präsentiren vor dem Gjaur oder dem Schimmel des Se- raskiers. Der Kawaß hat die Verbindlichkeit, mich vor der Thür des Gesandtschafts-Hotels abzuliefern, damit ich dem Seraskier nicht abhanden komme.
Was die Lebensweise hier anbetrifft, so ist sie außer- ordentlich einförmig. Nach dem Frühstück mache ich bei gutem, wie bei schlechtem Wetter eine Promenade, gewöhn- lich durch die Hauptstraße von Pera nach dem großen Be- gräbnißplatz. Die hohen hundertjährigen Cypressen beugen unter der Last des Schnees ihre grünen Zweige zur Erde, und die zahllosen aufrecht stehenden Leichensteine sind mit einer Eisrinde wunderbar inkrustirt. Da, wo der Weg aus dem Cypressenwalde tritt, öffnet sich eine herrliche Aus- sicht auf den Bosphorus. Unten liegt Beschik-tasch, ein Schloß des Großherrn, denn das alte Seraj hat er für immer verlassen, weil daran zu fürchterlich blutige Erinne- rungen kleben; auch ist ihm prophezeiht, daß er dort sein Leben enden werde. Jenseits erheben sich die schneebedeck- ten Berge Asiens, Scutari, die Vorstadt mit 100,000 Ein- wohnern, und mitten im Wasser der Leanderthurm.
Begleite mich nun auf meiner Wanderung, die steile Höhe, welche der Begräbnißplatz krönt, hinab an das Ufer des Bosphorus. Wir bleiben ein Weilchen stehen und se- hen den Wellen zu, die sich mit Macht an den steinernen Quais brechen und schäumend weit über die vergoldeten Gitter bis an den Kiosk des Großherrn spritzen. Grie- chen sammeln die Austern, welche die bewegte See ans Ufer wirft, und ganze Heerden von Hunden verzehren die Reste eines gefallenen Pferdes. Wir wenden uns nun rechts an einem prachtvollen Marmorbrunnen vorüber, und treten in eine lange Reihe von Kaufläden, deren Dächer oben fast zusammenstoßen. Dort sind es vor Allem die Eßwaaren und Früchte, die meine Aufmerksamkeit erregen; wüßte ich nur ein Schiff, so würde ich Euch einen schönen Korb füllen. Da giebt es Datteln, Feigen, Pistazien, Ko- kosnüsse, Manna, Orangen, Rosinen, Nüsse, Granatäpfel,
praͤſentiren vor dem Gjaur oder dem Schimmel des Se- raskiers. Der Kawaß hat die Verbindlichkeit, mich vor der Thuͤr des Geſandtſchafts-Hotels abzuliefern, damit ich dem Seraskier nicht abhanden komme.
Was die Lebensweiſe hier anbetrifft, ſo iſt ſie außer- ordentlich einfoͤrmig. Nach dem Fruͤhſtuͤck mache ich bei gutem, wie bei ſchlechtem Wetter eine Promenade, gewoͤhn- lich durch die Hauptſtraße von Pera nach dem großen Be- graͤbnißplatz. Die hohen hundertjaͤhrigen Cypreſſen beugen unter der Laſt des Schnees ihre gruͤnen Zweige zur Erde, und die zahlloſen aufrecht ſtehenden Leichenſteine ſind mit einer Eisrinde wunderbar inkruſtirt. Da, wo der Weg aus dem Cypreſſenwalde tritt, oͤffnet ſich eine herrliche Aus- ſicht auf den Bosphorus. Unten liegt Beſchik-taſch, ein Schloß des Großherrn, denn das alte Seraj hat er fuͤr immer verlaſſen, weil daran zu fuͤrchterlich blutige Erinne- rungen kleben; auch iſt ihm prophezeiht, daß er dort ſein Leben enden werde. Jenſeits erheben ſich die ſchneebedeck- ten Berge Aſiens, Scutari, die Vorſtadt mit 100,000 Ein- wohnern, und mitten im Waſſer der Leanderthurm.
