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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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schmalen Steg, auf welchem der Schnee festgetreten. Zu
beiden Seiten aber waren ellentiefe Löcher, welche die Ka-
meele mit ihren langen Beinen eingetreten; wenn daher der
nur einen Fuß breite Pfad verfehlt wurde, und eins un-
serer Pferde oder Maulthiere von diesem herunter glitt, so
kostete es immer viel Mühe und Zeit, das Thier aus dem
Schnee wieder herauszuziehen.

Am folgenden Tage überschritten wir die höchste Höhe
des Gebirges am Fuße des Sakaltutan-Dagh, und senk-
ten uns in das tiefe Felsthal des Goksuj oder Himmel-
Wassers hinab. Wenige Stunden versetzten mich aus dem
Winter in den Frühling; bei Malatia war noch Alles weiß,
hoher Schnee bedeckte die Ebene wie die Berge, am Süd-
abhange des Gebirges hatten starke Südwinde und Regen
allen Schnee, selbst in großer Höhe, schon geschmolzen; die
Saaten grünten unten in der Flur, Lerchen schwirrten in
der Luft und die Bäume trieben große Knospen; die Sonne
schien heiß, aber der Boden war unbeschreiblich aufgelöst,
und die Bäche so angeschwollen, daß wenig fehlte, daß
meine Packpferde nicht fortgeschwemmt wurden. Nach einem
mühsamen Marsch erreichte ich, über Adiaman und Sam-
sat, Orfa, am Abend des fünften Tages.

Diese Stadt liegt am Abhange eines niedrigen, finster
und seltsam aussehenden Gebirges und am Anfang der
Tschöll oder Wüste, auf der Grenze der kurdischen und der
arabischen Bevölkerung. Jnnerhalb der Ringmauer erhe-
ben sich eine Menge Kuppeln, Minarehs, Cypressen und
Platanen, und die aus Steinen sehr zierlich erbauten Häu-
ser mit dünnen Säulen, Spitzbögen und Fontainen erin-
nern an das, was die Araber einst waren, als sie, durch
Mahomeds Lehre begeistert, die Eroberer eines Theils der
gesitteten Welt, und selbst die Bewahrer der Gesittung, der
Wissenschaft und Künste wurden. Vor den Thoren der
Ringmauer erblickst Du, was sie heute sind: eine Menge
von Trümmer bedecken da eine beträchtliche Fläche, dort-
hin kommen die Kinder der Wüste, Niemand weiß, woher,

ſchmalen Steg, auf welchem der Schnee feſtgetreten. Zu
beiden Seiten aber waren ellentiefe Loͤcher, welche die Ka-
meele mit ihren langen Beinen eingetreten; wenn daher der
nur einen Fuß breite Pfad verfehlt wurde, und eins un-
ſerer Pferde oder Maulthiere von dieſem herunter glitt, ſo
koſtete es immer viel Muͤhe und Zeit, das Thier aus dem
Schnee wieder herauszuziehen.

Am folgenden Tage uͤberſchritten wir die hoͤchſte Hoͤhe
des Gebirges am Fuße des Sakaltutan-Dagh, und ſenk-
ten uns in das tiefe Felsthal des Gokſuj oder Himmel-
Waſſers hinab. Wenige Stunden verſetzten mich aus dem
Winter in den Fruͤhling; bei Malatia war noch Alles weiß,
hoher Schnee bedeckte die Ebene wie die Berge, am Suͤd-
abhange des Gebirges hatten ſtarke Suͤdwinde und Regen
allen Schnee, ſelbſt in großer Hoͤhe, ſchon geſchmolzen; die
Saaten gruͤnten unten in der Flur, Lerchen ſchwirrten in
der Luft und die Baͤume trieben große Knospen; die Sonne
ſchien heiß, aber der Boden war unbeſchreiblich aufgeloͤſt,
und die Baͤche ſo angeſchwollen, daß wenig fehlte, daß
meine Packpferde nicht fortgeſchwemmt wurden. Nach einem
muͤhſamen Marſch erreichte ich, uͤber Adiaman und Sam-
ſat, Orfa, am Abend des fuͤnften Tages.

