von Kara-Djehennah gehört?" Diese Unterredung war eben gepflogen worden zwischen dem vorausgeeilten Tata- ren und der Dienerschaft, als ich in den Hof des Serajs ritt. Der Müsselim sei beim Namaß (dem Gebet), hieß es, ich könne ihn nicht sprechen. Jch schlenderte demnach in eine nahe belegene schöne Moschee mit dem schlankesten Mi- nareh, das ich irgendwo gefunden; als ich zurück kam, hieß es, der Müsselim-Effendi sei noch nicht aufgestanden. Nun kenne ich aber meine Türken gut genug, um zu wis- sen, daß hier durch Warten oder Nachgeben nichts zu ge- winnen war; ich erklärte daher dem versammelten Schwarm von Kavassen und Aga's zuversichtlich und laut, daß ich unverzüglich zum Müsselim geführt zu werden beabsichtige, daß ich nicht gewohnt sei, mich im Hofe empfangen zu las- sen, und schritt ohne Weiteres die Stiege hinauf und in ein Zimmer, in welches fast gleich darauf der Bey eintrat, ein Mann mit der imposantesten Persönlichkeit, die mir vor- gekommen. Der Höllenfürst und ich begegneten uns wie zwei Männer, die gleich sehr bemüht sind, sich nichts von ihrer Würde zu vergeben; das schöne Gesicht des Bey's mit eisengrauem Barte schien anzukündigen, daß Krieg und Frieden noch nicht bei ihm entschieden, ich meines Theils nahm nicht die geringste Kenntniß von seiner An- wesenheit, ließ mir, wie die Sitte erfordert, die schweren Reitstiefeln durch meine Leute ausziehen, und schritt dann, übrigens bedeckt mit jedes Bodens Unterschied, nach dem obersten Sitz; erst, nachdem ich mich dort etablirt, begrüßte ich, die Hand an die Brust legend, meinen Wirth mit dem feierlichen "Merhabah!" und der Bey, um mir eine Probe von seiner europäischen Lebensart zu geben, antwortete Adio! Nach den ersten Zügen aus der Pfeife, die ich mir reichen ließ, wechselten wir einige Redensarten; der Müs- selim fragte mich, ob ich ihn wohl schon kenne. "Jch habe dich nicht gesehen, aber wohl von dir gehört," sagte ich. -- "Was hast du gehört?" -- "Daß du ein guter Artillerist bist und Kara-Djehennah heißest." Nicht für jeden Mann
von Kara-Djehennah gehoͤrt?“ Dieſe Unterredung war eben gepflogen worden zwiſchen dem vorausgeeilten Tata- ren und der Dienerſchaft, als ich in den Hof des Serajs ritt. Der Muͤſſelim ſei beim Namaß (dem Gebet), hieß es, ich koͤnne ihn nicht ſprechen. Jch ſchlenderte demnach in eine nahe belegene ſchoͤne Moſchee mit dem ſchlankeſten Mi- nareh, das ich irgendwo gefunden; als ich zuruͤck kam, hieß es, der Muͤſſelim-Effendi ſei noch nicht aufgeſtanden. Nun kenne ich aber meine Tuͤrken gut genug, um zu wiſ- ſen, daß hier durch Warten oder Nachgeben nichts zu ge- winnen war; ich erklaͤrte daher dem verſammelten Schwarm von Kavaſſen und Aga's zuverſichtlich und laut, daß ich unverzuͤglich zum Muͤſſelim gefuͤhrt zu werden beabſichtige, daß ich nicht gewohnt ſei, mich im Hofe empfangen zu laſ- ſen, und ſchritt ohne Weiteres die Stiege hinauf und in ein Zimmer, in welches faſt gleich darauf der Bey eintrat, ein Mann mit der impoſanteſten Perſoͤnlichkeit, die mir vor- gekommen. Der Hoͤllenfuͤrſt und ich begegneten uns wie zwei Maͤnner, die gleich ſehr bemuͤht ſind, ſich nichts von ihrer Wuͤrde zu vergeben; das ſchoͤne Geſicht des