Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

werke des Taurus, verbannt. Hier hatte er sich dasselbe
Plätzchen ausgesucht, auf welchem ich Dir jetzt schreibe;
seine Feinde aber, und er hatte deren viele und mächtige,
schleppten ihn nach Varna, und dort -- starb er plötzlich.
Er soll sich zum Fenster hinaus gestürzt haben, und es
scheint, daß man ihm dabei geholfen.

Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen, kaum
nur ein Wölkchen am Himmel gesehen. Mein kleines Pa-
lais hat ein flaches Dach und nur drei Wände, und diese
auch nur des Schattens wegen; dies ganze Haus habe ich
meinen Leuten eingeräumt, einem Tschausch oder Sergean-
ten als Ehrenwache, einem türkischen Soldaten, meinem
Bedienten, und zwei Seis oder Pferdewärtern; ich selbst
wohne auf einer Brücke, unter einem Baume, nämlich auf
einer bretternen Estrade, die, um der Kühle willen, über
dem darunter fortrauschenden klaren Gebirgsbach erbaut ist,
welcher dies ganze Paradies geschaffen. Teppiche und Pol-
ster bedecken den Boden meines acht Schritte ins Gevierte
haltenden Salons, und den Plafond bildet ein Geländer
von prächtigen Weinreben voll Trauben, die, vereint mit
den nahestehenden Nuß- und Mastix-Bäumen, zu allen
Tageszeiten einen köstlichen Schatten auf diesen Sitz wer-
fen. Hier schreibe, lese, esse, rauche und schlafe, kurz wohne
ich seit Wochen Tags und Nachts, außer wenn ich aus-
reite oder beim Pascha bin; eine Wand von himmelhohen
Pappeln (dreizehn auf neun Schritte Raum zusammen ge-
drängt) trennt zwei kleine Hofräume ab, in welchen meine
Pferde und Maulesel sich befinden, und rings um das
Ganze verbreiten sich Gärten voll riesenhafter Kürbisse, Me-
lonen, Pasteken, Mais, Gurken und Bohnen, überschattet
von Aprikosen-, Nuß-, Pflaumen-, Birnen-, Aepfel- und
Maulbeer-Bäumen.

Die Witterung hat sich schon etwas abgekühlt; wir
haben aber doch des Mittags selbst hier auf meinem schat-
tigen Sitz über dem Wasser noch 25 Gr., des Nachts sinkt
die Temperatur hingegen sehr bedeutend, und kurz vor

werke des Taurus, verbannt. Hier hatte er ſich daſſelbe
Plaͤtzchen ausgeſucht, auf welchem ich Dir jetzt ſchreibe;
ſeine Feinde aber, und er hatte deren viele und maͤchtige,
ſchleppten ihn nach Varna, und dort — ſtarb er ploͤtzlich.
Er ſoll ſich zum Fenſter hinaus geſtuͤrzt haben, und es
ſcheint, daß man ihm dabei geholfen.

Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen, kaum
nur ein Woͤlkchen am Himmel geſehen. Mein kleines Pa-
lais hat ein flaches Dach und nur drei Waͤnde, und dieſe
auch nur des Schattens wegen; dies ganze Haus habe ich
meinen Leuten eingeraͤumt, einem Tſchauſch oder Sergean-
ten als Ehrenwache, einem tuͤrkiſchen Soldaten, meinem
Bedienten, und zwei Seïs oder Pferdewaͤrtern; ich ſelbſt
wohne auf einer Bruͤcke, unter einem Baume, naͤmlich auf
einer bretternen Eſtrade, die, um der Kuͤhle willen, uͤber
dem darunter fortrauſchenden klaren Gebirgsbach erbaut iſt,
welcher dies ganze Paradies geſchaffen. Teppiche und Pol-
ſter bedecken den Boden meines acht Schritte ins Gevierte
haltenden Salons, und den Plafond bildet ein Gelaͤnder
von praͤchtigen Weinreben voll Trauben, die, vereint mit
den naheſtehenden Nuß- und Maſtix-Baͤumen, zu allen
Tageszeiten einen koͤſtlichen Schatten auf dieſen Sitz wer-
fen. Hier ſchreibe, leſe, eſſe, rauche und ſchlafe, kurz wohne
ich ſeit Wochen Tags und Nachts, außer wenn ich aus-
reite oder beim Paſcha bin; eine Wand von himmelhohen
Pappeln (dreizehn auf neun Schritte Raum zuſammen ge-
draͤngt) trennt zwei kleine Hofraͤume ab, in welchen meine
Pferde und Mauleſel ſich befinden, und rings um das
Ganze verbreiten ſich Gaͤrten voll rieſenhafter Kuͤrbiſſe, Me-
lonen, Paſteken, Mais, Gurken und Bohnen, uͤberſchattet
von Aprikoſen-, Nuß-, Pflaumen-, Birnen-, Aepfel- und
Maulbeer-Baͤumen.

