erste Bedingung eines gesitteten Zustandes durch Abgaben an die Regierung erkauft wird, so kann man darin doch nur einen Fortschritt zum Besseren sehen.
Die Rajahs steuern hier überall mehr als die Mos- lems; der Charadsch, dem sie unterworfen sind, ist indeß be- kanntlich nur sehr gering, und wenn die Rajahs außerdem zu mancherlei Leistungen herangezogen werden, so ist darin, sofern es nicht mit Härte und auf kränkende Weise ge- schieht, nichts Ungerechtes, da sie ihrerseits von der härte- sten aller Steuern, von der Conscription befreit sind.
Der wahre Grund zur Klage liegt überhaupt nicht darin, daß die Steuern hoch, sondern daß sie willkür- lich sind. Jch meine nicht, daß man sie auf eine gewisse Summe fixiren sollte, wohl aber auf einen bestimmten Theil des Einkommens oder des Vermögens. Wenn die Regie- rung heute den Ertrag eines Morgens Land für ihr Be- dürfniß in Anspruch nimmt, so würde der Landmann künf- tig statt zehn Morgen eilf anbauen, denn des unbenutzten fruchtbaren Bodens ist genug vorhanden, und man ist noch sehr weit davon entfernt, daß die Arbeit wie bei uns an vielen Stellen eine nicht mehr zu überbietende Anspannung aller Kräfte sei. Allein was würde geschehen, wenn der Landmann dies Frühjahr eine doppelte Felderfläche bebaute? Man würde ihm zum Herbst die doppelten Abgaben auf- bürden. So legt denn jeder die Hände in den Schooß, wohl wissend, daß man dem, der viel hat, viel abnimmt, und beschränkt sich darauf, zu bauen, was der Unterhalt dringend erfordert.
So lange die Steuererhebung in nichts Anderm besteht, als darin, daß jeder Müsselim den ihm anheim gegebenen Unterthanen so viel abpreßt, als er pressen kann, ohne sie zu offener Widersetzlichkeit zu zwingen, so lange kann der Ackerbau sich nie heben, viel weniger Gewerbthätigkeit Wur- zel fassen. Und doch müßten diese in so manchen Zweigen trefflich gedeihen, und würden dem Grund und Boden erst seinen rechten Werth geben. Wie viel Naturkräfte sind
erſte Bedingung eines geſitteten Zuſtandes durch Abgaben an die Regierung erkauft wird, ſo kann man darin doch nur einen Fortſchritt zum Beſſeren ſehen.
Die Rajahs ſteuern hier uͤberall mehr als die Mos- lems; der Charadſch, dem ſie unterworfen ſind, iſt indeß be- kanntlich nur ſehr gering, und wenn die Rajahs außerdem zu mancherlei Leiſtungen herangezogen werden, ſo iſt darin, ſofern es nicht mit Haͤrte und auf kraͤnkende Weiſe ge- ſchieht, nichts Ungerechtes, da ſie ihrerſeits von der haͤrte- ſten aller Steuern, von der Conſcription befreit ſind.
Der wahre Grund zur Klage liegt uͤberhaupt nicht darin, daß die Steuern hoch, ſondern daß ſie willkuͤr- lich ſind. Jch meine nicht, daß man ſie auf eine gewiſſe Summe fixiren ſollte, wohl aber auf einen beſtimmten Theil des Einkommens oder des Vermoͤgens. Wenn die Regie- rung heute den Ertrag eines Morgens Land fuͤr ihr Be- duͤrfniß in Anſpruch nimmt, ſo wuͤrde der Landmann kuͤnf- tig ſtatt zehn Morgen eilf anbauen, denn des unbenutzten fruchtbaren Bodens iſt genug vorhanden, und man iſt noch ſehr weit davon entfernt, daß die Arbeit wie bei uns an vielen Stellen eine nicht mehr zu uͤberbietende Anſpannung aller Kraͤfte ſei. Allein was wuͤrde geſchehen, wenn der Landmann dies Fruͤhjahr eine doppelte Felderflaͤche bebaute? Man wuͤrde ihm zum Herbſt die doppelten Abgaben auf- buͤrden. So legt denn jeder die Haͤnde in den Schooß, wohl wiſſend, daß man dem, der viel hat, viel abnimmt, und beſchraͤnkt ſich darauf, zu bauen, was der Unterhalt dringend erfordert.
