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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Sonnenaufgang haben wir regelmäßig 11 -- 12 Gr. Die-
ser so bedeutende Temperaturwechsel, verbunden mit dem
Genusse des reichlich vorhandenen Obstes, mag die Haupt-
ursache zu den vielen Krankheiten sein, die unsere Solda-
ten heimsuchen.

Jch habe früher nicht begreifen können, wie die Tür-
ken im Stande sind, Pelze zu tragen, und ich selbst, der
ich daheim nie einen brauchte, habe ihn hier den ganzen
Sommer nicht abgelegt. Nachdem man den Tag über bis
28 Gr. Hitze ertragen, findet man es bei 14 oder 15 Gr.
des Abends empfindlich kalt; viele der Eingebornen tragen
zwei bis drei Pelze über einander, Sommer und Winter,
Mittags und Nachts, denn der Türke schläft fast ganz an-
gekleidet; er behauptet, daß eben die Menge der Kleider
gegen Wärme so gut wie gegen Kälte schützt.

Mir ist die Hitze eigentlich nie unerträglich geworden,
nur macht sie träge; jede Bewegung ist eine Kraftanstren-
gung, und die größte von allen ist einen Brief zu schrei-
ben. Meine Tracht zu Hause ist ein großer weißer Man-
tel von dünnem wollenen Zeug, wie er bei den Kurden
üblich und wie ihn die Malteser-Ritter aus diesen Ländern
nach Europa mitgebracht haben. Nichts Zweckmäßigeres
und Angenehmeres als diese Tracht; man kann unter dem
Mantel anhaben so viel und so wenig man will, er schützt
beim Reiten gegen Sonne, wie gegen Regen; Nachts dient
er als Bettdecke, und je nachdem man ihn umhängt, an-
zieht oder umbindet, ist er Mantel, Kleid, Gürtel oder Tur-
ban. Die Construktion dieses Gewandes ist die einfachste,
nämlich die eines in der Mitte aufgeschlitzten Sackes; des-
senungeachtet drappirt er sehr gut, und die unregelmäßige
Reiterei mit solchen Mänteln, bunten Turbanen und lan-
gen Flinten sieht wirklich malerisch aus.

Jn Hinsicht des Costüms könnten wir überhaupt man-
ches von den Orientalen lernen. Morrier, welcher lange
und scharf beobachtete, und welcher in seinen Romanen von
den Sitten dieses Landes eine richtigere Vorstellung giebt,

Sonnenaufgang haben wir regelmaͤßig 11 — 12 Gr. Die-
ſer ſo bedeutende Temperaturwechſel, verbunden mit dem
Genuſſe des reichlich vorhandenen Obſtes, mag die Haupt-
urſache zu den vielen Krankheiten ſein, die unſere Solda-
ten heimſuchen.

Jch habe fruͤher nicht begreifen koͤnnen, wie die Tuͤr-
ken im Stande ſind, Pelze zu tragen, und ich ſelbſt, der
ich daheim nie einen brauchte, habe ihn hier den ganzen
Sommer nicht abgelegt. Nachdem man den Tag uͤber bis
28 Gr. Hitze ertragen, findet man es bei 14 oder 15 Gr.
des Abends empfindlich kalt; viele der Eingebornen tragen
zwei bis drei Pelze uͤber einander, Sommer und Winter,
Mittags und Nachts, denn der Tuͤrke ſchlaͤft faſt ganz an-
gekleidet; er behauptet, daß eben die Menge der Kleider
gegen Waͤrme ſo gut wie gegen Kaͤlte ſchuͤtzt.

