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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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schen Gemächer, welche nur durch eine mit Weinlaub über-
deckte Oeffnung oben ihr Licht erhalten.

Jndsche-Bairaktar, der Gouverneur, empfing uns
mit der größten Auszeichnung und logirte uns beim arme-
nischen Patriarchen ein. Die nestorianischen und jacobiti-
schen Christen in Mossul besitzen die schönsten Kirchen, die
ich in der Türkei gesehen habe, leben aber unter sich in
Hader und Zwiespalt. Eine jener Kirchen gehörte, ich weiß
nicht durch welche Ursachen, zwei Gemeinden, und weil
das, was die eine in diesen heiligen Räumen that, ein
Gräuel für die andere war, so hatte man die schöne Wöl-
bung durch eine Mauer mitten durch getheilt.

Unserem jacobitischen Patriarchen machte es freilich
allerlei Bedenken, Ketzer zu beherbergen, indeß war es ihm
immer lieber, als wenn wir Nestorianer oder gar Griechen
gewesen wären; da überdies noch nie Christen von dem Pa-
scha so empfangen worden waren und die bedeutendsten
Muselmänner kamen, uns die Aufwartung zu machen, so
ließ er es an Nichts fehlen, und verkaufte mir sogar eine
Bibel in arabischer und syrischer (chaldäischer) Sprache.

Der Pascha war sehr erfreut über eine Aufnahme von
Mossul, den Riß zu einer neuen Caserne und die Zeichnung
zu einem Wasserrade, welche wir ihm schnell anfertigten,
und beschenkte uns mit Pferden und Mauleseln für die
Rückreise durch die Wüste.

Schon vor uralten Zeiten führte, wie jetzt, eine Schiff-
brücke hier über den Tigris, und das Heer Julians be-
nutzte sie auf seinem Rückzuge von Ktesiphon. Von einer
steinernen Brücke, wahrscheinlich türkischer Arbeit, stehen
nur noch einige Bogen. Auf dem linken Ufer des Stroms,
Mossul gegenüber, verfolgt man mit Augen ganz deutlich
einen noch 10--25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile
im Umfange, welcher das alte Ninive umschlossen haben
soll. Ein sehr großer künstlicher Erdaufwurf bezeichnet auch
hier die Stelle der frühern Akropolis, ein zweiter etwas
kleinerer Tumulus trägt heute ein türkisches Dorf, Nunia,

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ſchen Gemaͤcher, welche nur durch eine mit Weinlaub uͤber-
deckte Oeffnung oben ihr Licht erhalten.

Jndſche-Bairaktar, der Gouverneur, empfing uns
mit der groͤßten Auszeichnung und logirte uns beim arme-
niſchen Patriarchen ein. Die neſtorianiſchen und jacobiti-
ſchen Chriſten in Moſſul beſitzen die ſchoͤnſten Kirchen, die
ich in der Tuͤrkei geſehen habe, leben aber unter ſich in
Hader und Zwieſpalt. Eine jener Kirchen gehoͤrte, ich weiß
nicht durch welche Urſachen, zwei Gemeinden, und weil
das, was die eine in dieſen heiligen Raͤumen that, ein
Graͤuel fuͤr die andere war, ſo hatte man die ſchoͤne Woͤl-
bung durch eine Mauer mitten durch getheilt.

Unſerem jacobitiſchen Patriarchen machte es freilich
allerlei Bedenken, Ketzer zu beherbergen, indeß war es ihm
immer lieber, als wenn wir Neſtorianer oder gar Griechen
geweſen waͤren; da uͤberdies noch nie Chriſten von dem Pa-
ſcha ſo empfangen worden waren und die bedeutendſten
Muſelmaͤnner kamen, uns die Aufwartung zu machen, ſo
ließ er es an Nichts fehlen, und verkaufte mir ſogar eine
Bibel in arabiſcher und ſyriſcher (chaldaͤiſcher) Sprache.

