scha nach mir schickte: die Nachricht von dem Eintreffen des Feindes an der Brücke war nun auch von dorther ein- gegangen, und die Bestürzung jetzt eben so groß, als kurz zuvor die Sicherheit gewesen war. Man erwartete den An- griff noch diesen Abend, woran gar nicht zu denken war. Jn Gegenwart sehr vieler Offiziere und der Engländer wie- derholten meine Cameraden und ich, daß bis jetzt noch nicht das mindeste verloren, daß aber der Marsch auf Birad- schik ohne Zeitverlust nun unerläßlich nothwendig geworden sei. Der Pascha war in großer Aufregung, wollte sich aber zu dieser Maaßregel nicht verstehen, hauptsächlich wohl, weil er seinen schlechten Truppen so wenig traute, daß er fürch- tete, jeder Rückzug werde sie demoralisiren. Alle Pascha's wünschten inständigst jenen Marsch, und doch wagte keiner zu sprechen; ich rief Mustapha-Pascha, den General- Lieutenant der Garde, und Han-Effendi zu, meiner Mei- nung, die sie auf dem Spitzberge ja getheilt, laut beizu- stimmen; ich forderte Hafiß-Pascha auf, nicht Leuten Gehör zu geben, wie die Mollahs, die nichts von militai- rischen Angelegenheiten verständen, erinnerte ihn, daß mor- gen, wenn die Sonne wieder hinter jenen Bergen unter- gehe, er wahrscheinlich ohne Heer sei. Alles vergebens!
Schon fing es an zu dämmern, und noch war kein Entschluß gefaßt. Der Pascha verfügte sich mit großem Gefolge nach unserm linken Flügel, um dort selbst eine Stelle aufzusuchen; auf Befragen erklärte ich dem Commandiren- den, daß das Terrain zwar nicht entschieden ungünstig, aber für Truppen wie die seinigen keine genügende Garan- tie biete; forderte ihn nochmals auf, Befehl zum Abmarsch zu geben, und verlangte, da er es bestimmt verweigerte, meine Entlassung. Es verstehe sich von selbst, daß ich das Gefecht, wie jeder andere Soldat, mitmachen werde, daß aber meine Stellung als "Müsteschar" oder Rathgeber von Stund' an aufgehört habe. Jm ersten Verdruß hatte Ha- fiß-Pascha meinen Abschied bewilligt, aber schon nach wenigen Minuten rief er mich wieder: "er erwarte, daß
ſcha nach mir ſchickte: die Nachricht von dem Eintreffen des Feindes an der Bruͤcke war nun auch von dorther ein- gegangen, und die Beſtuͤrzung jetzt eben ſo groß, als kurz zuvor die Sicherheit geweſen war. Man erwartete den An- griff noch dieſen Abend, woran gar nicht zu denken war. Jn Gegenwart ſehr vieler Offiziere und der Englaͤnder wie- derholten meine Cameraden und ich, daß bis jetzt noch nicht das mindeſte verloren, daß aber der Marſch auf Birad- ſchik ohne Zeitverluſt nun unerlaͤßlich nothwendig geworden ſei. Der Paſcha war in großer Aufregung, wollte ſich aber zu dieſer Maaßregel nicht verſtehen, hauptſaͤchlich wohl, weil er ſeinen ſchlechten Truppen ſo wenig traute, daß er fuͤrch- tete, jeder Ruͤckzug werde ſie demoraliſiren. Alle Paſcha's wuͤnſchten inſtaͤndigſt jenen Marſch, und doch wagte keiner zu ſprechen; ich rief Muſtapha-Paſcha, den General- Lieutenant der Garde, und Han-Effendi zu, meiner Mei- nung, die ſie auf dem Spitzberge ja getheilt, laut beizu- ſtimmen; ich forderte Hafiß-Paſcha auf, nicht Leuten Gehoͤr zu geben, wie die Mollahs, die nichts von militai- riſchen Angelegenheiten verſtaͤnden, erinnerte ihn, daß mor- gen, wenn die Sonne wieder hinter jenen Bergen unter- gehe, er wahrſcheinlich ohne Heer ſei. Alles vergebens!
