Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

mußten die Waffen der Ungläubigen den Padischah in seiner
eigenen Residenz gegen ein muselmännisches Heer beschützen.

So viele und so große Hindernisse stellten sich dem
Plane des Sultans entgegen, und leider ist der Ausspruch
wahr: qu'en Turquie on a commence la reforme par la
queue
. Sie bestand meist in Aeußerlichkeiten, in Namen
und Projekten. Die unglückliche Schöpfung war die eines
Heeres nach europäischen Mustern mit russischen Jacken,
französischem Reglement, belgischen Gewehren, türkischen
Mützen, ungarischen Sätteln, englischen Säbeln, und Jn-
structeurs aus allen Nationen; zusammengesetzt aus Lehns-
truppen oder Timarioten, aus Linientruppen mit lebens-
wieriger und Landwehren mit unbestimmter Dienstzeit, in
welchem die Führer Rekruten, die Rekruten kaum besiegte
Feinde waren. Jn der Civil-Verwaltung hatte man einen
schwachen Versuch gemacht, die Steuern nicht mehr zu ver-
pachten, sondern unmittelbar für den Staat zu erheben.
Die Ausfälle in den Finanzen, welche hierdurch zu Anfang
unausbleiblich entstehen mußten, und mehr noch der Man-
gel an redlichen Beamten, hinderten die weitere Durchfüh-
rung dieser wichtigsten aller Verbesserungen. Die Titel der
Staatsämter wurden gewechselt, aber die Männer, welche
sie bekleideten, blieben von derselben Untüchtigkeit. Oft auch,
scheint es, trotzte der Großherr dem religiösen Vorurtheil
ohne Noth; denn welchen Nutzen konnte es haben, daß er
dem Scheih-ül-Jslam, dem Chef des Glaubens, sein durch
den Glauben verbotenes Portrait überschickte.

Sultan Mahmud hinterließ seinem jungen Nachfolger
das Land im traurigsten Zustande, denn abgesehen von der
augenblicklichen Verwickelung ist das osmanische Reich mit
Bezug auf die neuen Einrichtungen, die noch nicht Wurzel
geschlagen, schwach wie ein Kind und hinfällig wie ein
Greis, in den ältern Jnstitutionen, welche sich überlebt ha-
ben. Die unpartheiische Beurtheilung wird Peter dem Gro-
ßen einen sehr viel höhern Platz in der Geschichte anwei-
sen, als Mahmud dem Zweiten; sie wird aber auch ein-

mußten die Waffen der Unglaͤubigen den Padiſchah in ſeiner
eigenen Reſidenz gegen ein muſelmaͤnniſches Heer beſchuͤtzen.

So viele und ſo große Hinderniſſe ſtellten ſich dem
Plane des Sultans entgegen, und leider iſt der Ausſpruch
wahr: qu'en Turquie on a commencé la réforme par la
queue
. Sie beſtand meiſt in Aeußerlichkeiten, in Namen
und Projekten. Die ungluͤckliche Schoͤpfung war die eines
Heeres nach europaͤiſchen Muſtern mit ruſſiſchen Jacken,
franzoͤſiſchem Reglement, belgiſchen Gewehren, tuͤrkiſchen
Muͤtzen, ungariſchen Saͤtteln, engliſchen Saͤbeln, und Jn-
ſtructeurs aus allen Nationen; zuſammengeſetzt aus Lehns-
truppen oder Timarioten, aus Linientruppen mit lebens-
wieriger und Landwehren mit unbeſtimmter Dienſtzeit, in
welchem die Fuͤhrer Rekruten, die Rekruten kaum beſiegte
Feinde waren. Jn der Civil-Verwaltung hatte man einen
ſchwachen Verſuch gemacht, die Steuern nicht mehr zu ver-
pachten, ſondern unmittelbar fuͤr den Staat zu erheben.
Die Ausfaͤlle in den Finanzen, welche hierdurch zu Anfang
unausbleiblich entſtehen mußten, und mehr noch der Man-
gel an redlichen Beamten, hinderten die weitere Durchfuͤh-
rung dieſer wichtigſten aller Verbeſſerungen. Die Titel der
Staatsaͤmter wurden gewechſelt, aber die Maͤnner, welche
ſie bekleideten, blieben von derſelben Untuͤchtigkeit. Oft auch,
ſcheint es, trotzte der Großherr dem religioͤſen Vorurtheil
ohne Noth; denn welchen Nutzen konnte es haben, daß er
dem Scheih-uͤl-Jslam, dem Chef des Glaubens, ſein durch
den Glauben verbotenes Portrait uͤberſchickte.

