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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Knie auf langen Streifen geglätteten Papiers die Charak-
tere von der Rechten zur Linken.

Uebrigens geht mir hier nichts ab, und es ist sehr
interessant, einen Blick in die Häuslichkeit einer armenischen
Familie zu thun. Diese Armenier kann man in der That
christliche Türken nennen, so ganz haben sie die Sitten und
selbst die Sprache jener herrschenden Nation angenommen,
während die Griechen weit mehr ihre Eigenthümlichkeiten
bewahrten. Die Religion erlaubt ihnen als Christen na-
türlich nur eine Frau; aber diese ist fast eben so unsicht-
bar wie die Türkinnen. Wenn die Armenierinnen auf der
Straße erscheinen, sieht man ebenfalls nur die Augen und
den oberen Theil der Nase unverschleiert. Jch war schon
mehrere Tage hier im Hause, ohne daß sich ein weibliches
Wesen blicken ließ. Zuerst erschien die alte Frau M., welche
nicht viel Verführerisches an sich hatte, und zuletzt erst,
weil ich ein besonders geehrter Mussafir (Gast), ein hüb-
sches Mädchen nach dem andern. Leider spricht keine ein
Wort französisch. Nun mag man sich wohl mit einem
Pascha durch den Dragoman unterhalten, aber mit jun-
gen Damen ist das sehr hart.

Auf einen Europäer macht es einen eigenen Eindruck,
sich von den Töchtern des Hauses aufwarten zu lassen.
Sie bringen Dir die Pfeife, reichen den Kaffee und blei-
ben mit verschränkten Händen vor Dir stehen, bis Du sie
aufforderst, sich zu setzen. Es liegt aber darin für sie
durchaus nichts Demüthigendes, und ist auch in der That
nur das alt-biblische, naturgemäße Verhältniß. Wenn wir
die Wahrheit sagen wollen, so müssen wir gestehen, daß
bei uns ein junges Mädchen von dem Brautstande in den
Ehestand eine Stufe herabsteigt, denn die Vergötterung,
mit welcher ihr gehuldigt wurde, kann unmöglich für die
Dauer eines Lebens vorhalten. Jm Orient wird die Frau
durch die Ehe gehoben, und wenn sie auch dem Manne
unterthan bleibt, so herrscht sie doch in ihrer Wirthschaft
über die Mägde und Dienstboten, die Söhne und Töchter.

Knie auf langen Streifen geglaͤtteten Papiers die Charak-
tere von der Rechten zur Linken.

Uebrigens geht mir hier nichts ab, und es iſt ſehr
intereſſant, einen Blick in die Haͤuslichkeit einer armeniſchen
Familie zu thun. Dieſe Armenier kann man in der That
chriſtliche Tuͤrken nennen, ſo ganz haben ſie die Sitten und
ſelbſt die Sprache jener herrſchenden Nation angenommen,
waͤhrend die Griechen weit mehr ihre Eigenthuͤmlichkeiten
bewahrten. Die Religion erlaubt ihnen als Chriſten na-
tuͤrlich nur eine Frau; aber dieſe iſt faſt eben ſo unſicht-
bar wie die Tuͤrkinnen. Wenn die Armenierinnen auf der
Straße erſcheinen, ſieht man ebenfalls nur die Augen und
den oberen Theil der Naſe unverſchleiert. Jch war ſchon
mehrere Tage hier im Hauſe, ohne daß ſich ein weibliches
Weſen blicken ließ. Zuerſt erſchien die alte Frau M., welche
nicht viel Verfuͤhreriſches an ſich hatte, und zuletzt erſt,
weil ich ein beſonders geehrter Muſſafir (Gaſt), ein huͤb-
ſches Maͤdchen nach dem andern. Leider ſpricht keine ein
Wort franzoͤſiſch. Nun mag man ſich wohl mit einem
Paſcha durch den Dragoman unterhalten, aber mit jun-
gen Damen iſt das ſehr hart.

