der Hekim-baschi oder Protomedico. Obwohl er an der Spitze des ganzen Medicinal-Wesens des Reichs steht, so hat er doch nie Medicin studirt. Dagegen besitzt er einen prächtigen Garten mit einer seltenen Rosenflor, welcher in Terrassen die hohe Bergwand ersteigt. Dann geht es längs eines Begräbnißplatzes mit schönen Cypressen bis zu einem alten Schlosse, dem gewöhnlichen Ziel meiner Promenade, denn hier tritt die Straße zwischen hohe hölzerne Häuser, die jede Aussicht versperren.
Rumeli-Hissari -- das europäische Schloß -- wurde noch vor der Eroberung von Konstantinopel durch die Tür- ken erbaut. Die hohen weißen Mauern mit Zinnen und Thürmen ziehen sich so seltsam den steilen Abhang hinauf und hinab, daß man die Erzählung begreift, der Erbauer habe seine Tugra oder Namensunterschrift zum Bauplan gegeben. Zahllose Säulenschafte sind mit Grabsteinen, Zie- geln und Felsblöcken in drei ungeheure runde Thürme ein- gemauert, und drei Jahrhunderte haben fast nichts an die- sem Fußstapfen verwischt, den der Jslam bei seinem Her- überschreiten von Asien dem europäischen Boden einge- drückt hat.
Gegenüber erhebt sich Anadoli-Hissar, das asiatische Schloß. Ganz ähnlich liegen zwei Meilen weiter oberhalb am Bosphor zwei alte genuesische Castelle. Es waren die Schlingen, welche man dem alten byzantinischen Reiche um die Kehle gelegt.
Jm Allgemeinen ist der Winter doch sehr streng in Konstantinopel. Der Nordwind (Poiraß), welcher über das Schwarze Meer herfegt, bedeckt den thracischen Cher- sonnes mit tiefem Schnee, und das Jnnere des Hafens, so weit das süße Wasser des Cydaris sich erstreckt, gefriert fast alle Jahre. Aber Winter und Sommer sehen sich in diesem Lande ähnlicher, als bei uns; die Pinien, die Cy- pressen, der Lorbeer und Oleander wechseln ihr Laub nicht. Epheu umrankt die Felswände, Rosen blühen das ganze Jahr hindurch und frisches Grün bedeckt schon jetzt die
der Hekim-baſchi oder Protomedico. Obwohl er an der Spitze des ganzen Medicinal-Weſens des Reichs ſteht, ſo hat er doch nie Medicin ſtudirt. Dagegen beſitzt er einen praͤchtigen Garten mit einer ſeltenen Roſenflor, welcher in Terraſſen die hohe Bergwand erſteigt. Dann geht es laͤngs eines Begraͤbnißplatzes mit ſchoͤnen Cypreſſen bis zu einem alten Schloſſe, dem gewoͤhnlichen Ziel meiner Promenade, denn hier tritt die Straße zwiſchen hohe hoͤlzerne Haͤuſer, die jede Ausſicht verſperren.
Rumeli-Hiſſari — das europaͤiſche Schloß — wurde noch vor der Eroberung von Konſtantinopel durch die Tuͤr- ken erbaut. Die hohen weißen Mauern mit Zinnen und Thuͤrmen ziehen ſich ſo ſeltſam den ſteilen Abhang hinauf und hinab, daß man die Erzaͤhlung begreift, der Erbauer habe ſeine Tugra oder Namensunterſchrift zum Bauplan gegeben. Zahlloſe Saͤulenſchafte ſind mit Grabſteinen, Zie- geln und Felsbloͤcken in drei ungeheure runde Thuͤrme ein- gemauert, und drei Jahrhunderte haben faſt nichts an die- ſem Fußſtapfen verwiſcht, den der Jslam bei ſeinem Her- uͤberſchreiten von Aſien dem europaͤiſchen Boden einge- druͤckt hat.