Mir iſt die Hitze eigentlich nie unertraͤglich geworden,
nur macht ſie traͤge; jede Bewegung iſt eine Kraftanſtren-
gung, und die groͤßte von allen iſt einen Brief zu ſchrei-
ben. Meine Tracht zu Hauſe iſt ein großer weißer Man-
tel von duͤnnem wollenen Zeug, wie er bei den Kurden
uͤblich und wie ihn die Malteſer-Ritter aus dieſen Laͤndern
nach Europa mitgebracht haben. Nichts Zweckmaͤßigeres
und Angenehmeres als dieſe Tracht; man kann unter dem
Mantel anhaben ſo viel und ſo wenig man will, er ſchuͤtzt
beim Reiten gegen Sonne, wie gegen Regen; Nachts dient
er als Bettdecke, und je nachdem man ihn umhaͤngt, an-
zieht oder umbindet, iſt er Mantel, Kleid, Guͤrtel oder Tur-
ban. Die Conſtruktion dieſes Gewandes iſt die einfachſte,
naͤmlich die eines in der Mitte aufgeſchlitzten Sackes; deſ-
ſenungeachtet drappirt er ſehr gut, und die unregelmaͤßige
Reiterei mit ſolchen Maͤnteln, bunten Turbanen und lan-
gen Flinten ſieht wirklich maleriſch aus.

Jn Hinſicht des Coſtuͤms koͤnnten wir uͤberhaupt man-
ches von den Orientalen lernen. Morrier, welcher lange
und ſcharf beobachtete, und welcher in ſeinen Romanen von
den Sitten dieſes Landes eine richtigere Vorſtellung giebt,

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[307/0317] Sonnenaufgang haben wir regelmaͤßig 11 — 12 Gr. Die- ſer ſo bedeutende Temperaturwechſel, verbunden mit dem Genuſſe des reichlich vorhandenen Obſtes, mag die Haupt- urſache zu den vielen Krankheiten ſein, die unſere Solda- ten heimſuchen. Jch habe fruͤher nicht begreifen koͤnnen, wie die Tuͤr- ken im Stande ſind, Pelze zu tragen, und ich ſelbſt, der ich daheim nie einen brauchte, habe ihn hier den ganzen Sommer nicht abgelegt. Nachdem man den Tag uͤber bis 28 Gr. Hitze ertragen, findet man es bei 14 oder 15 Gr. des Abends empfindlich kalt; viele der Eingebornen tragen zwei bis drei Pelze uͤber einander, Sommer und Winter, Mittags und Nachts, denn der Tuͤrke ſchlaͤft faſt ganz an- gekleidet; er behauptet, daß eben die Menge der Kleider gegen Waͤrme ſo gut wie gegen Kaͤlte ſchuͤtzt. Mir iſt die Hitze eigentlich nie unertraͤglich geworden, nur macht ſie traͤge; jede Bewegung iſt eine Kraftanſtren- gung, und die groͤßte von allen iſt einen Brief zu ſchrei- ben. Meine Tracht zu Hauſe iſt ein großer weißer Man- tel von duͤnnem wollenen Zeug, wie er bei den Kurden uͤblich und wie ihn die Malteſer-Ritter aus dieſen Laͤndern nach Europa mitgebracht haben. Nichts Zweckmaͤßigeres und Angenehmeres als dieſe Tracht; man kann unter dem Mantel anhaben ſo viel und ſo wenig man will, er ſchuͤtzt beim Reiten gegen Sonne, wie gegen Regen; Nachts dient er als Bettdecke, und je nachdem man ihn umhaͤngt, an- zieht oder umbindet, iſt er Mantel, Kleid, Guͤrtel oder Tur- ban. Die Conſtruktion dieſes Gewandes iſt die einfachſte, naͤmlich die eines in der Mitte aufgeſchlitzten Sackes; deſ- ſenungeachtet drappirt er ſehr gut, und die unregelmaͤßige Reiterei mit ſolchen Maͤnteln, bunten Turbanen und lan- gen Flinten ſieht wirklich maleriſch aus. Jn Hinſicht des Coſtuͤms koͤnnten wir uͤberhaupt man- ches von den Orientalen lernen. Morrier, welcher lange und ſcharf beobachtete, und welcher in ſeinen Romanen von den Sitten dieſes Landes eine richtigere Vorſtellung giebt,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/317>, abgerufen am 21.11.2024.