Sultan Mahmud hinterließ ſeinem jungen Nachfolger
das Land im traurigſten Zuſtande, denn abgeſehen von der
augenblicklichen Verwickelung iſt das osmaniſche Reich mit
Bezug auf die neuen Einrichtungen, die noch nicht Wurzel
geſchlagen, ſchwach wie ein Kind und hinfaͤllig wie ein
Greis, in den aͤltern Jnſtitutionen, welche ſich uͤberlebt ha-
ben. Die unpartheiiſche Beurtheilung wird Peter dem Gro-
ßen einen ſehr viel hoͤhern Platz in der Geſchichte anwei-
ſen, als Mahmud dem Zweiten; ſie wird aber auch ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0429" n="419"/>
mußten die Waffen der Ungla&#x0364;ubigen den Padi&#x017F;chah in &#x017F;einer<lb/>
eigenen Re&#x017F;idenz gegen ein mu&#x017F;elma&#x0364;nni&#x017F;ches Heer be&#x017F;chu&#x0364;tzen.</p><lb/>
        <p>So viele und &#x017F;o große Hinderni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tellten &#x017F;ich dem<lb/>
Plane des Sultans entgegen, und leider i&#x017F;t der Aus&#x017F;pruch<lb/>
wahr: <hi rendition="#aq">qu'en Turquie on a commencé la réforme par la<lb/>
queue</hi>. Sie be&#x017F;tand mei&#x017F;t in Aeußerlichkeiten, in Namen<lb/>
und Projekten. Die unglu&#x0364;ckliche Scho&#x0364;pfung war die eines<lb/>
Heeres nach europa&#x0364;i&#x017F;chen Mu&#x017F;tern mit ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Jacken,<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chem Reglement, belgi&#x017F;chen Gewehren, tu&#x0364;rki&#x017F;chen<lb/>
Mu&#x0364;tzen, ungari&#x017F;chen Sa&#x0364;tteln, engli&#x017F;chen Sa&#x0364;beln, und Jn-<lb/>
&#x017F;tructeurs aus allen Nationen; zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt aus Lehns-<lb/>
truppen oder Timarioten, aus Linientruppen mit lebens-<lb/>
wieriger und Landwehren mit unbe&#x017F;timmter Dien&#x017F;tzeit, in<lb/>
welchem die Fu&#x0364;hrer Rekruten, die Rekruten kaum be&#x017F;iegte<lb/>
Feinde waren. Jn der Civil-Verwaltung hatte man einen<lb/>
&#x017F;chwachen Ver&#x017F;uch gemacht, die Steuern nicht mehr zu ver-<lb/>
pachten, &#x017F;ondern unmittelbar fu&#x0364;r den Staat zu erheben.<lb/>
Die Ausfa&#x0364;lle in den Finanzen, welche hierdurch zu Anfang<lb/>
unausbleiblich ent&#x017F;tehen mußten, und mehr noch der Man-<lb/>
gel an redlichen Beamten, hinderten die weitere Durchfu&#x0364;h-<lb/>
rung die&#x017F;er wichtig&#x017F;ten aller Verbe&#x017F;&#x017F;erungen. Die Titel der<lb/>
Staatsa&#x0364;mter wurden gewech&#x017F;elt, aber die Ma&#x0364;nner, welche<lb/>
&#x017F;ie bekleideten, blieben von der&#x017F;elben Untu&#x0364;chtigkeit. Oft auch,<lb/>
&#x017F;cheint es, trotzte der Großherr dem religio&#x0364;&#x017F;en Vorurtheil<lb/>
ohne Noth; denn welchen Nutzen konnte es haben, daß er<lb/>
dem Scheih-u&#x0364;l-Jslam, dem Chef des Glaubens, &#x017F;ein durch<lb/>
den Glauben verbotenes Portrait u&#x0364;ber&#x017F;chickte.</p><lb/>
        <p>Sultan Mahmud hinterließ &#x017F;einem jungen Nachfolger<lb/>