Auf einen Europaͤer macht es einen eigenen Eindruck,
ſich von den Toͤchtern des Hauſes aufwarten zu laſſen.
Sie bringen Dir die Pfeife, reichen den Kaffee und blei-
ben mit verſchraͤnkten Haͤnden vor Dir ſtehen, bis Du ſie
aufforderſt, ſich zu ſetzen. Es liegt aber darin fuͤr ſie
durchaus nichts Demuͤthigendes, und iſt auch in der That
nur das alt-bibliſche, naturgemaͤße Verhaͤltniß. Wenn wir
die Wahrheit ſagen wollen, ſo muͤſſen wir geſtehen, daß
bei uns ein junges Maͤdchen von dem Brautſtande in den
Eheſtand eine Stufe herabſteigt, denn die Vergoͤtterung,
mit welcher ihr gehuldigt wurde, kann unmoͤglich fuͤr die
Dauer eines Lebens vorhalten. Jm Orient wird die Frau
durch die Ehe gehoben, und wenn ſie auch dem Manne
unterthan bleibt, ſo herrſcht ſie doch in ihrer Wirthſchaft
uͤber die Maͤgde und Dienſtboten, die Soͤhne und Toͤchter.

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[32/0042] Knie auf langen Streifen geglaͤtteten Papiers die Charak- tere von der Rechten zur Linken. Uebrigens geht mir hier nichts ab, und es iſt ſehr intereſſant, einen Blick in die Haͤuslichkeit einer armeniſchen Familie zu thun. Dieſe Armenier kann man in der That chriſtliche Tuͤrken nennen, ſo ganz haben ſie die Sitten und ſelbſt die Sprache jener herrſchenden Nation angenommen, waͤhrend die Griechen weit mehr ihre Eigenthuͤmlichkeiten bewahrten. Die Religion erlaubt ihnen als Chriſten na- tuͤrlich nur eine Frau; aber dieſe iſt faſt eben ſo unſicht- bar wie die Tuͤrkinnen. Wenn die Armenierinnen auf der Straße erſcheinen, ſieht man ebenfalls nur die Augen und den oberen Theil der Naſe unverſchleiert. Jch war ſchon mehrere Tage hier im Hauſe, ohne daß ſich ein weibliches Weſen blicken ließ. Zuerſt erſchien die alte Frau M., welche nicht viel Verfuͤhreriſches an ſich hatte, und zuletzt erſt, weil ich ein beſonders geehrter Muſſafir (Gaſt), ein huͤb- ſches Maͤdchen nach dem andern. Leider ſpricht keine ein Wort franzoͤſiſch. Nun mag man ſich wohl mit einem Paſcha durch den Dragoman unterhalten, aber mit jun- gen Damen iſt das ſehr hart. Auf einen Europaͤer macht es einen eigenen Eindruck, ſich von den Toͤchtern des Hauſes aufwarten zu laſſen. Sie bringen Dir die Pfeife, reichen den Kaffee und blei- ben mit verſchraͤnkten Haͤnden vor Dir ſtehen, bis Du ſie aufforderſt, ſich zu ſetzen. Es liegt aber darin fuͤr ſie durchaus nichts Demuͤthigendes, und iſt auch in der That nur das alt-bibliſche, naturgemaͤße Verhaͤltniß. Wenn wir die Wahrheit ſagen wollen, ſo muͤſſen wir geſtehen, daß bei uns ein junges Maͤdchen von dem Brautſtande in den Eheſtand eine Stufe herabſteigt, denn die Vergoͤtterung, mit welcher ihr gehuldigt wurde, kann unmoͤglich fuͤr die Dauer eines Lebens vorhalten. Jm Orient wird die Frau durch die Ehe gehoben, und wenn ſie auch dem Manne unterthan bleibt, ſo herrſcht ſie doch in ihrer Wirthſchaft uͤber die Maͤgde und Dienſtboten, die Soͤhne und Toͤchter.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/42>, abgerufen am 03.12.2024.