Begleite mich nun auf meiner Wanderung, die ſteile Hoͤhe, welche der Begraͤbnißplatz kroͤnt, hinab an das Ufer des Bosphorus. Wir bleiben ein Weilchen ſtehen und ſe- hen den Wellen zu, die ſich mit Macht an den ſteinernen Quais brechen und ſchaͤumend weit uͤber die vergoldeten Gitter bis an den Kiosk des Großherrn ſpritzen. Grie- chen ſammeln die Auſtern, welche die bewegte See ans Ufer wirft, und ganze Heerden von Hunden verzehren die Reſte eines gefallenen Pferdes. Wir wenden uns nun rechts an einem prachtvollen Marmorbrunnen voruͤber, und treten in eine lange Reihe von Kauflaͤden, deren Daͤcher oben faſt zuſammenſtoßen. Dort ſind es vor Allem die Eßwaaren und Fruͤchte, die meine Aufmerkſamkeit erregen; wuͤßte ich nur ein Schiff, ſo wuͤrde ich Euch einen ſchoͤnen Korb fuͤllen. Da giebt es Datteln, Feigen, Piſtazien, Ko- kosnuͤſſe, Manna, Orangen, Roſinen, Nuͤſſe, Granataͤpfel,
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praͤſentiren vor dem Gjaur oder dem Schimmel des Se-
raskiers. Der Kawaß hat die Verbindlichkeit, mich vor
der Thuͤr des Geſandtſchafts-Hotels abzuliefern, damit ich
dem Seraskier nicht abhanden komme.
Was die Lebensweiſe hier anbetrifft, ſo iſt ſie außer-
ordentlich einfoͤrmig. Nach dem Fruͤhſtuͤck mache ich bei
gutem, wie bei ſchlechtem Wetter eine Promenade, gewoͤhn-
lich durch die Hauptſtraße von Pera nach dem großen Be-
graͤbnißplatz. Die hohen hundertjaͤhrigen Cypreſſen beugen
unter der Laſt des Schnees ihre gruͤnen Zweige zur Erde,
und die zahlloſen aufrecht ſtehenden Leichenſteine ſind mit
einer Eisrinde wunderbar inkruſtirt. Da, wo der Weg aus
dem Cypreſſenwalde tritt, oͤffnet ſich eine herrliche Aus-
ſicht auf den Bosphorus. Unten liegt Beſchik-taſch, ein
Schloß des Großherrn, denn das alte Seraj hat er fuͤr
immer verlaſſen, weil daran zu fuͤrchterlich blutige Erinne-
rungen kleben; auch iſt ihm prophezeiht, daß er dort ſein
Leben enden werde. Jenſeits erheben ſich die ſchneebedeck-
ten Berge Aſiens, Scutari, die Vorſtadt mit 100,000 Ein-
wohnern, und mitten im Waſſer der Leanderthurm.
Begleite mich nun auf meiner Wanderung, die ſteile
Hoͤhe, welche der Begraͤbnißplatz kroͤnt, hinab an das Ufer
des Bosphorus. Wir bleiben ein Weilchen ſtehen und ſe-
hen den Wellen zu, die ſich mit Macht an den ſteinernen
Quais brechen und ſchaͤumend weit uͤber die vergoldeten
Gitter bis an den Kiosk des Großherrn ſpritzen. Grie-
chen ſammeln die Auſtern, welche die bewegte See ans
Ufer wirft, und ganze Heerden von Hunden verzehren die
Reſte eines gefallenen Pferdes. Wir wenden uns nun
rechts an einem prachtvollen Marmorbrunnen voruͤber, und
treten in eine lange Reihe von Kauflaͤden, deren Daͤcher
oben faſt zuſammenſtoßen. Dort ſind es vor Allem die
Eßwaaren und Fruͤchte, die meine Aufmerkſamkeit erregen;
wuͤßte ich nur ein Schiff, ſo wuͤrde ich Euch einen ſchoͤnen
Korb fuͤllen. Da giebt es Datteln, Feigen, Piſtazien, Ko-
kosnuͤſſe, Manna, Orangen, Roſinen, Nuͤſſe, Granataͤpfel,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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