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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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men) ausgerissen. Vielleicht ist das einzige Mittel eine
glückliche Campagne.

Sehe ich zum Fenster hinaus (oder vielmehr zur Thür,
denn die Fenster haben das Gute, daß man nicht hinaus
sehen kann), so hab' ich im Vordergrunde den Begräbniß-
platz, auf welchem vom Morgen bis zum Abend Leute ar-
beiten, um die vielen Gräber in die harte Erde zu hacken,
die unsere Hospitäler verlangen. Wenn ich unsere Batail-
lone bei lustiger Musik in Parade vorüberziehen sehe, fallen
mir zuweilen die seltsamsten Meditationen ein: im Hinter-
grunde erhebt sich eine der abscheulichsten Städte, die man
sich wünschen kann, eine Stadt ohne Straßenjungen, ohne
Laternen und ohne Droschken (der elendeste Sparwald wäre
hier wie der Krönungswagen der Königin Victoria), eine
Stadt ohne Frauen, ohne Bälle, ohne Theater, ohne Ca-
fe's, ohne Lesezirkel, nichts wie Himmel und Soldaten.
Darüber freilich steigen stolze Berge von prachtvollen For-
men und mit glänzendem Schnee empor, und ich sage mir
zuweilen, um mich aufzuheitern: das ist Armenien, und hier
rollt der Euphrat, dessen Quellen ich in der Geographie-
Stunde niemals anzugeben wußte, weil sie mir weiter als
der Welt Ende schienen.

Doch darfst Du, trotz dieser Schattengemälde, nicht
glauben, daß ich mich in einer sehr melancholischen Stim-
mung befinde; innerhalb meines Hauses ist, Gott Lob! Alles
wohlauf, meine Leute sind guter Dinge und mir zugethan;
die muthigen Rosse tragen mich täglich im Fluge über die
weite Ebene; das ist mein Familienleben, und die Pascha's
sind nicht allein sehr höflich, sondern wirklich so freundlich
gegen mich gesinnt, wie sie es gegen einen Gjaur nur im-
mer sein können. Ein Hauptgenuß für mich ist es, hier
an den Ufern des Euphrat regelmäßig meine Augsburger
Allgem. Zeitung zu lesen; ich erhalte sie alle vierzehn Tage
mit dem Tataren aus Stambul, und sie ist dann gewöhn-
lich 21 bis 28 Tage alt; das versetzt mich plötzlich über
Berge und Meere weg, nach Europa unter gesittete Völker,

men) ausgeriſſen. Vielleicht iſt das einzige Mittel eine
gluͤckliche Campagne.

Sehe ich zum Fenſter hinaus (oder vielmehr zur Thuͤr,
denn die Fenſter haben das Gute, daß man nicht hinaus
ſehen kann), ſo hab' ich im Vordergrunde den Begraͤbniß-
platz, auf welchem vom Morgen bis zum Abend Leute ar-
beiten, um die vielen Graͤber in die harte Erde zu hacken,
die unſere Hoſpitaͤler verlangen. Wenn ich unſere Batail-
lone bei luſtiger Muſik in Parade voruͤberziehen ſehe, fallen
mir zuweilen die ſeltſamſten Meditationen ein: im Hinter-
grunde erhebt ſich eine der abſcheulichſten Staͤdte, die man
ſich wuͤnſchen kann, eine Stadt ohne Straßenjungen, ohne
Laternen und ohne Droſchken (der elendeſte Sparwald waͤre
hier wie der Kroͤnungswagen der Koͤnigin Victoria), eine
Stadt ohne Frauen, ohne Baͤlle, ohne Theater, ohne Ca-
fé's, ohne Leſezirkel, nichts wie Himmel und Soldaten.
Daruͤber freilich ſteigen ſtolze Berge von prachtvollen For-
men und mit glaͤnzendem Schnee empor, und ich ſage mir
zuweilen, um mich aufzuheitern: das iſt Armenien, und hier
rollt der Euphrat, deſſen Quellen ich in der Geographie-
Stunde niemals anzugeben wußte, weil ſie mir weiter als
der Welt Ende ſchienen.

