Längs einer Schlucht, deren Tiefe durch Wolkennebel verhüllt war, gings nun in vollem Rennen durch Frucht- und Oliven-Gärten dem Städtchen Jslenije (Selimnia) zu.
Wo ich den Balkan gesehen, sind alle Südabfälle stei- ler, schroffer und felsiger als der Nordhang. Von Jsle- nije gewährte das hohe zackige Gebirge einen prachtvollen Anblick. Wolken hingen an den Gipfeln, während die Sonne die kahlen Steinwände beschien, welche die kühnsten und ma- lerischsten Formen zeigen. Vor uns lag eine weite Ebene, über welche wir mit frischen Pferden in vollem Rennen durch ellenhohes Gras und zwischen einem äußerst dorni- gen Strauchwerk hinjagten.
Ehe wir das Nachtquartier erreichten, war es Abend geworden, und wir bemerkten, daß unser Tartar, mit dem wir keine Silbe reden konnten, sich verirrt hatte. Wir be- fanden uns auf einer weiten Wiese, und von den Ueber- schwemmungen der Tundscha nach allen Richtungen um- geben. Dabei war es so finster, daß man nicht drei Schritte vor sich sah, und wir alle Mühe hatten, nicht von unserm Führer abzukommen. Wir stießen auf große Heerden von Kühen und Ziegen, aber alles Rufen nach den Hirten war vergebens; sie mochten wohl wissen, daß der Besuch eines Tartaren ihnen Dienstleistungen ohne Lohn verhieße. Die- ser erwischte indeß, Gott weiß wie, einen kleinen Ziegen- hirten, knebelte ihn sogleich, band ihn mit dem Kamtschik an sein Pferd und zwang ihn, durch Dick und Dünn vor uns herzutraben. Der kleine Bulgare wehrte sich herzhaft, schrie als ob er gespießt würde, und ich erwartete jeden Augenblick ein paar Flintenschüsse von seinen Angehörigen. Es war ein widriges Gefühl, dies Unrecht dulden zu müssen, aber wir konnten uns weder verständigen, noch der Hülfe des Knaben entbehren. Als ob der Himmel die Unbilde rächen wollte, strömte der Regen auf uns herab, und nur einzelne Blitze erhellten die Gegend vor uns. So zogen wir wohl eine halbe Stunde fort, bis unser kleiner Führer vor einer elenden Hütte Halt machte, von der wir sogleich Besitz nah-
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Laͤngs einer Schlucht, deren Tiefe durch Wolkennebel verhuͤllt war, gings nun in vollem Rennen durch Frucht- und Oliven-Gaͤrten dem Staͤdtchen Jslenije (Selimnia) zu.
Wo ich den Balkan geſehen, ſind alle Suͤdabfaͤlle ſtei- ler, ſchroffer und felſiger als der Nordhang. Von Jsle- nije gewaͤhrte das hohe zackige Gebirge einen prachtvollen Anblick. Wolken hingen an den Gipfeln, waͤhrend die Sonne die kahlen Steinwaͤnde beſchien, welche die kuͤhnſten und ma- leriſchſten Formen zeigen. Vor uns lag eine weite Ebene, uͤber welche wir mit friſchen Pferden in vollem Rennen durch ellenhohes Gras und zwiſchen einem aͤußerſt dorni- gen Strauchwerk hinjagten.
