr angeschwollen war; sobald
wir uns näherten, eilten aus einem gegenüber liegenden
Dorfe einige zwanzig Männer herbei, stürzten sich in die
eiskalte Flut und schwammen hindurch; nun nahmen vier
Mann mein Pferd in die Mitte, andere trugen unsere Ef-
fekten auf dem Kopf und dann ging's mit lautem Rufen
durch den reißenden Strom; das Wasser lief mir aber in
die Pistolenhalfter hinein. Abends erreichten wir Adiaman,
eine beträchtliche aber schrecklich verwüstete Stadt mit einer
zerstörten Akropolis.

Ein zwanzigstündiger Marsch auf halsbrechenden Ge-
birgswegen und durch angeschwollene Bäche führte uns
nach Gerger, einem alten Schloß auf einer Felsenspitze am
Euphrat. Das Castell, verfallen wie es ist, wenn es nur
Proviant hat, ist unnehmbar, und hat nur den Fehler,
daß eben Niemand es nehmen wird in der wegelosen Ein-
öde, wo es liegt. Jn den Fehden der Kurden aber konnte
es eine bedeutende Rolle spielen. Es finden sich Funda-
mente und Reste, die von sehr hohem Alter sein müssen;
in einer Felsentafel war eine griechische Jnschrift, die ich
leider nicht verstehe, und die ich ihrer übermäßigen Länge
wegen nicht abschreiben konnte; in einer Felswand sieht
man vier Fenster, die in Felsenkammern führen, aber ganz
unerreichbar waren.

Fast alle Brücken, Karavanseraj, Straßen und Hann
in diesem Lande sind vom Sultan Murad angelegt. Die
Türken haben aus gerechter Anerkennung den berühmten
Fluß, den Euphrat, mit seinem Namen getauft. Der Mu-
rad oder Euphrat ist bei Kieban-Maaden, wo ich ihn zu-
erst sah und nachdem er den großen Zufluß von Erzerum
aufgenommen, ein Strom, ganz wie die Mosel; eng zwi-
schen hohen wilden Bergen eingeschlossen, fließt er schnell
und in seltsamen Windungen hin, nach zehnstündigem Lauf
tritt er aus dem Gebirge, nimmt unsern Malatia (Meli-

tet. Wir mußten am 30. denſelben Fluß (Goͤk-ſuj) uͤber-
ſchreiten, deſſen Quellen wir bei Suͤrghuͤ geſehen und der
durch das Schneewaſſer ſehr angeſchwollen war; ſobald
wir uns naͤherten, eilten aus einem gegenuͤber liegenden
Dorfe einige zwanzig Maͤnner herbei, ſtuͤrzten ſich in die
eiskalte Flut und ſchwammen hindurch; nun nahmen vier
Mann mein Pferd in die Mitte, andere trugen unſere Ef-
fekten auf dem Kopf und dann ging's mit lautem Rufen
durch den reißenden Strom; das Waſſer lief mir aber in
die Piſtolenhalfter hinein. Abends erreichten wir Adiaman,
eine betraͤchtliche aber ſchrecklich verwuͤſtete Stadt mit einer
zerſtoͤrten Akropolis.

Ein zwanzigſtuͤndiger Marſch auf halsbrechenden Ge-
birgswegen und durch angeſchwollene Baͤche fuͤhrte uns
nach Gerger, einem alten Schloß auf einer Felſenſpitze am
Euphrat. Das Caſtell, verfallen wie es iſt, wenn es nur
Proviant hat, iſt unnehmbar, und hat nur den Fehler,
daß eben Niemand es nehmen wird in der wegeloſen Ein-
oͤde, wo es liegt. Jn den Fehden der Kurden aber konnte
es eine bedeutende Rolle ſpielen. Es finden ſich Funda-
mente und Reſte, die von ſehr hohem Alter ſein muͤſſen;
in einer Felſentafel war eine griechiſche Jnſchrift, die ich
leider nicht verſtehe, und die ich ihrer uͤbermaͤßigen Laͤnge
wegen nicht abſchreiben konnte; in einer Felswand ſieht
man vier Fenſter, die in Felſenkammern fuͤhren, aber ganz
unerreichbar waren.

Faſt alle Bruͤcken, Karavanſeraj, Straßen und Hann
in dieſem Lande ſind vom Sultan Murad angelegt. Die
Tuͤrken haben aus gerechter Anerkennung den beruͤhmten
Fluß, den Euphrat, mit ſeinem Namen getauft. Der Mu-
rad oder Euphrat iſt bei Kieban-Maaden, wo ich ihn zu-
erſt ſah und nachdem er den großen Zufluß von Erzerum
aufgenommen, ein Strom, ganz wie die Moſel; eng zwi-
ſchen hohen wilden Bergen eingeſchloſſen, fließt er ſchnell
und in ſeltſamen Windungen hin, nach zehnſtuͤndigem Lauf
tritt er aus dem Gebirge, nimmt unſern Malatia (Meli-

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[223/0233] tet. Wir mußten am 30. denſelben Fluß (Goͤk-ſuj) uͤber- ſchreiten, deſſen Quellen wir bei Suͤrghuͤ geſehen und der durch das Schneewaſſer ſehr angeſchwollen war; ſobald wir uns naͤherten, eilten aus einem gegenuͤber liegenden Dorfe einige zwanzig Maͤnner herbei, ſtuͤrzten ſich in die eiskalte Flut und ſchwammen hindurch; nun nahmen vier Mann mein Pferd in die Mitte, andere trugen unſere Ef- fekten auf dem Kopf und dann ging's mit lautem Rufen durch den reißenden Strom; das Waſſer lief mir aber in die Piſtolenhalfter hinein. Abends erreichten wir Adiaman, eine betraͤchtliche aber ſchrecklich verwuͤſtete Stadt mit einer zerſtoͤrten Akropolis. Ein zwanzigſtuͤndiger Marſch auf halsbrechenden Ge- birgswegen und durch angeſchwollene Baͤche fuͤhrte uns nach Gerger, einem alten Schloß auf einer Felſenſpitze am Euphrat. Das Caſtell, verfallen wie es iſt, wenn es nur Proviant hat, iſt unnehmbar, und hat nur den Fehler, daß eben Niemand es nehmen wird in der wegeloſen Ein- oͤde, wo es liegt. Jn den Fehden der Kurden aber konnte es eine bedeutende Rolle ſpielen. Es finden ſich Funda- mente und Reſte, die von ſehr hohem Alter ſein muͤſſen; in einer Felſentafel war eine griechiſche Jnſchrift, die ich leider nicht verſtehe, und die ich ihrer uͤbermaͤßigen Laͤnge wegen nicht abſchreiben konnte; in einer Felswand ſieht man vier Fenſter, die in Felſenkammern fuͤhren, aber ganz unerreichbar waren. Faſt alle Bruͤcken, Karavanſeraj, Straßen und Hann in dieſem Lande ſind vom Sultan Murad angelegt. Die Tuͤrken haben aus gerechter Anerkennung den beruͤhmten Fluß, den Euphrat, mit ſeinem Namen getauft. Der Mu- rad oder Euphrat iſt bei Kieban-Maaden, wo ich ihn zu- erſt ſah und nachdem er den großen Zufluß von Erzerum aufgenommen, ein Strom, ganz wie die Moſel; eng zwi- ſchen hohen wilden Bergen eingeſchloſſen, fließt er ſchnell und in ſeltſamen Windungen hin, nach zehnſtuͤndigem Lauf tritt er aus dem Gebirge, nimmt unſern Malatia (Meli-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/233>, abgerufen am 25.11.2024.