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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XIV.

Diese ursprüngliche Messweise wurde verändert durch
eine merkwürdige Reform, die in dem Zeit- wie in dem Raum-
mass das Duodecimalsystem feststellend offenbar national ita-
lisch und vor der hellenischen Einwirkung durchgeführt ist.
Ausgegangen ist diese Reform von der Zeit, indem man beo-
bachtet hatte, dass ungefähr nach zwölf Mondmonaten oder
ungefähr 355 Tagen die Jahreszeiten ihren Kreislauf vollendet
hatten. So gewann man ein wenn auch unvollkommenes Son-
nenjahr, in dem die Monate nun auch individuell bezeichnet
werden konnten -- so in Rom der erste als der des Mars,
die drei folgenden als die des Sprossens, Reifens und Ge-
deihens, die sechs nächsten mit ihren Zahlen, endlich die
zwei letzten als die Monate der Oeffnung und der Reinigung.
Dass nur ein einziger Monat nach dem Namen eines Gottes
benannt ist und zwar nach dem sabinischen Gott der Titier,
legt die Frage nahe, ob diese Einrichtung etwa sabinischen
Ursprungs sein sollte. Diese Namen hatten indess nur locale
Geltung; fast jede Gemeinde in Latium hatte ihre eigenen
Monatsnamen und öfters auch abweichende Fristen, wie zum
Beispiel in dem uralten Kalender von Alba Monate von 36
und von 16 Tagen vorkommen, wo also nicht die Neumonde,
sondern Feste oder andere Termine die Grenze der Monate
bezeichneten. Die Mängel dieses Sonnenjahrs glich man eini-
germassen aus theils durch Einschaltung eines ,Arbeitmonats'
(mercedonius), nach dem Princip dass 20 Sonnenjahre einer
bestimmten Zahl (wahrscheinlich 247) Mondmonaten entspre-
chen müssten, theils durch die Beibehaltung der auf sichere
Beobachtung sich gründenden Rechnung nach Mondumläufen
für alle Fälle, wo es auf genaue Zeitbestimmung ankam. Um
endlich auch eine Jahreszählung zu gewinnen, ward an einem
bestimmten Monatstag in einem öffentlichen Gebäude -- in
Rom an den Iden des September im Tempel des capitolini-
schen Jupiter -- ein Nagel eingeschlagen. -- Im Anschluss
hieran ward nun auch für das Flächenmass eine aus dem
Decimal- und Duodecimalsystem zusammengesetzte Einheit von
120 Fuss ins Geviert (actus) festgestellt und ebenso im Li-
nienmass der ,Fuss', im Gewichtsystem das ,Gewicht' oder das
,Kupfer' (libra, as) in zwölf Zwölftel (unciae) und dieses
Zwölftel wieder in zweimal zwölf Stückchen (scripula) einge-
theilt; im Körpermass mögen ähnliche Festsetzungen verschol-
len sein. Dies in den Namen wie in den Verhältnissen ab-
solut ungriechische System finden wir in Latium wie in Etru-

ERSTES BUCH. KAPITEL XIV.

Diese ursprüngliche Meſsweise wurde verändert durch
eine merkwürdige Reform, die in dem Zeit- wie in dem Raum-
maſs das Duodecimalsystem feststellend offenbar national ita-
lisch und vor der hellenischen Einwirkung durchgeführt ist.
Ausgegangen ist diese Reform von der Zeit, indem man beo-
bachtet hatte, daſs ungefähr nach zwölf Mondmonaten oder
ungefähr 355 Tagen die Jahreszeiten ihren Kreislauf vollendet
hatten. So gewann man ein wenn auch unvollkommenes Son-
nenjahr, in dem die Monate nun auch individuell bezeichnet
werden konnten — so in Rom der erste als der des Mars,
die drei folgenden als die des Sprossens, Reifens und Ge-
deihens, die sechs nächsten mit ihren Zahlen, endlich die
zwei letzten als die Monate der Oeffnung und der Reinigung.
Daſs nur ein einziger Monat nach dem Namen eines Gottes
benannt ist und zwar nach dem sabinischen Gott der Titier,
legt die Frage nahe, ob diese Einrichtung etwa sabinischen
Ursprungs sein sollte. Diese Namen hatten indeſs nur locale
Geltung; fast jede Gemeinde in Latium hatte ihre eigenen
Monatsnamen und öfters auch abweichende Fristen, wie zum
Beispiel in dem uralten Kalender von Alba Monate von 36
und von 16 Tagen vorkommen, wo also nicht die Neumonde,
sondern Feste oder andere Termine die Grenze der Monate
bezeichneten. Die Mängel dieses Sonnenjahrs glich man eini-
germaſsen aus theils durch Einschaltung eines ‚Arbeitmonats‘
(mercedonius), nach dem Princip daſs 20 Sonnenjahre einer
bestimmten Zahl (wahrscheinlich 247) Mondmonaten entspre-
chen müſsten, theils durch die Beibehaltung der auf sichere
Beobachtung sich gründenden Rechnung nach Mondumläufen
für alle Fälle, wo es auf genaue Zeitbestimmung ankam. Um
endlich auch eine Jahreszählung zu gewinnen, ward an einem
bestimmten Monatstag in einem öffentlichen Gebäude — in
Rom an den Iden des September im Tempel des capitolini-
schen Jupiter — ein Nagel eingeschlagen. — Im Anschluſs
hieran ward nun auch für das Flächenmaſs eine aus dem
Decimal- und Duodecimalsystem zusammengesetzte Einheit von
120 Fuſs ins Geviert (actus) festgestellt und ebenso im Li-
nienmaſs der ‚Fuſs‘, im Gewichtsystem das ‚Gewicht‘ oder das
‚Kupfer‘ (libra, as) in zwölf Zwölftel (unciae) und dieses
Zwölftel wieder in zweimal zwölf Stückchen (scripula) einge-
theilt; im Körpermaſs mögen ähnliche Festsetzungen verschol-
len sein. Dies in den Namen wie in den Verhältnissen ab-
solut ungriechische System finden wir in Latium wie in Etru-