Ehe wir das Nachtquartier erreichten, war es Abend geworden, und wir bemerkten, daß unſer Tartar, mit dem wir keine Silbe reden konnten, ſich verirrt hatte. Wir be- fanden uns auf einer weiten Wieſe, und von den Ueber- ſchwemmungen der Tundſcha nach allen Richtungen um- geben. Dabei war es ſo finſter, daß man nicht drei Schritte vor ſich ſah, und wir alle Muͤhe hatten, nicht von unſerm Fuͤhrer abzukommen. Wir ſtießen auf große Heerden von Kuͤhen und Ziegen, aber alles Rufen nach den Hirten war vergebens; ſie mochten wohl wiſſen, daß der Beſuch eines Tartaren ihnen Dienſtleiſtungen ohne Lohn verhieße. Die- ſer erwiſchte indeß, Gott weiß wie, einen kleinen Ziegen- hirten, knebelte ihn ſogleich, band ihn mit dem Kamtſchik an ſein Pferd und zwang ihn, durch Dick und Duͤnn vor uns herzutraben. Der kleine Bulgare wehrte ſich herzhaft, ſchrie als ob er geſpießt wuͤrde, und ich erwartete jeden Augenblick ein paar Flintenſchuͤſſe von ſeinen Angehoͤrigen. Es war ein widriges Gefuͤhl, dies Unrecht dulden zu muͤſſen, aber wir konnten uns weder verſtaͤndigen, noch der Huͤlfe des Knaben entbehren. Als ob der Himmel die Unbilde raͤchen wollte, ſtroͤmte der Regen auf uns herab, und nur einzelne Blitze erhellten die Gegend vor uns. So zogen wir wohl eine halbe Stunde fort, bis unſer kleiner Fuͤhrer vor einer elenden Huͤtte Halt machte, von der wir ſogleich Beſitz nah-
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Laͤngs einer Schlucht, deren Tiefe durch Wolkennebel
verhuͤllt war, gings nun in vollem Rennen durch Frucht-
und Oliven-Gaͤrten dem Staͤdtchen Jslenije (Selimnia) zu.
Wo ich den Balkan geſehen, ſind alle Suͤdabfaͤlle ſtei-
ler, ſchroffer und felſiger als der Nordhang. Von Jsle-
nije gewaͤhrte das hohe zackige Gebirge einen prachtvollen
Anblick. Wolken hingen an den Gipfeln, waͤhrend die Sonne
die kahlen Steinwaͤnde beſchien, welche die kuͤhnſten und ma-
leriſchſten Formen zeigen. Vor uns lag eine weite Ebene,
uͤber welche wir mit friſchen Pferden in vollem Rennen
durch ellenhohes Gras und zwiſchen einem aͤußerſt dorni-
gen Strauchwerk hinjagten.
Ehe wir das Nachtquartier erreichten, war es Abend
geworden, und wir bemerkten, daß unſer Tartar, mit dem
wir keine Silbe reden konnten, ſich verirrt hatte. Wir be-
fanden uns auf einer weiten Wieſe, und von den Ueber-
ſchwemmungen der Tundſcha nach allen Richtungen um-
geben. Dabei war es ſo finſter, daß man nicht drei Schritte
vor ſich ſah, und wir alle Muͤhe hatten, nicht von unſerm
Fuͤhrer abzukommen. Wir ſtießen auf große Heerden von
Kuͤhen und Ziegen, aber alles Rufen nach den Hirten war
vergebens; ſie mochten wohl wiſſen, daß der Beſuch eines
Tartaren ihnen Dienſtleiſtungen ohne Lohn verhieße. Die-
ſer erwiſchte indeß, Gott weiß wie, einen kleinen Ziegen-
hirten, knebelte ihn ſogleich, band ihn mit dem Kamtſchik
an ſein Pferd und zwang ihn, durch Dick und Duͤnn vor
uns herzutraben. Der kleine Bulgare wehrte ſich herzhaft,
ſchrie als ob er geſpießt wuͤrde, und ich erwartete jeden
Augenblick ein paar Flintenſchuͤſſe von ſeinen Angehoͤrigen.
Es war ein widriges Gefuͤhl, dies Unrecht dulden zu muͤſſen,
aber wir konnten uns weder verſtaͤndigen, noch der Huͤlfe des
Knaben entbehren. Als ob der Himmel die Unbilde raͤchen
wollte, ſtroͤmte der Regen auf uns herab, und nur einzelne
Blitze erhellten die Gegend vor uns. So zogen wir wohl
eine halbe Stunde fort, bis unſer kleiner Fuͤhrer vor einer
elenden Huͤtte Halt machte, von der wir ſogleich Beſitz nah-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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