So lange die Steuererhebung in nichts Anderm beſteht, als darin, daß jeder Muͤſſelim den ihm anheim gegebenen Unterthanen ſo viel abpreßt, als er preſſen kann, ohne ſie zu offener Widerſetzlichkeit zu zwingen, ſo lange kann der Ackerbau ſich nie heben, viel weniger Gewerbthaͤtigkeit Wur- zel faſſen. Und doch muͤßten dieſe in ſo manchen Zweigen trefflich gedeihen, und wuͤrden dem Grund und Boden erſt ſeinen rechten Werth geben. Wie viel Naturkraͤfte ſind
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="280"/>
erſte Bedingung eines geſitteten Zuſtandes durch Abgaben<lb/>
an die Regierung erkauft wird, ſo kann man darin doch<lb/>
nur einen Fortſchritt zum Beſſeren ſehen.</p><lb/><p>Die Rajahs ſteuern hier uͤberall mehr als die Mos-<lb/>
lems; der Charadſch, dem ſie unterworfen ſind, iſt indeß be-<lb/>
kanntlich nur ſehr gering, und wenn die Rajahs außerdem<lb/>
zu mancherlei Leiſtungen herangezogen werden, ſo iſt darin,<lb/>ſofern es nicht mit Haͤrte und auf kraͤnkende Weiſe ge-<lb/>ſchieht, nichts Ungerechtes, da ſie ihrerſeits von der haͤrte-<lb/>ſten aller Steuern, von der Conſcription befreit ſind.</p><lb/><p>Der wahre Grund zur Klage liegt uͤberhaupt nicht<lb/>
darin, daß die Steuern <hirendition="#g">hoch</hi>, ſondern daß ſie <hirendition="#g">willkuͤr-<lb/>
lich</hi>ſind. Jch meine nicht, daß man ſie auf eine gewiſſe<lb/>
Summe fixiren ſollte, wohl aber auf einen beſtimmten Theil<lb/>
des Einkommens oder des Vermoͤgens. Wenn die Regie-<lb/>
rung heute den Ertrag eines Morgens Land fuͤr ihr Be-<lb/>
duͤrfniß in Anſpruch nimmt, ſo wuͤrde der Landmann kuͤnf-<lb/>
tig ſtatt zehn Morgen eilf anbauen, denn des unbenutzten<lb/>
fruchtbaren Bodens iſt genug vorhanden, und man iſt noch<lb/>ſehr weit davon entfernt, daß die Arbeit wie bei uns an<lb/>
vielen Stellen eine nicht mehr zu uͤberbietende Anſpannung<lb/>
aller Kraͤfte ſei. Allein was wuͤrde geſchehen, wenn der<lb/>
Landmann dies Fruͤhjahr eine doppelte Felderflaͤche bebaute?<lb/>
Man wuͤrde ihm zum Herbſt die doppelten Abgaben auf-<lb/>
buͤrden. So legt denn jeder die Haͤnde in den Schooß,<lb/>
wohl wiſſend, daß man dem, der viel hat, viel abnimmt,<lb/>
und beſchraͤnkt ſich darauf, zu bauen, was der Unterhalt<lb/>
dringend erfordert.</p><lb/><p>So lange die Steuererhebung in nichts Anderm beſteht,<lb/>
als darin, daß jeder Muͤſſelim den ihm anheim gegebenen<lb/>
Unterthanen ſo viel abpreßt, als er preſſen kann, ohne ſie<lb/>
zu offener Widerſetzlichkeit zu zwingen, ſo lange kann der<lb/>
Ackerbau ſich nie heben, viel weniger Gewerbthaͤtigkeit Wur-<lb/>
zel faſſen. Und doch muͤßten dieſe in ſo manchen Zweigen<lb/>
trefflich gedeihen, und wuͤrden dem Grund und Boden erſt<lb/>ſeinen rechten Werth geben. Wie viel Naturkraͤfte ſind<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[280/0290]
erſte Bedingung eines geſitteten Zuſtandes durch Abgaben
an die Regierung erkauft wird, ſo kann man darin doch
nur einen Fortſchritt zum Beſſeren ſehen.
Die Rajahs ſteuern hier uͤberall mehr als die Mos-
lems; der Charadſch, dem ſie unterworfen ſind, iſt indeß be-
kanntlich nur ſehr gering, und wenn die Rajahs außerdem
zu mancherlei Leiſtungen herangezogen werden, ſo iſt darin,
ſofern es nicht mit Haͤrte und auf kraͤnkende Weiſe ge-
ſchieht, nichts Ungerechtes, da ſie ihrerſeits von der haͤrte-
ſten aller Steuern, von der Conſcription befreit ſind.
Der wahre Grund zur Klage liegt uͤberhaupt nicht
darin, daß die Steuern hoch, ſondern daß ſie willkuͤr-
lich ſind. Jch meine nicht, daß man ſie auf eine gewiſſe
Summe fixiren ſollte, wohl aber auf einen beſtimmten Theil
des Einkommens oder des Vermoͤgens. Wenn die Regie-
rung heute den Ertrag eines Morgens Land fuͤr ihr Be-
duͤrfniß in Anſpruch nimmt, ſo wuͤrde der Landmann kuͤnf-
tig ſtatt zehn Morgen eilf anbauen, denn des unbenutzten
fruchtbaren Bodens iſt genug vorhanden, und man iſt noch
ſehr weit davon entfernt, daß die Arbeit wie bei uns an
vielen Stellen eine nicht mehr zu uͤberbietende Anſpannung
aller Kraͤfte ſei. Allein was wuͤrde geſchehen, wenn der
Landmann dies Fruͤhjahr eine doppelte Felderflaͤche bebaute?
Man wuͤrde ihm zum Herbſt die doppelten Abgaben auf-
buͤrden. So legt denn jeder die Haͤnde in den Schooß,
wohl wiſſend, daß man dem, der viel hat, viel abnimmt,
und beſchraͤnkt ſich darauf, zu bauen, was der Unterhalt
dringend erfordert.
So lange die Steuererhebung in nichts Anderm beſteht,
als darin, daß jeder Muͤſſelim den ihm anheim gegebenen
Unterthanen ſo viel abpreßt, als er preſſen kann, ohne ſie
zu offener Widerſetzlichkeit zu zwingen, ſo lange kann der
Ackerbau ſich nie heben, viel weniger Gewerbthaͤtigkeit Wur-
zel faſſen. Und doch muͤßten dieſe in ſo manchen Zweigen
trefflich gedeihen, und wuͤrden dem Grund und Boden erſt
ſeinen rechten Werth geben. Wie viel Naturkraͤfte ſind
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/290>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.