Doch darfſt Du, trotz dieſer Schattengemaͤlde, nicht
glauben, daß ich mich in einer ſehr melancholiſchen Stim-
mung befinde; innerhalb meines Hauſes iſt, Gott Lob! Alles
wohlauf, meine Leute ſind guter Dinge und mir zugethan;
die muthigen Roſſe tragen mich taͤglich im Fluge uͤber die
weite Ebene; das iſt mein Familienleben, und die Paſcha's
ſind nicht allein ſehr hoͤflich, ſondern wirklich ſo freundlich
gegen mich geſinnt, wie ſie es gegen einen Gjaur nur im-
mer ſein koͤnnen. Ein Hauptgenuß fuͤr mich iſt es, hier
an den Ufern des Euphrat regelmaͤßig meine Augsburger
Allgem. Zeitung zu leſen; ich erhalte ſie alle vierzehn Tage
mit dem Tataren aus Stambul, und ſie iſt dann gewoͤhn-
lich 21 bis 28 Tage alt; das verſetzt mich ploͤtzlich uͤber
Berge und Meere weg, nach Europa unter geſittete Voͤlker,

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[338/0348] men) ausgeriſſen. Vielleicht iſt das einzige Mittel eine gluͤckliche Campagne. Sehe ich zum Fenſter hinaus (oder vielmehr zur Thuͤr, denn die Fenſter haben das Gute, daß man nicht hinaus ſehen kann), ſo hab' ich im Vordergrunde den Begraͤbniß- platz, auf welchem vom Morgen bis zum Abend Leute ar- beiten, um die vielen Graͤber in die harte Erde zu hacken, die unſere Hoſpitaͤler verlangen. Wenn ich unſere Batail- lone bei luſtiger Muſik in Parade voruͤberziehen ſehe, fallen mir zuweilen die ſeltſamſten Meditationen ein: im Hinter- grunde erhebt ſich eine der abſcheulichſten Staͤdte, die man ſich wuͤnſchen kann, eine Stadt ohne Straßenjungen, ohne Laternen und ohne Droſchken (der elendeſte Sparwald waͤre hier wie der Kroͤnungswagen der Koͤnigin Victoria), eine Stadt ohne Frauen, ohne Baͤlle, ohne Theater, ohne Ca- fé's, ohne Leſezirkel, nichts wie Himmel und Soldaten. Daruͤber freilich ſteigen ſtolze Berge von prachtvollen For- men und mit glaͤnzendem Schnee empor, und ich ſage mir zuweilen, um mich aufzuheitern: das iſt Armenien, und hier rollt der Euphrat, deſſen Quellen ich in der Geographie- Stunde niemals anzugeben wußte, weil ſie mir weiter als der Welt Ende ſchienen. Doch darfſt Du, trotz dieſer Schattengemaͤlde, nicht glauben, daß ich mich in einer ſehr melancholiſchen Stim- mung befinde; innerhalb meines Hauſes iſt, Gott Lob! Alles wohlauf, meine Leute ſind guter Dinge und mir zugethan; die muthigen Roſſe tragen mich taͤglich im Fluge uͤber die weite Ebene; das iſt mein Familienleben, und die Paſcha's ſind nicht allein ſehr hoͤflich, ſondern wirklich ſo freundlich gegen mich geſinnt, wie ſie es gegen einen Gjaur nur im- mer ſein koͤnnen. Ein Hauptgenuß fuͤr mich iſt es, hier an den Ufern des Euphrat regelmaͤßig meine Augsburger Allgem. Zeitung zu leſen; ich erhalte ſie alle vierzehn Tage mit dem Tataren aus Stambul, und ſie iſt dann gewoͤhn- lich 21 bis 28 Tage alt; das verſetzt mich ploͤtzlich uͤber Berge und Meere weg, nach Europa unter geſittete Voͤlker,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/348>, abgerufen am 21.11.2024.