";ich ihn in diesem Augenblick nicht verlassen werde, nach ";Biradschik gehe er nicht, eher lasse er sich in Stücke rei- ";ßen, und ich möge die Stellung nehmen, wie ich könne." Jch sah, daß es unmöglich war, ihn nach Biradschik zu bringen, und hielt es nun für meine Pflicht, aus den miß- lichen Umständen, in die wir uns ohne Noth begeben, das Beste zu machen, was daraus zu machen war. Demnach forderte ich, daß sogleich sämmtliche Truppen auf die Hö- he, wo wir uns befanden, hinauf geschickt würden; die Brigaden trafen auch bald eine nach der anderen ein und wurden bei Vollmondschein in ihrer neuen Position aufgestellt. Den rechten Flügel bildeten die Schanzen, welche früher unsern linken geschützt, den linken eine schwere Batterie, vor der Front lag ein Ravin. Die Reserve stand in einer Ver- tiefung, aber Alles sehr gedrängt; L. stellte die Batterien auf und um 3 Uhr Morgens waren wir fertig. Jedes stand an seinem Platze, und die Leute blieben die dritte Nacht unterm Gewehr.
Jch hatte meine Dienerschaft verloren und schlief eine Stunde auf der Erde; vor Sonnenaufgang aber ließ der Pascha mich rufen, ritt die ganze Aufstellung entlang und war höchst zufrieden und glücklich, nicht nach Biradschik zurückgegangen zu sein. An diesem Morgen (den 23. Ju- ni) defilirte Jbrahim-Pascha über die Kersun-Brücke; die gänzliche Unthätigkeit unsers Corps, namentlich unserer Cavallerie, gab ihm die Dreistigkeit, sich eine Stunde vor unserer Front in dichten Bivouakshaufen, das Defilee im Rücken, aufzustellen, und den ganzen Tag in diesem Lager ruhig stehen zu bleiben. Jch schlug dem Pascha vor, diese Kühnheit durch einen nächtlichen Angriff zu strafen.
Mit dem Hauptmann L. war ich gegen Abend ganz dicht an das ägyptische Bivouak heran geritten; wir fan- den vor uns keine Vorposten, nur auf den Höhen links schwärmten einzelne Hannady-Araber, und vierzig Geschütze standen dicht vor der Front aufgefahren. Unsere türkischen Begleiter waren rückwärts auf einem Berge halten geblie-
„;ich ihn in dieſem Augenblick nicht verlaſſen werde, nach „;Biradſchik gehe er nicht, eher laſſe er ſich in Stuͤcke rei- „;ßen, und ich moͤge die Stellung nehmen, wie ich koͤnne.“ Jch ſah, daß es unmoͤglich war, ihn nach Biradſchik zu bringen, und hielt es nun fuͤr meine Pflicht, aus den miß- lichen Umſtaͤnden, in die wir uns ohne Noth begeben, das Beſte zu machen, was daraus zu machen war. Demnach forderte ich, daß ſogleich ſaͤmmtliche Truppen auf die Hoͤ- he, wo wir uns befanden, hinauf geſchickt wuͤrden; die Brigaden trafen auch bald eine nach der anderen ein und wurden bei Vollmondſchein in ihrer neuen Poſition aufgeſtellt. Den rechten Fluͤgel bildeten die Schanzen, welche fruͤher unſern linken geſchuͤtzt, den linken eine ſchwere Batterie, vor der Front lag ein Ravin. Die Reſerve ſtand in einer Ver- tiefung, aber Alles ſehr gedraͤngt; L. ſtellte die Batterien auf und um 3 Uhr Morgens waren wir fertig. Jedes ſtand an ſeinem Platze, und die Leute blieben die dritte Nacht unterm Gewehr.
