glänzendes Schneeflöckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt man auf; nach und nach erscheinen dann auf allen Dä- chern die Familien, um Luft zu schöpfen. Dort werden die Teppiche ausgebreitet und Kissen gelegt für den Haus- herrn; er läßt sich von den jungen Mitgliederu der Fami- lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm stehen bleiben, wäh- rend er die Pfeife trinkt; dann erscheint die große runde Messingplatte mit zahllosen zinnernen Schüsseln, welche das Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu- ter Sitte geht man früh schlafen, nichts als den pracht- voll funkelnden Sternhimmel über sich, um früh, wenn die aufgehende Sonne den höchsten Gipfel röthet, vor ihr die Flucht zu ergreifen und an sein Geschäft zu gehen.
Herzlich froh war ich, als der Pascha mich in Kar- put aufforderte, mit ihm in seiner vierspännigen Kalesche nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorstellen un- gefähr, als wenn man bei uns Jemand vorschlägt, mit ihm in einem Luftballon aufzusteigen. Die Sache ging vortreff- lich bis an den nächsten Berg; dort erkannten wir, daß in diesem Lande ein Maulesel eine weit zuverlässigere Reise- gelegenheit ist, als ein Wiener Wagen.
Nachdem der Pascha die Truppen gemustert und das Lager besichtigt, verfügten wir uns nach Asbusu, der Som- merstadt von Malatia. Ueber diesen wunderlieblichen Auf- enthalt habe ich Dir schon in früheren Briefen geschrieben; man kann sich einbilden, in der lombardischen Ebene zu sein, so viel frisches Grün der Maulbeerbäume und Wein- gärten, so zahllose kleine Kanäle mit klarem, rauschendem Wasser giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) ist klein, aber einer der hübschesten, die ich hier gefunden, und es trifft sich wirklich recht seltsam, daß vor mir Wassaf-Effendi ihn bewohnte. Dieser allmächtige Günstling, von dem ich Dir, als ich den Großherrn begleitete, geschrieben habe (und der, beiläufig gesagt, in allen Dingen mein Gegner war), fiel bald nach der Rückkehr nach Konstantinopel in Ungnade, und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-
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glaͤnzendes Schneefloͤckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt man auf; nach und nach erſcheinen dann auf allen Daͤ- chern die Familien, um Luft zu ſchoͤpfen. Dort werden die Teppiche ausgebreitet und Kiſſen gelegt fuͤr den Haus- herrn; er laͤßt ſich von den jungen Mitgliederu der Fami- lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm ſtehen bleiben, waͤh- rend er die Pfeife trinkt; dann erſcheint die große runde Meſſingplatte mit zahlloſen zinnernen Schuͤſſeln, welche das Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu- ter Sitte geht man fruͤh ſchlafen, nichts als den pracht- voll funkelnden Sternhimmel uͤber ſich, um fruͤh, wenn die aufgehende Sonne den hoͤchſten Gipfel roͤthet, vor ihr die Flucht zu ergreifen und an ſein Geſchaͤft zu gehen.
Herzlich froh war ich, als der Paſcha mich in Kar- put aufforderte, mit ihm in ſeiner vierſpaͤnnigen Kaleſche nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorſtellen un- gefaͤhr, als wenn man bei uns Jemand vorſchlaͤgt, mit ihm in einem Luftballon aufzuſteigen. Die Sache ging vortreff- lich bis an den naͤchſten Berg; dort erkannten wir, daß in dieſem Lande ein Mauleſel eine weit zuverlaͤſſigere Reiſe- gelegenheit iſt, als ein Wiener Wagen.
Nachdem der Paſcha die Truppen gemuſtert und das Lager beſichtigt, verfuͤgten wir uns nach Asbuſu, der Som- merſtadt von Malatia. Ueber dieſen wunderlieblichen Auf- enthalt habe ich Dir ſchon in fruͤheren Briefen geſchrieben; man kann ſich einbilden, in der lombardiſchen Ebene zu ſein, ſo viel friſches Gruͤn der Maulbeerbaͤume und Wein- gaͤrten, ſo zahlloſe kleine Kanaͤle mit klarem, rauſchendem Waſſer giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) iſt klein, aber einer der huͤbſcheſten, die ich hier gefunden, und es trifft ſich wirklich recht ſeltſam, daß vor mir Waſſaf-Effendi ihn bewohnte. Dieſer allmaͤchtige Guͤnſtling, von dem ich Dir, als ich den Großherrn begleitete, geſchrieben habe (und der, beilaͤufig geſagt, in allen Dingen mein Gegner war), fiel bald nach der Ruͤckkehr nach Konſtantinopel in Ungnade, und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-
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glaͤnzendes Schneefloͤckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt
man auf; nach und nach erſcheinen dann auf allen Daͤ-
chern die Familien, um Luft zu ſchoͤpfen. Dort werden
die Teppiche ausgebreitet und Kiſſen gelegt fuͤr den Haus-
herrn; er laͤßt ſich von den jungen Mitgliederu der Fami-
lie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm ſtehen bleiben, waͤh-
rend er die Pfeife trinkt; dann erſcheint die große runde
Meſſingplatte mit zahlloſen zinnernen Schuͤſſeln, welche das
Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach gu-
ter Sitte geht man fruͤh ſchlafen, nichts als den pracht-
voll funkelnden Sternhimmel uͤber ſich, um fruͤh, wenn die
aufgehende Sonne den hoͤchſten Gipfel roͤthet, vor ihr die
Flucht zu ergreifen und an ſein Geſchaͤft zu gehen.
Herzlich froh war ich, als der Paſcha mich in Kar-
put aufforderte, mit ihm in ſeiner vierſpaͤnnigen Kaleſche
nach Malatia zu fahren; das mußt Du Dir vorſtellen un-
gefaͤhr, als wenn man bei uns Jemand vorſchlaͤgt, mit ihm
in einem Luftballon aufzuſteigen. Die Sache ging vortreff-
lich bis an den naͤchſten Berg; dort erkannten wir, daß in
dieſem Lande ein Mauleſel eine weit zuverlaͤſſigere Reiſe-
gelegenheit iſt, als ein Wiener Wagen.
Nachdem der Paſcha die Truppen gemuſtert und das
Lager beſichtigt, verfuͤgten wir uns nach Asbuſu, der Som-
merſtadt von Malatia. Ueber dieſen wunderlieblichen Auf-
enthalt habe ich Dir ſchon in fruͤheren Briefen geſchrieben;
man kann ſich einbilden, in der lombardiſchen Ebene zu
ſein, ſo viel friſches Gruͤn der Maulbeerbaͤume und Wein-
gaͤrten, ſo zahlloſe kleine Kanaͤle mit klarem, rauſchendem
Waſſer giebt es hier. Mein Konak (Wohnung) iſt klein, aber
einer der huͤbſcheſten, die ich hier gefunden, und es trifft ſich
wirklich recht ſeltſam, daß vor mir Waſſaf-Effendi ihn
bewohnte. Dieſer allmaͤchtige Guͤnſtling, von dem ich Dir,
als ich den Großherrn begleitete, geſchrieben habe (und
der, beilaͤufig geſagt, in allen Dingen mein Gegner war),
fiel bald nach der Ruͤckkehr nach Konſtantinopel in Ungnade,
und wurde nach Maaden, d. h. in den Bezirk der Berg-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/315>, abgerufen am 21.11.2024.
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