Feinde nicht gedrängt werden könne, endlich, daß alle klein- lichen Rücksichten, selbst der momentane Verlust von Aintab, gar nicht in Betracht kämen, wo so viel auf dem Spiele stände. Schließlich erklärte ich ihm, daß ich in der Stellung, in welche Sultan Mahmud mich gestellt, ihm diese Sprache schuldig sei, und von Stunde an alle Verantwortlichkeit für die Folgen von mir ablehne, welche nach meiner Ueberzeu- gung ein längeres Verweilen bei Nisib nach sich ziehen müsse. L., welcher zugegen, trat, auf Befragen, ganz dieser Ansicht bei, und das Resultat war, daß trotz der ersten Abneigung der Rückzug bis Biradschik fast schon beschlossen, die Zeit des Aufbruchs, Zahl der Colonnen etc. berathen wurde.
Nach einer Stunde ritt ich zum Pascha, ihm anzuzei- gen, daß jetzt das Gros ebenfalls den Weg nach der Ker- ßun-Brücke eingeschlagen habe, und daß die Avantgarde in einer halben Stunde jenen Punkt erreichen würde. Jch fand den Commandirenden unter Mollahs und Chodscha's sitzen, die seit Kurzem großen Einfluß gewonnen hatten; er war völlig umgestimmt. "Meine Nachricht könne kaum ";richtig sein, der Gegner beabsichtige nur, sich morgen früh ";nach Aleppo zurück zu ziehen. Die Sache des Sultans ";sei gerecht, Allah werde ihm Hülfe verleihen, und aller ";Rückzug sei schimpflich; ich möchte eine Stellung auf dem ";linken Flügel suchen, Front gegen die Brücke." Dies lehnte ich auf das Bestimmteste ab, und ritt in mein Zelt zurück.
Als die erste Nachricht von Jbrahims Anmarsch an- kam, lag ich krank; ich hatte mich während der Recogno- scirungen der letzten Tage nur mit Anstrengung zu Pferde erhalten können, und jetzt war eine Stunde Ruhe mir drin- gend nöthig. Jm Vorbeireiten benachrichtigte ich die Her- ren A. und R. von der geographischen Gesellschaft zu Lon- don, welche seit einigen Tagen im Hauptquartiere verweil- ten, ihr Gepäck bereit zu halten, da wir uns wahrschein- lich morgen in einer schlechten Stellung schlagen würden und für den Ausgang nicht mehr zu stehen sei. Kaum hatte ich mich aber auf mein Lager geworfen, als der Pa-
Feinde nicht gedraͤngt werden koͤnne, endlich, daß alle klein- lichen Ruͤckſichten, ſelbſt der momentane Verluſt von Aintab, gar nicht in Betracht kaͤmen, wo ſo viel auf dem Spiele ſtaͤnde. Schließlich erklaͤrte ich ihm, daß ich in der Stellung, in welche Sultan Mahmud mich geſtellt, ihm dieſe Sprache ſchuldig ſei, und von Stunde an alle Verantwortlichkeit fuͤr die Folgen von mir ablehne, welche nach meiner Ueberzeu- gung ein laͤngeres Verweilen bei Niſib nach ſich ziehen muͤſſe. L., welcher zugegen, trat, auf Befragen, ganz dieſer Anſicht bei, und das Reſultat war, daß trotz der erſten Abneigung der Ruͤckzug bis Biradſchik faſt ſchon beſchloſſen, die Zeit des Aufbruchs, Zahl der Colonnen ꝛc. berathen wurde.
Nach einer Stunde ritt ich zum Paſcha, ihm anzuzei- gen, daß jetzt das Gros ebenfalls den Weg nach der Ker- ßun-Bruͤcke eingeſchlagen habe, und daß die Avantgarde in einer halben Stunde jenen Punkt erreichen wuͤrde. Jch fand den Commandirenden unter Mollahs und Chodſcha's ſitzen, die ſeit Kurzem großen Einfluß gewonnen hatten; er war voͤllig umgeſtimmt. „Meine Nachricht koͤnne kaum „;richtig ſein, der Gegner beabſichtige nur, ſich morgen fruͤh „;nach Aleppo zuruͤck zu ziehen. Die Sache des Sultans „;ſei gerecht, Allah werde ihm Huͤlfe verleihen, und aller „;Ruͤckzug ſei ſchimpflich; ich moͤchte eine Stellung auf dem „;linken Fluͤgel ſuchen, Front gegen die Bruͤcke.“ Dies lehnte ich auf das Beſtimmteſte ab, und ritt in mein Zelt zuruͤck.
