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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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An den Trümmern des sogenannten alten Mossul schiff-
ten wir vorüber, und entdeckten gegen Abend die Minarehs
von Mossul; dies ist der östlichste Punkt, den ich erreicht
habe, und meine türkischen Begleiter mußten, als sie ihr
Abendgebet verrichteten, sich gegen Westen wenden, statt
daß in Konstantinopel der Moslem die Kebla noch südöst-
lich sucht.

Mossul ist die große Zwischenstation der Caravanen
auf dem Wege von Bagdad nach Aleppo; eine Oase mit-
ten in der Wüste, muß die Stadt stets auf ihrer Hut ge-
gen die Araber sein; die Mauern, welche sie rings um-
schließen, sind schwach, aber hoch und genügen vollkommen
gegen die unregelmäßigen Reiterhaufen der Beduinen; das
Thor Bab-el-ämadi, welches in den Kreuzzügen schon er-
wähnt wird, steht noch heut, ist aber zugemauert; die Woh-
nungen sind meist aus Luftziegeln und einer Art Kalk er-
baut, welcher in wenig Augenblicken erhärtet. Nach alt-
morgenländischer Sitte legt man hier einen hohen Werth
auf die Schönheit und Größe des Thors (Bab), bei jeder
Wohnung siehst Du gewölbte Portale aus Marmor (der
dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Häusern und
Lehmhütten, die mit ihrem Dache kaum bis an die Spitze
des Bogens reichen. Die Dächer sind flach, von gestampf-
ter Erde ("Damm") und von niedrigen Mauern mit Schar-
ten brustwehrartig umgeben. An den mehrsten größeren
Häusern in der Stadt erblickt man eine Menge Spuren
von Gewehrkugeln, und die festungsartige Einrichtung die-
ser Wohnungen erinnert sehr an die Palläste zu Florenz,
nur ist Alles kleiner, dürftiger und unvollkommen.

Die Bewohner von Mossul sind eine seltsame Mischung
aus den ursprünglichen chaldäischen Einwohnern mit den
Arabern, Kurden, Persern und Türken, welche nach einan-
der ihre Herrschaft über sie geübt; die allgemeine Sprache
ist indeß die arabische.

Bei der furchtbaren Sommerhitze wohnen die Leute
meist unter der Erde und jedes Haus hat seine unterirdi-

An den Truͤmmern des ſogenannten alten Moſſul ſchiff-
ten wir voruͤber, und entdeckten gegen Abend die Minarehs
von Moſſul; dies iſt der oͤſtlichſte Punkt, den ich erreicht
habe, und meine tuͤrkiſchen Begleiter mußten, als ſie ihr
Abendgebet verrichteten, ſich gegen Weſten wenden, ſtatt
daß in Konſtantinopel der Moslem die Kebla noch ſuͤdoͤſt-
lich ſucht.

Moſſul iſt die große Zwiſchenſtation der Caravanen
auf dem Wege von Bagdad nach Aleppo; eine Oaſe mit-
ten in der Wuͤſte, muß die Stadt ſtets auf ihrer Hut ge-
gen die Araber ſein; die Mauern, welche ſie rings um-
ſchließen, ſind ſchwach, aber hoch und genuͤgen vollkommen
gegen die unregelmaͤßigen Reiterhaufen der Beduinen; das
Thor Bab-el-aͤmadi, welches in den Kreuzzuͤgen ſchon er-
waͤhnt wird, ſteht noch heut, iſt aber zugemauert; die Woh-
nungen ſind meiſt aus Luftziegeln und einer Art Kalk er-
baut, welcher in wenig Augenblicken erhaͤrtet. Nach alt-
morgenlaͤndiſcher Sitte legt man hier einen hohen Werth
auf die Schoͤnheit und Groͤße des Thors (Bab), bei jeder
Wohnung ſiehſt Du gewoͤlbte Portale aus Marmor (der
dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Haͤuſern und
Lehmhuͤtten, die mit ihrem Dache kaum bis an die Spitze
des Bogens reichen. Die Daͤcher ſind flach, von geſtampf-
ter Erde („Damm“) und von niedrigen Mauern mit Schar-
ten bruſtwehrartig umgeben. An den mehrſten groͤßeren
Haͤuſern in der Stadt erblickt man eine Menge Spuren
von Gewehrkugeln, und die feſtungsartige Einrichtung die-
ſer Wohnungen erinnert ſehr an die Pallaͤſte zu Florenz,
nur iſt Alles kleiner, duͤrftiger und unvollkommen.

Die Bewohner von Moſſul ſind eine ſeltſame Miſchung
aus den urſpruͤnglichen chaldaͤiſchen Einwohnern mit den
Arabern, Kurden, Perſern und Tuͤrken, welche nach einan-
der ihre Herrſchaft uͤber ſie geuͤbt; die allgemeine Sprache
iſt indeß die arabiſche.

Bei der furchtbaren Sommerhitze wohnen die Leute
meiſt unter der Erde und jedes Haus hat ſeine unterirdi-

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[240/0250] An den Truͤmmern des ſogenannten alten Moſſul ſchiff- ten wir voruͤber, und entdeckten gegen Abend die Minarehs von Moſſul; dies iſt der oͤſtlichſte Punkt, den ich erreicht habe, und meine tuͤrkiſchen Begleiter mußten, als ſie ihr Abendgebet verrichteten, ſich gegen Weſten wenden, ſtatt daß in Konſtantinopel der Moslem die Kebla noch ſuͤdoͤſt- lich ſucht. Moſſul iſt die große Zwiſchenſtation der Caravanen auf dem Wege von Bagdad nach Aleppo; eine Oaſe mit- ten in der Wuͤſte, muß die Stadt ſtets auf ihrer Hut ge- gen die Araber ſein; die Mauern, welche ſie rings um- ſchließen, ſind ſchwach, aber hoch und genuͤgen vollkommen gegen die unregelmaͤßigen Reiterhaufen der Beduinen; das Thor Bab-el-aͤmadi, welches in den Kreuzzuͤgen ſchon er- waͤhnt wird, ſteht noch heut, iſt aber zugemauert; die Woh- nungen ſind meiſt aus Luftziegeln und einer Art Kalk er- baut, welcher in wenig Augenblicken erhaͤrtet. Nach alt- morgenlaͤndiſcher Sitte legt man hier einen hohen Werth auf die Schoͤnheit und Groͤße des Thors (Bab), bei jeder Wohnung ſiehſt Du gewoͤlbte Portale aus Marmor (der dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Haͤuſern und Lehmhuͤtten, die mit ihrem Dache kaum bis an die Spitze des Bogens reichen. Die Daͤcher ſind flach, von geſtampf- ter Erde („Damm“) und von niedrigen Mauern mit Schar- ten bruſtwehrartig umgeben. An den mehrſten groͤßeren Haͤuſern in der Stadt erblickt man eine Menge Spuren von Gewehrkugeln, und die feſtungsartige Einrichtung die- ſer Wohnungen erinnert ſehr an die Pallaͤſte zu Florenz, nur iſt Alles kleiner, duͤrftiger und unvollkommen. Die Bewohner von Moſſul ſind eine ſeltſame Miſchung aus den urſpruͤnglichen chaldaͤiſchen Einwohnern mit den Arabern, Kurden, Perſern und Tuͤrken, welche nach einan- der ihre Herrſchaft uͤber ſie geuͤbt; die allgemeine Sprache iſt indeß die arabiſche. Bei der furchtbaren Sommerhitze wohnen die Leute meiſt unter der Erde und jedes Haus hat ſeine unterirdi-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/250>, abgerufen am 24.11.2024.