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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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wirklich das Beste im Auge; er ist vielleicht einen Augen-
blick verletzt gewesen, aber gegen einen solchen Mann ver-
liert man nichts, wenn man rechtschaffen seine Meinung
ausspricht. Vielem Unwesen ist gesteuert worden, so weit
dies mit Baschi-Bosuks (wörtlich mauvaise tete oder Jr-
regulaire) möglich; die Grundsätze der Milde herrschen vor,
und den Abgeordneten der Kurden wird gern Gehör ge-
schenkt.

Aber das ist eine schwierige Unterhandlung; ein Theil
traut dem andern nicht. Heute sollen alle Dorfschaften ihre
Abgesandten schicken, aber sie kommen nicht; nun wäre das
Natürlichste, ihnen auf den Leib zu rücken, aber dann ent-
fliehen sie sämmtlich auf das Territorium von Musch, und
dort sitzt Emin-Pascha, der selbst ein Kurde ist und un-
ter dem Erzerum-Valessi steht. Er regt nicht Hand
noch Fuß, um diese Expedition zu unterstützen.

47.
Türkische Steuerhebung und Conscription.

Jch habe mir Mühe gegeben, mich über den Zustand
dieses Landes zu unterrichten, welches erst seit drei Jahren
wieder der türkischen Herrschaft unterworfen ist.

Die Kurden (so viele und welches Standes ich deren
gesprochen) klagen über zwei Dinge, über die Besteuerung
und die Truppenaushebungen. Da dies auch die Klage,
wie ich glaube, aller übrigen Provinzen des Reichs ist, so
erlaube ich mir eine kurze Erörterung.

Die Kurden zahlten früher gar keine Steuern, aber
fortwährende Fehden zertraten ihre Saatfelder, zerstörten
ihre Dörfer, und Niemand fand Schutz gegen einen Mäch-
tigern, außer in seiner eigenen Gegenwehr. Jetzt herrscht
Friede unter den einzelnen Stämmen, und wenn auch diese

wirklich das Beſte im Auge; er iſt vielleicht einen Augen-
blick verletzt geweſen, aber gegen einen ſolchen Mann ver-
liert man nichts, wenn man rechtſchaffen ſeine Meinung
ausſpricht. Vielem Unweſen iſt geſteuert worden, ſo weit
dies mit Baſchi-Boſuks (woͤrtlich mauvaise tête oder Jr-
regulaire) moͤglich; die Grundſaͤtze der Milde herrſchen vor,
und den Abgeordneten der Kurden wird gern Gehoͤr ge-
ſchenkt.

Aber das iſt eine ſchwierige Unterhandlung; ein Theil
traut dem andern nicht. Heute ſollen alle Dorfſchaften ihre
Abgeſandten ſchicken, aber ſie kommen nicht; nun waͤre das
Natuͤrlichſte, ihnen auf den Leib zu ruͤcken, aber dann ent-
fliehen ſie ſaͤmmtlich auf das Territorium von Muſch, und
dort ſitzt Emin-Paſcha, der ſelbſt ein Kurde iſt und un-
ter dem Erzerum-Valeſſi ſteht. Er regt nicht Hand
noch Fuß, um dieſe Expedition zu unterſtuͤtzen.

47.
Tuͤrkiſche Steuerhebung und Conſcription.

Jch habe mir Muͤhe gegeben, mich uͤber den Zuſtand
dieſes Landes zu unterrichten, welches erſt ſeit drei Jahren
wieder der tuͤrkiſchen Herrſchaft unterworfen iſt.

Die Kurden (ſo viele und welches Standes ich deren
geſprochen) klagen uͤber zwei Dinge, uͤber die Beſteuerung
und die Truppenaushebungen. Da dies auch die Klage,
wie ich glaube, aller uͤbrigen Provinzen des Reichs iſt, ſo
erlaube ich mir eine kurze Eroͤrterung.

Die Kurden zahlten fruͤher gar keine Steuern, aber
fortwaͤhrende Fehden zertraten ihre Saatfelder, zerſtoͤrten
ihre Doͤrfer, und Niemand fand Schutz gegen einen Maͤch-
tigern, außer in ſeiner eigenen Gegenwehr. Jetzt herrſcht
Friede unter den einzelnen Staͤmmen, und wenn auch dieſe

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[279/0289] wirklich das Beſte im Auge; er iſt vielleicht einen Augen- blick verletzt geweſen, aber gegen einen ſolchen Mann ver- liert man nichts, wenn man rechtſchaffen ſeine Meinung ausſpricht. Vielem Unweſen iſt geſteuert worden, ſo weit dies mit Baſchi-Boſuks (woͤrtlich mauvaise tête oder Jr- regulaire) moͤglich; die Grundſaͤtze der Milde herrſchen vor, und den Abgeordneten der Kurden wird gern Gehoͤr ge- ſchenkt. Aber das iſt eine ſchwierige Unterhandlung; ein Theil traut dem andern nicht. Heute ſollen alle Dorfſchaften ihre Abgeſandten ſchicken, aber ſie kommen nicht; nun waͤre das Natuͤrlichſte, ihnen auf den Leib zu ruͤcken, aber dann ent- fliehen ſie ſaͤmmtlich auf das Territorium von Muſch, und dort ſitzt Emin-Paſcha, der ſelbſt ein Kurde iſt und un- ter dem Erzerum-Valeſſi ſteht. Er regt nicht Hand noch Fuß, um dieſe Expedition zu unterſtuͤtzen. 47. Tuͤrkiſche Steuerhebung und Conſcription. Lager zu Karſann-Dagh (in Kurdiſtan), den 15. Juni 1838. Jch habe mir Muͤhe gegeben, mich uͤber den Zuſtand dieſes Landes zu unterrichten, welches erſt ſeit drei Jahren wieder der tuͤrkiſchen Herrſchaft unterworfen iſt. Die Kurden (ſo viele und welches Standes ich deren geſprochen) klagen uͤber zwei Dinge, uͤber die Beſteuerung und die Truppenaushebungen. Da dies auch die Klage, wie ich glaube, aller uͤbrigen Provinzen des Reichs iſt, ſo erlaube ich mir eine kurze Eroͤrterung. Die Kurden zahlten fruͤher gar keine Steuern, aber fortwaͤhrende Fehden zertraten ihre Saatfelder, zerſtoͤrten ihre Doͤrfer, und Niemand fand Schutz gegen einen Maͤch- tigern, außer in ſeiner eigenen Gegenwehr. Jetzt herrſcht Friede unter den einzelnen Staͤmmen, und wenn auch dieſe

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/289>, abgerufen am 24.11.2024.