Als die erſte Nachricht von Jbrahims Anmarſch an- kam, lag ich krank; ich hatte mich waͤhrend der Recogno- ſcirungen der letzten Tage nur mit Anſtrengung zu Pferde erhalten koͤnnen, und jetzt war eine Stunde Ruhe mir drin- gend noͤthig. Jm Vorbeireiten benachrichtigte ich die Her- ren A. und R. von der geographiſchen Geſellſchaft zu Lon- don, welche ſeit einigen Tagen im Hauptquartiere verweil- ten, ihr Gepaͤck bereit zu halten, da wir uns wahrſchein- lich morgen in einer ſchlechten Stellung ſchlagen wuͤrden und fuͤr den Ausgang nicht mehr zu ſtehen ſei. Kaum hatte ich mich aber auf mein Lager geworfen, als der Pa-
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Feinde nicht gedraͤngt werden koͤnne, endlich, daß alle klein-
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gar nicht in Betracht kaͤmen, wo ſo viel auf dem Spiele
ſtaͤnde. Schließlich erklaͤrte ich ihm, daß ich in der Stellung,
in welche Sultan Mahmud mich geſtellt, ihm dieſe Sprache
ſchuldig ſei, und von Stunde an alle Verantwortlichkeit fuͤr
die Folgen von mir ablehne, welche nach meiner Ueberzeu-
gung ein laͤngeres Verweilen bei Niſib nach ſich ziehen muͤſſe.
L., welcher zugegen, trat, auf Befragen, ganz dieſer Anſicht
bei, und das Reſultat war, daß trotz der erſten Abneigung
der Ruͤckzug bis Biradſchik faſt ſchon beſchloſſen, die Zeit
des Aufbruchs, Zahl der Colonnen ꝛc. berathen wurde.
Nach einer Stunde ritt ich zum Paſcha, ihm anzuzei-
gen, daß jetzt das Gros ebenfalls den Weg nach der Ker-
ßun-Bruͤcke eingeſchlagen habe, und daß die Avantgarde in
einer halben Stunde jenen Punkt erreichen wuͤrde. Jch
fand den Commandirenden unter Mollahs und Chodſcha's
ſitzen, die ſeit Kurzem großen Einfluß gewonnen hatten;
er war voͤllig umgeſtimmt. „Meine Nachricht koͤnne kaum
„;richtig ſein, der Gegner beabſichtige nur, ſich morgen fruͤh
„;nach Aleppo zuruͤck zu ziehen. Die Sache des Sultans
„;ſei gerecht, Allah werde ihm Huͤlfe verleihen, und aller
„;Ruͤckzug ſei ſchimpflich; ich moͤchte eine Stellung auf dem
„;linken Fluͤgel ſuchen, Front gegen die Bruͤcke.“ Dies lehnte
ich auf das Beſtimmteſte ab, und ritt in mein Zelt zuruͤck.
Als die erſte Nachricht von Jbrahims Anmarſch an-
kam, lag ich krank; ich hatte mich waͤhrend der Recogno-
ſcirungen der letzten Tage nur mit Anſtrengung zu Pferde
erhalten koͤnnen, und jetzt war eine Stunde Ruhe mir drin-
gend noͤthig. Jm Vorbeireiten benachrichtigte ich die Her-
ren A. und R. von der geographiſchen Geſellſchaft zu Lon-
don, welche ſeit einigen Tagen im Hauptquartiere verweil-
ten, ihr Gepaͤck bereit zu halten, da wir uns wahrſchein-
lich morgen in einer ſchlechten Stellung ſchlagen wuͤrden
und fuͤr den Ausgang nicht mehr zu ſtehen ſei. Kaum
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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