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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Des Tages werden regelmäßig zwei Mahlzeiten ge-
nommen; die erste um 9 oder 10 Uhr Morgens, wo es im
Sommer noch kühl ist, die zweite bei Sonnenuntergang,
wo es wieder kühl wird. Die Küche ist ganz türkisch;
Hammelfleisch und Reis bilden das Fundament der Mahl-
zeit, und eine um die andere der zahlreichen Schüsseln ist
ein süßes Gericht. Der Wein ist den Armeniern natürlich
erlaubt. Was ich sehr rühmen muß, sind die kleinen kalten
Schüsseln, von denen Jeder zwischendurch nach Belieben zu-
langt: die Austern (Stridia), Muscheln (Midia) und Hum-
mer (Astachos); der Caviar (Ekea), Käse (Penir), Oli-
ven (Seityn), Ziegenrahm (Kaimak), Zwiebeln (Soghan),
türkischer Pfeffer, Jngwer, Salate, Sardellen, Krabben,
Fischlaich, Krebse, Schnittlauch und Früchte aller Art.

Arnaut-Kjöi hat eine wunderschöne Lage an einer der
engern Stellen des Bosphorus. Unter meinem Fenster ist,
was man hier die Jskjele (Echelle) nennt, der Landeplatz
des Dorfs. Dort herrscht reges Leben und lärmendes Ge-
wühl, denn die Griechen, welche die Mehrzahl der Einwoh-
ner bilden, sind noch heute ein geschwätziges Volk. Eine
Menge von Kaiks warten hier auf Gäste: istambolah! --
"nach Stambul!" -- rufen die Türken; istanpoli! -- "nach
der Stadt!" -- die Griechen. Die mächtigsten Schiffe zie-
hen hier so nahe am Ufer vorbei, daß bei stürmischen Wet-
ter oft die Raaen der Masten Fenster einstoßen. Hin und
wieder brauset ein Dampfschiff vorüber, lange kämpft es
mit dem Strom, der mit dunkeln, hüpfenden Wellen um
die Spitze von Arnaut-Kjöi herumwirbelt. Die kleinen
Nachen lassen sich dort etwa 200 Schritt weit hinaufziehen,
und eine Menge armer Leute warten auf dem Quai, um
den Ankommenden ein Seil zuzuwerfen.

Ein köstlicher Spaziergang führt von hier längs des
Ufers um die freundliche Bucht von Bebeck. Unter mäch-
tigen Platanen erhebt sich dort eine zierliche Moschee und
ein Kiosk (türkisch Köschk) des Großherrn. Hier wohnen
eine Menge vornehmer Türken, unter andern mein Freund,

Des Tages werden regelmaͤßig zwei Mahlzeiten ge-
nommen; die erſte um 9 oder 10 Uhr Morgens, wo es im
Sommer noch kuͤhl iſt, die zweite bei Sonnenuntergang,
wo es wieder kuͤhl wird. Die Kuͤche iſt ganz tuͤrkiſch;
Hammelfleiſch und Reis bilden das Fundament der Mahl-
zeit, und eine um die andere der zahlreichen Schuͤſſeln iſt
ein ſuͤßes Gericht. Der Wein iſt den Armeniern natuͤrlich
erlaubt. Was ich ſehr ruͤhmen muß, ſind die kleinen kalten
Schuͤſſeln, von denen Jeder zwiſchendurch nach Belieben zu-
langt: die Auſtern (Stridia), Muſcheln (Midia) und Hum-
mer (Aſtachos); der Caviar (Ekea), Kaͤſe (Penir), Oli-
ven (Seityn), Ziegenrahm (Kaimak), Zwiebeln (Soghan),
tuͤrkiſcher Pfeffer, Jngwer, Salate, Sardellen, Krabben,
Fiſchlaich, Krebſe, Schnittlauch und Fruͤchte aller Art.

