Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.RELIGION. benutzten die Priester, namentlich die Pontifices die Furchtvor den Göttern dazu um die sittlichen Verpflichtungen einzu- schärfen, besonders diejenigen, welche im Rechtsweg sich nicht ausreichend geltend machen liessen. So stand auf Abpflügen des Grenzrains, auf nächtlichen Diebstahl der Feldfrüchte auf dem Halm, auf das Vergreifen an der Person des Königs ausser der bürgerlichen Strafe noch der Bannfluch der betreffenden Gottheit. Aber auch in Fällen, wo die Gemeinde nicht ein- griff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verhei- ratheten Sohn verkaufte; wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater sei- nem Gast oder zugewandten Mann das Treuwort brach, mochte wer das geübt wohl vor dem bürgerlichen Rechte straffrei ausgehen, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte. Nicht als wäre ein also Verwünschter (sacer) und dem Gott Heimgefallener vogelfrei gewesen; eine solche aller bürgerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist in Rom nur ausnahmsweise während der politischen Kämpfe als Schärfung des Bannfluchs vorgekommen und folgt auch gar nicht aus jenem Fluch, dessen Ausführung nicht der bürgerlichen Ge- richtsbarkeit, geschweige denn dem einzelnen Bürger, auch nicht den machtlosen Priestern, sondern einzig den Göttern selber zusteht. Aber der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fusst, wird in älterer Zeit mächtig gewesen sein selbst über leichtsinnige und böse Naturen. Also war und wirkte die römische Religion, in ihrer RELIGION. benutzten die Priester, namentlich die Pontifices die Furchtvor den Göttern dazu um die sittlichen Verpflichtungen einzu- schärfen, besonders diejenigen, welche im Rechtsweg sich nicht ausreichend geltend machen lieſsen. So stand auf Abpflügen des Grenzrains, auf nächtlichen Diebstahl der Feldfrüchte auf dem Halm, auf das Vergreifen an der Person des Königs auſser der bürgerlichen Strafe noch der Bannfluch der betreffenden Gottheit. Aber auch in Fällen, wo die Gemeinde nicht ein- griff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verhei- ratheten Sohn verkaufte; wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater sei- nem Gast oder zugewandten Mann das Treuwort brach, mochte wer das geübt wohl vor dem bürgerlichen Rechte straffrei ausgehen, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte. Nicht als wäre ein also Verwünschter (sacer) und dem Gott Heimgefallener vogelfrei gewesen; eine solche aller bürgerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist in Rom nur ausnahmsweise während der politischen Kämpfe als Schärfung des Bannfluchs vorgekommen und folgt auch gar nicht aus jenem Fluch, dessen Ausführung nicht der bürgerlichen Ge- richtsbarkeit, geschweige denn dem einzelnen Bürger, auch nicht den machtlosen Priestern, sondern einzig den Göttern selber zusteht. Aber der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fuſst, wird in älterer Zeit mächtig gewesen sein selbst über leichtsinnige und böse Naturen. Also war und wirkte die römische Religion, in ihrer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0131" n="117"/><fw place="top" type="header">RELIGION.</fw><lb/> benutzten die Priester, namentlich die Pontifices die Furcht<lb/> vor den Göttern dazu um die sittlichen Verpflichtungen einzu-<lb/> schärfen, besonders diejenigen, welche im Rechtsweg sich nicht<lb/> ausreichend geltend machen lieſsen. So stand auf Abpflügen des<lb/> Grenzrains, auf nächtlichen Diebstahl der Feldfrüchte auf dem<lb/> Halm, auf das Vergreifen an der Person des Königs auſser<lb/> der bürgerlichen Strafe noch der Bannfluch der betreffenden<lb/> Gottheit. 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Ob der-<lb/> gleichen aus Etrurien entlehnt worden sind, ist zweifelhaft;<lb/> denn die Lasen, die ältere Bezeichnung der Genien (von<lb/><hi rendition="#i">lascivus</hi>) und die Minerva, die Göttin des Gedächtnisses (<hi rendition="#i">mens,<lb/> menervare</hi>), welche man wohl als ursprünglich etruskisch zu<lb/> bezeichnen pflegt, sind vielmehr in Latium heimisch. Sicher<lb/> ist es auf jeden Fall, und paſst auch wohl zu allem was wir<lb/> sonst wissen vom römischen Verkehr, daſs früher und ausge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0131]
RELIGION.
benutzten die Priester, namentlich die Pontifices die Furcht
vor den Göttern dazu um die sittlichen Verpflichtungen einzu-
schärfen, besonders diejenigen, welche im Rechtsweg sich nicht
ausreichend geltend machen lieſsen. So stand auf Abpflügen des
Grenzrains, auf nächtlichen Diebstahl der Feldfrüchte auf dem
Halm, auf das Vergreifen an der Person des Königs auſser
der bürgerlichen Strafe noch der Bannfluch der betreffenden
Gottheit. Aber auch in Fällen, wo die Gemeinde nicht ein-
griff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verhei-
ratheten Sohn verkaufte; wenn der Sohn oder die Schnur den
Vater oder Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater sei-
nem Gast oder zugewandten Mann das Treuwort brach, mochte
wer das geübt wohl vor dem bürgerlichen Rechte straffrei
ausgehen, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem
Haupte. Nicht als wäre ein also Verwünschter (sacer) und
dem Gott Heimgefallener vogelfrei gewesen; eine solche aller
bürgerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist in Rom nur
ausnahmsweise während der politischen Kämpfe als Schärfung
des Bannfluchs vorgekommen und folgt auch gar nicht aus
jenem Fluch, dessen Ausführung nicht der bürgerlichen Ge-
richtsbarkeit, geschweige denn dem einzelnen Bürger, auch
nicht den machtlosen Priestern, sondern einzig den Göttern
selber zusteht. Aber der fromme Volksglaube, auf dem dieser
Bannfluch fuſst, wird in älterer Zeit mächtig gewesen sein
selbst über leichtsinnige und böse Naturen.
Also war und wirkte die römische Religion, in ihrer
reinen und ungehemmten durchaus volksthümlichen Entwick-
lung. Es thut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag,
daſs seit ältester Zeit Weisen und Wesen der Gottesverehrung
vom Auslande her herübergenommen wurden; so wenig als
die Schenkung des Bürgerrechts an einzelne Fremde den rö-
mischen Staat denationalisirt hat. Daſs man von Alters her
mit den Latinern die Götter tauschte wie die Waaren, ver-
steht sich; bemerkenswerther ist die Uebersiedlung von nicht
stammverwandten Göttern und Gottesverehrungen. Ob der-
gleichen aus Etrurien entlehnt worden sind, ist zweifelhaft;
denn die Lasen, die ältere Bezeichnung der Genien (von
lascivus) und die Minerva, die Göttin des Gedächtnisses (mens,
menervare), welche man wohl als ursprünglich etruskisch zu
bezeichnen pflegt, sind vielmehr in Latium heimisch. Sicher
ist es auf jeden Fall, und paſst auch wohl zu allem was wir
sonst wissen vom römischen Verkehr, daſs früher und ausge-
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