Schon fing es an zu daͤmmern, und noch war kein Entſchluß gefaßt. Der Paſcha verfuͤgte ſich mit großem Gefolge nach unſerm linken Fluͤgel, um dort ſelbſt eine Stelle aufzuſuchen; auf Befragen erklaͤrte ich dem Commandiren- den, daß das Terrain zwar nicht entſchieden unguͤnſtig, aber fuͤr Truppen wie die ſeinigen keine genuͤgende Garan- tie biete; forderte ihn nochmals auf, Befehl zum Abmarſch zu geben, und verlangte, da er es beſtimmt verweigerte, meine Entlaſſung. Es verſtehe ſich von ſelbſt, daß ich das Gefecht, wie jeder andere Soldat, mitmachen werde, daß aber meine Stellung als „Muͤſteſchar“ oder Rathgeber von Stund' an aufgehoͤrt habe. Jm erſten Verdruß hatte Ha- fiß-Paſcha meinen Abſchied bewilligt, aber ſchon nach wenigen Minuten rief er mich wieder: „er erwarte, daß
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ſcha nach mir ſchickte: die Nachricht von dem Eintreffen
des Feindes an der Bruͤcke war nun auch von dorther ein-
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zuvor die Sicherheit geweſen war. Man erwartete den An-
griff noch dieſen Abend, woran gar nicht zu denken war.
Jn Gegenwart ſehr vieler Offiziere und der Englaͤnder wie-
derholten meine Cameraden und ich, daß bis jetzt noch nicht
das mindeſte verloren, daß aber der Marſch auf Birad-
ſchik ohne Zeitverluſt nun unerlaͤßlich nothwendig geworden
ſei. Der Paſcha war in großer Aufregung, wollte ſich aber
zu dieſer Maaßregel nicht verſtehen, hauptſaͤchlich wohl, weil
er ſeinen ſchlechten Truppen ſo wenig traute, daß er fuͤrch-
tete, jeder Ruͤckzug werde ſie demoraliſiren. Alle Paſcha's
wuͤnſchten inſtaͤndigſt jenen Marſch, und doch wagte keiner
zu ſprechen; ich rief Muſtapha-Paſcha, den General-
Lieutenant der Garde, und Han-Effendi zu, meiner Mei-
nung, die ſie auf dem Spitzberge ja getheilt, laut beizu-
ſtimmen; ich forderte Hafiß-Paſcha auf, nicht Leuten
Gehoͤr zu geben, wie die Mollahs, die nichts von militai-
riſchen Angelegenheiten verſtaͤnden, erinnerte ihn, daß mor-
gen, wenn die Sonne wieder hinter jenen Bergen unter-
gehe, er wahrſcheinlich ohne Heer ſei. Alles vergebens!
Schon fing es an zu daͤmmern, und noch war kein
Entſchluß gefaßt. Der Paſcha verfuͤgte ſich mit großem
Gefolge nach unſerm linken Fluͤgel, um dort ſelbſt eine Stelle
aufzuſuchen; auf Befragen erklaͤrte ich dem Commandiren-
den, daß das Terrain zwar nicht entſchieden unguͤnſtig,
aber fuͤr Truppen wie die ſeinigen keine genuͤgende Garan-
tie biete; forderte ihn nochmals auf, Befehl zum Abmarſch
zu geben, und verlangte, da er es beſtimmt verweigerte,
meine Entlaſſung. Es verſtehe ſich von ſelbſt, daß ich das
Gefecht, wie jeder andere Soldat, mitmachen werde, daß
aber meine Stellung als „Muͤſteſchar“ oder Rathgeber von
Stund' an aufgehoͤrt habe. Jm erſten Verdruß hatte Ha-
fiß-Paſcha meinen Abſchied bewilligt, aber ſchon nach
wenigen Minuten rief er mich wieder: „er erwarte, daß
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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