Die Witterung hat ſich ſchon etwas abgekuͤhlt; wir
haben aber doch des Mittags ſelbſt hier auf meinem ſchat-
tigen Sitz uͤber dem Waſſer noch 25 Gr., des Nachts ſinkt
die Temperatur hingegen ſehr bedeutend, und kurz vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0316" n="306"/>
werke des Taurus, verbannt. Hier hatte er &#x017F;ich da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
Pla&#x0364;tzchen ausge&#x017F;ucht, auf welchem ich Dir jetzt &#x017F;chreibe;<lb/>
&#x017F;eine Feinde aber, und er hatte deren viele und ma&#x0364;chtige,<lb/>
&#x017F;chleppten ihn nach Varna, und dort &#x2014; &#x017F;tarb er plo&#x0364;tzlich.<lb/>
Er &#x017F;oll &#x017F;ich zum Fen&#x017F;ter hinaus ge&#x017F;tu&#x0364;rzt haben, und es<lb/>
&#x017F;cheint, daß man ihm dabei geholfen.</p><lb/>
        <p>Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen, kaum<lb/>
nur ein Wo&#x0364;lkchen am Himmel ge&#x017F;ehen. Mein kleines Pa-<lb/>
lais hat ein flaches Dach und nur drei Wa&#x0364;nde, und die&#x017F;e<lb/>
auch nur des Schattens wegen; dies ganze Haus habe ich<lb/>
meinen Leuten eingera&#x0364;umt, einem T&#x017F;chau&#x017F;ch oder Sergean-<lb/>
ten als Ehrenwache, einem tu&#x0364;rki&#x017F;chen Soldaten, meinem<lb/>
Bedienten, und zwei Seïs oder Pferdewa&#x0364;rtern; ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wohne auf einer Bru&#x0364;cke, unter einem Baume, na&#x0364;mlich auf<lb/>
einer bretternen E&#x017F;trade, die, um der Ku&#x0364;hle willen, u&#x0364;ber<lb/>
dem darunter fortrau&#x017F;chenden klaren Gebirgsbach erbaut i&#x017F;t,<lb/>
welcher dies ganze Paradies ge&#x017F;chaffen. Teppiche und Pol-<lb/>
&#x017F;ter bedecken den Boden meines acht Schritte ins Gevierte<lb/>
haltenden Salons, und den Plafond bildet ein Gela&#x0364;nder<lb/>
von pra&#x0364;chtigen Weinreben voll Trauben, die, vereint mit<lb/>
den nahe&#x017F;tehenden Nuß- und Ma&#x017F;tix-Ba&#x0364;umen, zu allen<lb/>
Tageszeiten einen ko&#x0364;&#x017F;tlichen Schatten auf die&#x017F;en Sitz wer-<lb/>
fen. Hier &#x017F;chreibe, le&#x017F;e, e&#x017F;&#x017F;e, rauche und &#x017F;chlafe, kurz wohne<lb/>
ich &#x017F;eit Wochen Tags und Nachts, außer wenn ich aus-<lb/>
reite oder beim Pa&#x017F;cha bin; eine Wand von himmelhohen<lb/>
Pappeln (dreizehn auf neun Schritte Raum zu&#x017F;ammen ge-<lb/>
dra&#x0364;ngt) trennt zwei kleine Hofra&#x0364;ume ab, in welchen meine<lb/>
Pferde und Maule&#x017F;el &#x017F;ich befinden, und rings um das<lb/>
Ganze verbreiten &#x017F;ich Ga&#x0364;rten voll rie&#x017F;enhafter Ku&#x0364;rbi&#x017F;&#x017F;e, Me-<lb/>
lonen, Pa&#x017F;teken, Mais, Gurken und Bohnen, u&#x0364;ber&#x017F;chattet<lb/>
