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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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bewaffnetes Gefolge schwach; aber der Empfang verscheuchte
bald jede Besorgniß. Der Jchtjar des Lagers eilte sogleich
herbei, hob mich vom Pferde, führte mich in sein eigenes
Zelt auf seine besten Kissen, und seine Frau (die älteste,
jedoch nicht die schönste Dame ihres Stammes) ließ sich's
nicht nehmen, nach alt-orientalischem Brauch ihrem Gaste
die Füße zu waschen; die Pfeife fehlte nicht, aber Kaffee
war ein Luxusartikel, der in diesem Lager nicht vorhanden
war, dagegen wurde sogleich eine junge Ziege und ein Pil-
law von Bulgur oder Gerstengrütze zum Abendbrot be-
stimmt. Das widerstrebende Thier wurde vor das Zelt ge-
zogen und mit dem Handschar als Kurban oder Opfer ge-
schlachtet. Die Aeltesten aus den verschiedenen Familien
erschienen; sie kauerten nach erlassener huldreicher Auffor-
derung an der Erde nieder und boten mir einer nach dem
andern ihre Pfeife.

Die kurdischen Weiber gehen unverschleiert, aber die
Angehörigen tragen Sorge, daß man die Hübschen nicht
leicht zu sehen bekommt; sie haben Ringe in den Nasen,
und was von Geld im Lager vorhanden, tragen die Frauen
im Haar. Jch verehrte meiner Wirthstochter ein ganzes
Münzkabinet von schlechten Zwei-, Drei- und Fünf-Piaster-
stücken, deren man, Dank sei es der Münze in Konstanti-
nopel, eine ziemliche Menge für ein paar Thaler beschaffen
kann. Das Mädchen war nun in ihrem Stamm als eine
reiche Erbin anzusehen, was Geld anbetrifft, und der Mut-
ter machte ich eine große Freude, indem ich ihr meinen
Vorrath von Kaffee zurückließ.

Am folgenden Morgen früh erreichten wir das Dorf
Abdul-harab mit den Ruinen eines alten Schlosses mitten
in einem weiten Schilfmeer. Wir stiegen nun mehrere
Stunden lang in das steinige nackte Thal aufwärts bis
zur Höhe des Bey-dagh oder Fürstenbergs; von da senkt
sich der Saumpfad eben so anhaltend wieder herab. Die
Hitze war furchtbar und unsere armen Thiere noch von ge-
stern sehr ermüdet; hinter jeder Felsecke glaubte ich, der

bewaffnetes Gefolge ſchwach; aber der Empfang verſcheuchte
bald jede Beſorgniß. Der Jchtjar des Lagers eilte ſogleich
herbei, hob mich vom Pferde, fuͤhrte mich in ſein eigenes
Zelt auf ſeine beſten Kiſſen, und ſeine Frau (die aͤlteſte,
jedoch nicht die ſchoͤnſte Dame ihres Stammes) ließ ſich's
nicht nehmen, nach alt-orientaliſchem Brauch ihrem Gaſte
die Fuͤße zu waſchen; die Pfeife fehlte nicht, aber Kaffee
war ein Luxusartikel, der in dieſem Lager nicht vorhanden
war, dagegen wurde ſogleich eine junge Ziege und ein Pil-
law von Bulgur oder Gerſtengruͤtze zum Abendbrot be-
ſtimmt. Das widerſtrebende Thier wurde vor das Zelt ge-
zogen und mit dem Handſchar als Kurban oder Opfer ge-
ſchlachtet. Die Aelteſten aus den verſchiedenen Familien
erſchienen; ſie kauerten nach erlaſſener huldreicher Auffor-
derung an der Erde nieder und boten mir einer nach dem
andern ihre Pfeife.