das Land im traurig&#x017F;ten Zu&#x017F;tande, denn abge&#x017F;ehen von der<lb/>
augenblicklichen Verwickelung i&#x017F;t das osmani&#x017F;che Reich mit<lb/>
Bezug auf die neuen Einrichtungen, die noch nicht Wurzel<lb/>
ge&#x017F;chlagen, &#x017F;chwach wie ein Kind und hinfa&#x0364;llig wie ein<lb/>
Greis, in den a&#x0364;ltern Jn&#x017F;titutionen, welche &#x017F;ich u&#x0364;berlebt ha-<lb/>
ben. Die unpartheii&#x017F;che Beurtheilung wird Peter dem Gro-<lb/>
ßen einen &#x017F;ehr viel ho&#x0364;hern Platz in der Ge&#x017F;chichte anwei-<lb/>
&#x017F;en, als Mahmud dem Zweiten; &#x017F;ie wird aber auch ein-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0429] mußten die Waffen der Unglaͤubigen den Padiſchah in ſeiner eigenen Reſidenz gegen ein muſelmaͤnniſches Heer beſchuͤtzen. So viele und ſo große Hinderniſſe ſtellten ſich dem Plane des Sultans entgegen, und leider iſt der Ausſpruch wahr: qu'en Turquie on a commencé la réforme par la queue. Sie beſtand meiſt in Aeußerlichkeiten, in Namen und Projekten. Die ungluͤckliche Schoͤpfung war die eines Heeres nach europaͤiſchen Muſtern mit ruſſiſchen Jacken, franzoͤſiſchem Reglement, belgiſchen Gewehren, tuͤrkiſchen Muͤtzen, ungariſchen Saͤtteln, engliſchen Saͤbeln, und Jn- ſtructeurs aus allen Nationen; zuſammengeſetzt aus Lehns- truppen oder Timarioten, aus Linientruppen mit lebens- wieriger und Landwehren mit unbeſtimmter Dienſtzeit, in welchem die Fuͤhrer Rekruten, die Rekruten kaum beſiegte Feinde waren. Jn der Civil-Verwaltung hatte man einen ſchwachen Verſuch gemacht, die Steuern nicht mehr zu ver- pachten, ſondern unmittelbar fuͤr den Staat zu erheben. Die Ausfaͤlle in den Finanzen, welche hierdurch zu Anfang unausbleiblich entſtehen mußten, und mehr noch der Man- gel an redlichen Beamten, hinderten die weitere Durchfuͤh- rung dieſer wichtigſten aller Verbeſſerungen. Die Titel der Staatsaͤmter wurden gewechſelt, aber die Maͤnner, welche ſie bekleideten, blieben von derſelben Untuͤchtigkeit. Oft auch, ſcheint es, trotzte der Großherr dem religioͤſen Vorurtheil ohne Noth; denn welchen Nutzen konnte es haben, daß er dem Scheih-uͤl-Jslam, dem Chef des Glaubens, ſein durch den Glauben verbotenes Portrait uͤberſchickte. Sultan Mahmud hinterließ ſeinem jungen Nachfolger das Land im traurigſten Zuſtande, denn abgeſehen von der augenblicklichen Verwickelung iſt das osmaniſche Reich mit Bezug auf die neuen Einrichtungen, die noch nicht Wurzel geſchlagen, ſchwach wie ein Kind und hinfaͤllig wie ein Greis, in den aͤltern Jnſtitutionen, welche ſich uͤberlebt ha- ben. Die unpartheiiſche Beurtheilung wird Peter dem Gro- ßen einen ſehr viel hoͤhern Platz in der Geſchichte anwei- ſen, als Mahmud dem Zweiten; ſie wird aber auch ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/429
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/429>, abgerufen am 04.12.2024.