von Apriko&#x017F;en-, Nuß-, Pflaumen-, Birnen-, Aepfel- und<lb/>
Maulbeer-Ba&#x0364;umen.</p><lb/>
        <p>Die Witterung hat &#x017F;ich &#x017F;chon etwas abgeku&#x0364;hlt; wir<lb/>
haben aber doch des Mittags &#x017F;elb&#x017F;t hier auf meinem &#x017F;chat-<lb/>
tigen Sitz u&#x0364;ber dem Wa&#x017F;&#x017F;er noch 25 Gr., des Nachts &#x017F;inkt<lb/>
die Temperatur hingegen &#x017F;ehr bedeutend, und kurz vor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0316] werke des Taurus, verbannt. Hier hatte er ſich daſſelbe Plaͤtzchen ausgeſucht, auf welchem ich Dir jetzt ſchreibe; ſeine Feinde aber, und er hatte deren viele und maͤchtige, ſchleppten ihn nach Varna, und dort — ſtarb er ploͤtzlich. Er ſoll ſich zum Fenſter hinaus geſtuͤrzt haben, und es ſcheint, daß man ihm dabei geholfen. Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen, kaum nur ein Woͤlkchen am Himmel geſehen. Mein kleines Pa- lais hat ein flaches Dach und nur drei Waͤnde, und dieſe auch nur des Schattens wegen; dies ganze Haus habe ich meinen Leuten eingeraͤumt, einem Tſchauſch oder Sergean- ten als Ehrenwache, einem tuͤrkiſchen Soldaten, meinem Bedienten, und zwei Seïs oder Pferdewaͤrtern; ich ſelbſt wohne auf einer Bruͤcke, unter einem Baume, naͤmlich auf einer bretternen Eſtrade, die, um der Kuͤhle willen, uͤber dem darunter fortrauſchenden klaren Gebirgsbach erbaut iſt, welcher dies ganze Paradies geſchaffen. Teppiche und Pol- ſter bedecken den Boden meines acht Schritte ins Gevierte haltenden Salons, und den Plafond bildet ein Gelaͤnder von praͤchtigen Weinreben voll Trauben, die, vereint mit den naheſtehenden Nuß- und Maſtix-Baͤumen, zu allen Tageszeiten einen koͤſtlichen Schatten auf dieſen Sitz wer- fen. Hier ſchreibe, leſe, eſſe, rauche und ſchlafe, kurz wohne ich ſeit Wochen Tags und Nachts, außer wenn ich aus- reite oder beim Paſcha bin; eine Wand von himmelhohen Pappeln (dreizehn auf neun Schritte Raum zuſammen ge- draͤngt) trennt zwei kleine Hofraͤume ab, in welchen meine Pferde und Mauleſel ſich befinden, und rings um das Ganze verbreiten ſich Gaͤrten voll rieſenhafter Kuͤrbiſſe, Me- lonen, Paſteken, Mais, Gurken und Bohnen, uͤberſchattet von Aprikoſen-, Nuß-, Pflaumen-, Birnen-, Aepfel- und Maulbeer-Baͤumen. Die Witterung hat ſich ſchon etwas abgekuͤhlt; wir haben aber doch des Mittags ſelbſt hier auf meinem ſchat- tigen Sitz uͤber dem Waſſer noch 25 Gr., des Nachts ſinkt die Temperatur hingegen ſehr bedeutend, und kurz vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/316
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/316>, abgerufen am 17.06.2024.