Gegenuͤber erhebt ſich Anadoli-Hiſſar, das aſiatiſche Schloß. Ganz aͤhnlich liegen zwei Meilen weiter oberhalb am Bosphor zwei alte genueſiſche Caſtelle. Es waren die Schlingen, welche man dem alten byzantiniſchen Reiche um die Kehle gelegt.
Jm Allgemeinen iſt der Winter doch ſehr ſtreng in Konſtantinopel. Der Nordwind (Poiraß), welcher uͤber das Schwarze Meer herfegt, bedeckt den thraciſchen Cher- ſonnes mit tiefem Schnee, und das Jnnere des Hafens, ſo weit das ſuͤße Waſſer des Cydaris ſich erſtreckt, gefriert faſt alle Jahre. Aber Winter und Sommer ſehen ſich in dieſem Lande aͤhnlicher, als bei uns; die Pinien, die Cy- preſſen, der Lorbeer und Oleander wechſeln ihr Laub nicht. Epheu umrankt die Felswaͤnde, Roſen bluͤhen das ganze Jahr hindurch und friſches Gruͤn bedeckt ſchon jetzt die
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der Hekim-baſchi oder Protomedico. Obwohl er an der
Spitze des ganzen Medicinal-Weſens des Reichs ſteht, ſo
hat er doch nie Medicin ſtudirt. Dagegen beſitzt er einen
praͤchtigen Garten mit einer ſeltenen Roſenflor, welcher in
Terraſſen die hohe Bergwand erſteigt. Dann geht es laͤngs
eines Begraͤbnißplatzes mit ſchoͤnen Cypreſſen bis zu einem
alten Schloſſe, dem gewoͤhnlichen Ziel meiner Promenade,
denn hier tritt die Straße zwiſchen hohe hoͤlzerne Haͤuſer,
die jede Ausſicht verſperren.
Rumeli-Hiſſari — das europaͤiſche Schloß — wurde
noch vor der Eroberung von Konſtantinopel durch die Tuͤr-
ken erbaut. Die hohen weißen Mauern mit Zinnen und
Thuͤrmen ziehen ſich ſo ſeltſam den ſteilen Abhang hinauf
und hinab, daß man die Erzaͤhlung begreift, der Erbauer
habe ſeine Tugra oder Namensunterſchrift zum Bauplan
gegeben. Zahlloſe Saͤulenſchafte ſind mit Grabſteinen, Zie-
geln und Felsbloͤcken in drei ungeheure runde Thuͤrme ein-
gemauert, und drei Jahrhunderte haben faſt nichts an die-
ſem Fußſtapfen verwiſcht, den der Jslam bei ſeinem Her-
uͤberſchreiten von Aſien dem europaͤiſchen Boden einge-
druͤckt hat.
Gegenuͤber erhebt ſich Anadoli-Hiſſar, das aſiatiſche
Schloß. Ganz aͤhnlich liegen zwei Meilen weiter oberhalb
am Bosphor zwei alte genueſiſche Caſtelle. Es waren die
Schlingen, welche man dem alten byzantiniſchen Reiche um
die Kehle gelegt.
Jm Allgemeinen iſt der Winter doch ſehr ſtreng in
Konſtantinopel. Der Nordwind (Poiraß), welcher uͤber
das Schwarze Meer herfegt, bedeckt den thraciſchen Cher-
ſonnes mit tiefem Schnee, und das Jnnere des Hafens,
ſo weit das ſuͤße Waſſer des Cydaris ſich erſtreckt, gefriert
faſt alle Jahre. Aber Winter und Sommer ſehen ſich in
dieſem Lande aͤhnlicher, als bei uns; die Pinien, die Cy-
preſſen, der Lorbeer und Oleander wechſeln ihr Laub nicht.
Epheu umrankt die Felswaͤnde, Roſen bluͤhen das ganze
Jahr hindurch und friſches Gruͤn bedeckt ſchon jetzt die
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/51>, abgerufen am 11.12.2024.
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