Jch hatte meine Dienerſchaft verloren und ſchlief eine Stunde auf der Erde; vor Sonnenaufgang aber ließ der Paſcha mich rufen, ritt die ganze Aufſtellung entlang und war hoͤchſt zufrieden und gluͤcklich, nicht nach Biradſchik zuruͤckgegangen zu ſein. An dieſem Morgen (den 23. Ju- ni) defilirte Jbrahim-Paſcha uͤber die Kerſun-Bruͤcke; die gaͤnzliche Unthaͤtigkeit unſers Corps, namentlich unſerer Cavallerie, gab ihm die Dreiſtigkeit, ſich eine Stunde vor unſerer Front in dichten Bivouakshaufen, das Defilee im Ruͤcken, aufzuſtellen, und den ganzen Tag in dieſem Lager ruhig ſtehen zu bleiben. Jch ſchlug dem Paſcha vor, dieſe Kuͤhnheit durch einen naͤchtlichen Angriff zu ſtrafen.
Mit dem Hauptmann L. war ich gegen Abend ganz dicht an das aͤgyptiſche Bivouak heran geritten; wir fan- den vor uns keine Vorpoſten, nur auf den Hoͤhen links ſchwaͤrmten einzelne Hannady-Araber, und vierzig Geſchuͤtze ſtanden dicht vor der Front aufgefahren. Unſere tuͤrkiſchen Begleiter waren ruͤckwaͤrts auf einem Berge halten geblie-
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„;ich ihn in dieſem Augenblick nicht verlaſſen werde, nach
„;Biradſchik gehe er nicht, eher laſſe er ſich in Stuͤcke rei-
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Jch ſah, daß es unmoͤglich war, ihn nach Biradſchik zu
bringen, und hielt es nun fuͤr meine Pflicht, aus den miß-
lichen Umſtaͤnden, in die wir uns ohne Noth begeben, das
Beſte zu machen, was daraus zu machen war. Demnach
forderte ich, daß ſogleich ſaͤmmtliche Truppen auf die Hoͤ-
he, wo wir uns befanden, hinauf geſchickt wuͤrden; die
Brigaden trafen auch bald eine nach der anderen ein und
wurden bei Vollmondſchein in ihrer neuen Poſition aufgeſtellt.
Den rechten Fluͤgel bildeten die Schanzen, welche fruͤher
unſern linken geſchuͤtzt, den linken eine ſchwere Batterie, vor
der Front lag ein Ravin. Die Reſerve ſtand in einer Ver-
tiefung, aber Alles ſehr gedraͤngt; L. ſtellte die Batterien
auf und um 3 Uhr Morgens waren wir fertig. Jedes
ſtand an ſeinem Platze, und die Leute blieben die dritte
Nacht unterm Gewehr.
Jch hatte meine Dienerſchaft verloren und ſchlief eine
Stunde auf der Erde; vor Sonnenaufgang aber ließ der
Paſcha mich rufen, ritt die ganze Aufſtellung entlang und
war hoͤchſt zufrieden und gluͤcklich, nicht nach Biradſchik
zuruͤckgegangen zu ſein. An dieſem Morgen (den 23. Ju-
ni) defilirte Jbrahim-Paſcha uͤber die Kerſun-Bruͤcke;
die gaͤnzliche Unthaͤtigkeit unſers Corps, namentlich unſerer
Cavallerie, gab ihm die Dreiſtigkeit, ſich eine Stunde vor
unſerer Front in dichten Bivouakshaufen, das Defilee im
Ruͤcken, aufzuſtellen, und den ganzen Tag in dieſem Lager
ruhig ſtehen zu bleiben. Jch ſchlug dem Paſcha vor, dieſe
Kuͤhnheit durch einen naͤchtlichen Angriff zu ſtrafen.
Mit dem Hauptmann L. war ich gegen Abend ganz
dicht an das aͤgyptiſche Bivouak heran geritten; wir fan-
den vor uns keine Vorpoſten, nur auf den Hoͤhen links
ſchwaͤrmten einzelne Hannady-Araber, und vierzig Geſchuͤtze
ſtanden dicht vor der Front aufgefahren. Unſere tuͤrkiſchen
Begleiter waren ruͤckwaͤrts auf einem Berge halten geblie-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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