Die kurdiſchen Weiber gehen unverſchleiert, aber die
Angehoͤrigen tragen Sorge, daß man die Huͤbſchen nicht
leicht zu ſehen bekommt; ſie haben Ringe in den Naſen,
und was von Geld im Lager vorhanden, tragen die Frauen
im Haar. Jch verehrte meiner Wirthstochter ein ganzes
Muͤnzkabinet von ſchlechten Zwei-, Drei- und Fuͤnf-Piaſter-
ſtuͤcken, deren man, Dank ſei es der Muͤnze in Konſtanti-
nopel, eine ziemliche Menge fuͤr ein paar Thaler beſchaffen
kann. Das Maͤdchen war nun in ihrem Stamm als eine
reiche Erbin anzuſehen, was Geld anbetrifft, und der Mut-
ter machte ich eine große Freude, indem ich ihr meinen
Vorrath von Kaffee zuruͤckließ.

Am folgenden Morgen fruͤh erreichten wir das Dorf
Abdul-harab mit den Ruinen eines alten Schloſſes mitten
in einem weiten Schilfmeer. Wir ſtiegen nun mehrere
Stunden lang in das ſteinige nackte Thal aufwaͤrts bis
zur Hoͤhe des Bey-dagh oder Fuͤrſtenbergs; von da ſenkt
ſich der Saumpfad eben ſo anhaltend wieder herab. Die
Hitze war furchtbar und unſere armen Thiere noch von ge-
ſtern ſehr ermuͤdet; hinter jeder Felsecke glaubte ich, der

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[298/0308] bewaffnetes Gefolge ſchwach; aber der Empfang verſcheuchte bald jede Beſorgniß. Der Jchtjar des Lagers eilte ſogleich herbei, hob mich vom Pferde, fuͤhrte mich in ſein eigenes Zelt auf ſeine beſten Kiſſen, und ſeine Frau (die aͤlteſte, jedoch nicht die ſchoͤnſte Dame ihres Stammes) ließ ſich's nicht nehmen, nach alt-orientaliſchem Brauch ihrem Gaſte die Fuͤße zu waſchen; die Pfeife fehlte nicht, aber Kaffee war ein Luxusartikel, der in dieſem Lager nicht vorhanden war, dagegen wurde ſogleich eine junge Ziege und ein Pil- law von Bulgur oder Gerſtengruͤtze zum Abendbrot be- ſtimmt. Das widerſtrebende Thier wurde vor das Zelt ge- zogen und mit dem Handſchar als Kurban oder Opfer ge- ſchlachtet. Die Aelteſten aus den verſchiedenen Familien erſchienen; ſie kauerten nach erlaſſener huldreicher Auffor- derung an der Erde nieder und boten mir einer nach dem andern ihre Pfeife. Die kurdiſchen Weiber gehen unverſchleiert, aber die Angehoͤrigen tragen Sorge, daß man die Huͤbſchen nicht leicht zu ſehen bekommt; ſie haben Ringe in den Naſen, und was von Geld im Lager vorhanden, tragen die Frauen im Haar. Jch verehrte meiner Wirthstochter ein ganzes Muͤnzkabinet von ſchlechten Zwei-, Drei- und Fuͤnf-Piaſter- ſtuͤcken, deren man, Dank ſei es der Muͤnze in Konſtanti- nopel, eine ziemliche Menge fuͤr ein paar Thaler beſchaffen kann. Das Maͤdchen war nun in ihrem Stamm als eine reiche Erbin anzuſehen, was Geld anbetrifft, und der Mut- ter machte ich eine große Freude, indem ich ihr meinen Vorrath von Kaffee zuruͤckließ. Am folgenden Morgen fruͤh erreichten wir das Dorf Abdul-harab mit den Ruinen eines alten Schloſſes mitten in einem weiten Schilfmeer. Wir ſtiegen nun mehrere Stunden lang in das ſteinige nackte Thal aufwaͤrts bis zur Hoͤhe des Bey-dagh oder Fuͤrſtenbergs; von da ſenkt ſich der Saumpfad eben ſo anhaltend wieder herab. Die Hitze war furchtbar und unſere armen Thiere noch von ge- ſtern ſehr ermuͤdet; hinter jeder Felsecke glaubte ich, der

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/308>, abgerufen am 21.11.2024.