Dieſe Stadt liegt am Abhange eines niedrigen, finſter
und ſeltſam ausſehenden Gebirges und am Anfang der
Tſchoͤll oder Wuͤſte, auf der Grenze der kurdiſchen und der
arabiſchen Bevoͤlkerung. Jnnerhalb der Ringmauer erhe-
ben ſich eine Menge Kuppeln, Minarehs, Cypreſſen und
Platanen, und die aus Steinen ſehr zierlich erbauten Haͤu-
ſer mit duͤnnen Saͤulen, Spitzboͤgen und Fontainen erin-
nern an das, was die Araber einſt waren, als ſie, durch
Mahomeds Lehre begeiſtert, die Eroberer eines Theils der
geſitteten Welt, und ſelbſt die Bewahrer der Geſittung, der
Wiſſenſchaft und Kuͤnſte wurden. Vor den Thoren der
Ringmauer erblickſt Du, was ſie heute ſind: eine Menge
von Truͤmmer bedecken da eine betraͤchtliche Flaͤche, dort-
hin kommen die Kinder der Wuͤſte, Niemand weiß, woher,

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[340/0350] ſchmalen Steg, auf welchem der Schnee feſtgetreten. Zu beiden Seiten aber waren ellentiefe Loͤcher, welche die Ka- meele mit ihren langen Beinen eingetreten; wenn daher der nur einen Fuß breite Pfad verfehlt wurde, und eins un- ſerer Pferde oder Maulthiere von dieſem herunter glitt, ſo koſtete es immer viel Muͤhe und Zeit, das Thier aus dem Schnee wieder herauszuziehen. Am folgenden Tage uͤberſchritten wir die hoͤchſte Hoͤhe des Gebirges am Fuße des Sakaltutan-Dagh, und ſenk- ten uns in das tiefe Felsthal des Gokſuj oder Himmel- Waſſers hinab. Wenige Stunden verſetzten mich aus dem Winter in den Fruͤhling; bei Malatia war noch Alles weiß, hoher Schnee bedeckte die Ebene wie die Berge, am Suͤd- abhange des Gebirges hatten ſtarke Suͤdwinde und Regen allen Schnee, ſelbſt in großer Hoͤhe, ſchon geſchmolzen; die Saaten gruͤnten unten in der Flur, Lerchen ſchwirrten in der Luft und die Baͤume trieben große Knospen; die Sonne ſchien heiß, aber der Boden war unbeſchreiblich aufgeloͤſt, und die Baͤche ſo angeſchwollen, daß wenig fehlte, daß meine Packpferde nicht fortgeſchwemmt wurden. Nach einem muͤhſamen Marſch erreichte ich, uͤber Adiaman und Sam- ſat, Orfa, am Abend des fuͤnften Tages. Dieſe Stadt liegt am Abhange eines niedrigen, finſter und ſeltſam ausſehenden Gebirges und am Anfang der Tſchoͤll oder Wuͤſte, auf der Grenze der kurdiſchen und der arabiſchen Bevoͤlkerung. Jnnerhalb der Ringmauer erhe- ben ſich eine Menge Kuppeln, Minarehs, Cypreſſen und Platanen, und die aus Steinen ſehr zierlich erbauten Haͤu- ſer mit duͤnnen Saͤulen, Spitzboͤgen und Fontainen erin- nern an das, was die Araber einſt waren, als ſie, durch Mahomeds Lehre begeiſtert, die Eroberer eines Theils der geſitteten Welt, und ſelbſt die Bewahrer der Geſittung, der Wiſſenſchaft und Kuͤnſte wurden. Vor den Thoren der Ringmauer erblickſt Du, was ſie heute ſind: eine Menge von Truͤmmer bedecken da eine betraͤchtliche Flaͤche, dort- hin kommen die Kinder der Wuͤſte, Niemand weiß, woher,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/350>, abgerufen am 21.11.2024.