Der Paſcha war ſehr erfreut uͤber eine Aufnahme von
Moſſul, den Riß zu einer neuen Caſerne und die Zeichnung
zu einem Waſſerrade, welche wir ihm ſchnell anfertigten,
und beſchenkte uns mit Pferden und Mauleſeln fuͤr die
Ruͤckreiſe durch die Wuͤſte.

Schon vor uralten Zeiten fuͤhrte, wie jetzt, eine Schiff-
bruͤcke hier uͤber den Tigris, und das Heer Julians be-
nutzte ſie auf ſeinem Ruͤckzuge von Kteſiphon. Von einer
ſteinernen Bruͤcke, wahrſcheinlich tuͤrkiſcher Arbeit, ſtehen
nur noch einige Bogen. Auf dem linken Ufer des Stroms,
Moſſul gegenuͤber, verfolgt man mit Augen ganz deutlich
einen noch 10—25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile
im Umfange, welcher das alte Ninive umſchloſſen haben
ſoll. Ein ſehr großer kuͤnſtlicher Erdaufwurf bezeichnet auch
hier die Stelle der fruͤhern Akropolis, ein zweiter etwas
kleinerer Tumulus traͤgt heute ein tuͤrkiſches Dorf, Nunia,

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[241/0251] ſchen Gemaͤcher, welche nur durch eine mit Weinlaub uͤber- deckte Oeffnung oben ihr Licht erhalten. Jndſche-Bairaktar, der Gouverneur, empfing uns mit der groͤßten Auszeichnung und logirte uns beim arme- niſchen Patriarchen ein. Die neſtorianiſchen und jacobiti- ſchen Chriſten in Moſſul beſitzen die ſchoͤnſten Kirchen, die ich in der Tuͤrkei geſehen habe, leben aber unter ſich in Hader und Zwieſpalt. Eine jener Kirchen gehoͤrte, ich weiß nicht durch welche Urſachen, zwei Gemeinden, und weil das, was die eine in dieſen heiligen Raͤumen that, ein Graͤuel fuͤr die andere war, ſo hatte man die ſchoͤne Woͤl- bung durch eine Mauer mitten durch getheilt. Unſerem jacobitiſchen Patriarchen machte es freilich allerlei Bedenken, Ketzer zu beherbergen, indeß war es ihm immer lieber, als wenn wir Neſtorianer oder gar Griechen geweſen waͤren; da uͤberdies noch nie Chriſten von dem Pa- ſcha ſo empfangen worden waren und die bedeutendſten Muſelmaͤnner kamen, uns die Aufwartung zu machen, ſo ließ er es an Nichts fehlen, und verkaufte mir ſogar eine Bibel in arabiſcher und ſyriſcher (chaldaͤiſcher) Sprache. Der Paſcha war ſehr erfreut uͤber eine Aufnahme von Moſſul, den Riß zu einer neuen Caſerne und die Zeichnung zu einem Waſſerrade, welche wir ihm ſchnell anfertigten, und beſchenkte uns mit Pferden und Mauleſeln fuͤr die Ruͤckreiſe durch die Wuͤſte. Schon vor uralten Zeiten fuͤhrte, wie jetzt, eine Schiff- bruͤcke hier uͤber den Tigris, und das Heer Julians be- nutzte ſie auf ſeinem Ruͤckzuge von Kteſiphon. Von einer ſteinernen Bruͤcke, wahrſcheinlich tuͤrkiſcher Arbeit, ſtehen nur noch einige Bogen. Auf dem linken Ufer des Stroms, Moſſul gegenuͤber, verfolgt man mit Augen ganz deutlich einen noch 10—25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile im Umfange, welcher das alte Ninive umſchloſſen haben ſoll. Ein ſehr großer kuͤnſtlicher Erdaufwurf bezeichnet auch hier die Stelle der fruͤhern Akropolis, ein zweiter etwas kleinerer Tumulus traͤgt heute ein tuͤrkiſches Dorf, Nunia, 16

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/251>, abgerufen am 26.06.2024.