Arnaut-Kjoͤi hat eine wunderſchoͤne Lage an einer der
engern Stellen des Bosphorus. Unter meinem Fenſter iſt,
was man hier die Jskjele (Echelle) nennt, der Landeplatz
des Dorfs. Dort herrſcht reges Leben und laͤrmendes Ge-
wuͤhl, denn die Griechen, welche die Mehrzahl der Einwoh-
ner bilden, ſind noch heute ein geſchwaͤtziges Volk. Eine
Menge von Kaiks warten hier auf Gaͤſte: istambolah! —
„nach Stambul!“ — rufen die Tuͤrken; istanpoli! — „nach
der Stadt!“ — die Griechen. Die maͤchtigſten Schiffe zie-
hen hier ſo nahe am Ufer vorbei, daß bei ſtuͤrmiſchen Wet-
ter oft die Raaen der Maſten Fenſter einſtoßen. Hin und
wieder brauſet ein Dampfſchiff voruͤber, lange kaͤmpft es
mit dem Strom, der mit dunkeln, huͤpfenden Wellen um
die Spitze von Arnaut-Kjoͤi herumwirbelt. Die kleinen
Nachen laſſen ſich dort etwa 200 Schritt weit hinaufziehen,
und eine Menge armer Leute warten auf dem Quai, um
den Ankommenden ein Seil zuzuwerfen.

Ein koͤſtlicher Spaziergang fuͤhrt von hier laͤngs des
Ufers um die freundliche Bucht von Bebeck. Unter maͤch-
tigen Platanen erhebt ſich dort eine zierliche Moſchee und
ein Kiosk (tuͤrkiſch Koͤſchk) des Großherrn. Hier wohnen
eine Menge vornehmer Tuͤrken, unter andern mein Freund,

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[40/0050] Des Tages werden regelmaͤßig zwei Mahlzeiten ge- nommen; die erſte um 9 oder 10 Uhr Morgens, wo es im Sommer noch kuͤhl iſt, die zweite bei Sonnenuntergang, wo es wieder kuͤhl wird. Die Kuͤche iſt ganz tuͤrkiſch; Hammelfleiſch und Reis bilden das Fundament der Mahl- zeit, und eine um die andere der zahlreichen Schuͤſſeln iſt ein ſuͤßes Gericht. Der Wein iſt den Armeniern natuͤrlich erlaubt. Was ich ſehr ruͤhmen muß, ſind die kleinen kalten Schuͤſſeln, von denen Jeder zwiſchendurch nach Belieben zu- langt: die Auſtern (Stridia), Muſcheln (Midia) und Hum- mer (Aſtachos); der Caviar (Ekea), Kaͤſe (Penir), Oli- ven (Seityn), Ziegenrahm (Kaimak), Zwiebeln (Soghan), tuͤrkiſcher Pfeffer, Jngwer, Salate, Sardellen, Krabben, Fiſchlaich, Krebſe, Schnittlauch und Fruͤchte aller Art. Arnaut-Kjoͤi hat eine wunderſchoͤne Lage an einer der engern Stellen des Bosphorus. Unter meinem Fenſter iſt, was man hier die Jskjele (Echelle) nennt, der Landeplatz des Dorfs. Dort herrſcht reges Leben und laͤrmendes Ge- wuͤhl, denn die Griechen, welche die Mehrzahl der Einwoh- ner bilden, ſind noch heute ein geſchwaͤtziges Volk. Eine Menge von Kaiks warten hier auf Gaͤſte: istambolah! — „nach Stambul!“ — rufen die Tuͤrken; istanpoli! — „nach der Stadt!“ — die Griechen. Die maͤchtigſten Schiffe zie- hen hier ſo nahe am Ufer vorbei, daß bei ſtuͤrmiſchen Wet- ter oft die Raaen der Maſten Fenſter einſtoßen. Hin und wieder brauſet ein Dampfſchiff voruͤber, lange kaͤmpft es mit dem Strom, der mit dunkeln, huͤpfenden Wellen um die Spitze von Arnaut-Kjoͤi herumwirbelt. Die kleinen Nachen laſſen ſich dort etwa 200 Schritt weit hinaufziehen, und eine Menge armer Leute warten auf dem Quai, um den Ankommenden ein Seil zuzuwerfen. Ein koͤſtlicher Spaziergang fuͤhrt von hier laͤngs des Ufers um die freundliche Bucht von Bebeck. Unter maͤch- tigen Platanen erhebt ſich dort eine zierliche Moſchee und ein Kiosk (tuͤrkiſch Koͤſchk) des Großherrn. Hier wohnen eine Menge vornehmer Tuͤrken, unter andern mein Freund,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/50>, abgerufen am 03.12.2024.