Bey's mit eiſengrauem Barte ſchien anzukuͤndigen, daß Krieg und Frieden noch nicht bei ihm entſchieden, ich meines Theils nahm nicht die geringſte Kenntniß von ſeiner An- weſenheit, ließ mir, wie die Sitte erfordert, die ſchweren Reitſtiefeln durch meine Leute ausziehen, und ſchritt dann, uͤbrigens bedeckt mit jedes Bodens Unterſchied, nach dem oberſten Sitz; erſt, nachdem ich mich dort etablirt, begruͤßte ich, die Hand an die Bruſt legend, meinen Wirth mit dem feierlichen „Merhabah!“ und der Bey, um mir eine Probe von ſeiner europaͤiſchen Lebensart zu geben, antwortete Adio! Nach den erſten Zuͤgen aus der Pfeife, die ich mir reichen ließ, wechſelten wir einige Redensarten; der Muͤſ- ſelim fragte mich, ob ich ihn wohl ſchon kenne. „Jch habe dich nicht geſehen, aber wohl von dir gehoͤrt,“ ſagte ich. — „Was haſt du gehoͤrt?“ — „Daß du ein guter Artilleriſt biſt und Kara-Djehennah heißeſt.“ Nicht fuͤr jeden Mann
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von Kara-Djehennah gehoͤrt?“ Dieſe Unterredung war
eben gepflogen worden zwiſchen dem vorausgeeilten Tata-
ren und der Dienerſchaft, als ich in den Hof des Serajs
ritt. Der Muͤſſelim ſei beim Namaß (dem Gebet), hieß es,
ich koͤnne ihn nicht ſprechen. Jch ſchlenderte demnach in
eine nahe belegene ſchoͤne Moſchee mit dem ſchlankeſten Mi-
nareh, das ich irgendwo gefunden; als ich zuruͤck kam,
hieß es, der Muͤſſelim-Effendi ſei noch nicht aufgeſtanden.
Nun kenne ich aber meine Tuͤrken gut genug, um zu wiſ-
ſen, daß hier durch Warten oder Nachgeben nichts zu ge-
winnen war; ich erklaͤrte daher dem verſammelten Schwarm
von Kavaſſen und Aga's zuverſichtlich und laut, daß ich
unverzuͤglich zum Muͤſſelim gefuͤhrt zu werden beabſichtige,
daß ich nicht gewohnt ſei, mich im Hofe empfangen zu laſ-
ſen, und ſchritt ohne Weiteres die Stiege hinauf und in
ein Zimmer, in welches faſt gleich darauf der Bey eintrat,
ein Mann mit der impoſanteſten Perſoͤnlichkeit, die mir vor-
gekommen. Der Hoͤllenfuͤrſt und ich begegneten uns wie
zwei Maͤnner, die gleich ſehr bemuͤht ſind, ſich nichts von
ihrer Wuͤrde zu vergeben; das ſchoͤne Geſicht des Bey's
mit eiſengrauem Barte ſchien anzukuͤndigen, daß Krieg
und Frieden noch nicht bei ihm entſchieden, ich meines
Theils nahm nicht die geringſte Kenntniß von ſeiner An-
weſenheit, ließ mir, wie die Sitte erfordert, die ſchweren
Reitſtiefeln durch meine Leute ausziehen, und ſchritt dann,
uͤbrigens bedeckt mit jedes Bodens Unterſchied, nach dem
oberſten Sitz; erſt, nachdem ich mich dort etablirt, begruͤßte
ich, die Hand an die Bruſt legend, meinen Wirth mit dem
feierlichen „Merhabah!“ und der Bey, um mir eine Probe
von ſeiner europaͤiſchen Lebensart zu geben, antwortete
Adio! Nach den erſten Zuͤgen aus der Pfeife, die ich mir
reichen ließ, wechſelten wir einige Redensarten; der Muͤſ-
ſelim fragte mich, ob ich ihn wohl ſchon kenne. „Jch habe
dich nicht geſehen, aber wohl von dir gehoͤrt,“ ſagte ich. —
„Was haſt du gehoͤrt?“ — „Daß du ein guter Artilleriſt
biſt und Kara-Djehennah heißeſt.“ Nicht fuͤr jeden Mann
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/327>, abgerufen am 21.11.2024.
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