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[138/0152] ERSTES BUCH. KAPITEL XIV. Diese ursprüngliche Meſsweise wurde verändert durch eine merkwürdige Reform, die in dem Zeit- wie in dem Raum- maſs das Duodecimalsystem feststellend offenbar national ita- lisch und vor der hellenischen Einwirkung durchgeführt ist. Ausgegangen ist diese Reform von der Zeit, indem man beo- bachtet hatte, daſs ungefähr nach zwölf Mondmonaten oder ungefähr 355 Tagen die Jahreszeiten ihren Kreislauf vollendet hatten. So gewann man ein wenn auch unvollkommenes Son- nenjahr, in dem die Monate nun auch individuell bezeichnet werden konnten — so in Rom der erste als der des Mars, die drei folgenden als die des Sprossens, Reifens und Ge- deihens, die sechs nächsten mit ihren Zahlen, endlich die zwei letzten als die Monate der Oeffnung und der Reinigung. Daſs nur ein einziger Monat nach dem Namen eines Gottes benannt ist und zwar nach dem sabinischen Gott der Titier, legt die Frage nahe, ob diese Einrichtung etwa sabinischen Ursprungs sein sollte. Diese Namen hatten indeſs nur locale Geltung; fast jede Gemeinde in Latium hatte ihre eigenen Monatsnamen und öfters auch abweichende Fristen, wie zum Beispiel in dem uralten Kalender von Alba Monate von 36 und von 16 Tagen vorkommen, wo also nicht die Neumonde, sondern Feste oder andere Termine die Grenze der Monate bezeichneten. Die Mängel dieses Sonnenjahrs glich man eini- germaſsen aus theils durch Einschaltung eines ‚Arbeitmonats‘ (mercedonius), nach dem Princip daſs 20 Sonnenjahre einer bestimmten Zahl (wahrscheinlich 247) Mondmonaten entspre- chen müſsten, theils durch die Beibehaltung der auf sichere Beobachtung sich gründenden Rechnung nach Mondumläufen für alle Fälle, wo es auf genaue Zeitbestimmung ankam. Um endlich auch eine Jahreszählung zu gewinnen, ward an einem bestimmten Monatstag in einem öffentlichen Gebäude — in Rom an den Iden des September im Tempel des capitolini- schen Jupiter — ein Nagel eingeschlagen. — Im Anschluſs hieran ward nun auch für das Flächenmaſs eine aus dem Decimal- und Duodecimalsystem zusammengesetzte Einheit von 120 Fuſs ins Geviert (actus) festgestellt und ebenso im Li- nienmaſs der ‚Fuſs‘, im Gewichtsystem das ‚Gewicht‘ oder das ‚Kupfer‘ (libra, as) in zwölf Zwölftel (unciae) und dieses Zwölftel wieder in zweimal zwölf Stückchen (scripula) einge- theilt; im Körpermaſs mögen ähnliche Festsetzungen verschol- len sein. Dies in den Namen wie in den Verhältnissen ab- solut ungriechische System finden wir in Latium wie in Etru-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/152>, abgerufen am 21.11.2024.