rien, wo zum Beispiel die Zwölfzahl in den Zwölfstädtebünden und die Rechnung nach Idus und Nonen wie die Sitte der Jahresnägel ebenso vorkommen wie in Rom; wie denn überall Rechnung und Messung leicht die Volksgrenzen überschreiten. Dass es auf einmal und durch bewusste Schöpfung entstanden ist, zeigt die innere Geschlossenheit des Systems; Ort und Zeit sind nicht mehr zu ermitteln, obwohl mehr auf latinischen Ursprung deutet als auf etruskischen und für das Entstehen dieser Einrichtung vor der Erfindung der Schreibekunst die Sitte der Jahresnägel spricht. Dass der Anfang der etruski- schen Volksaera, wie es scheint, ins Jahr 1044 vor Christi gesetzt wird, verdient Beachtung, obwohl man hier wie bei allen Weltaeren beim Anfang der wirklichen Rechnung eine durch Speculation gewonnene Anzahl Jahre als verflossen angesetzt haben wird, so dass diese Zahl nicht berechtigt den Anfang der etruskischen Cultur so hoch hinaufzurücken.
Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westküste eröffnet hatte, war dies nicht ohne Einfluss auf das dort übliche Masssystem. Zwar die Zeitmes- sung wie das Flächenmass blieben unberührt von dem grie- chischen System; allein das Längenmass, das Gewicht und vor allem das Körpermass, das heisst diejenigen Bestimmun- gen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, empfan- den den griechischen Einfluss. Der römische Fuss, der später freilich um ein Geringes kleiner war als der griechische, aber damals entweder wirklich noch gleich war oder doch gleich geachtet ward, wurde neben seiner römischen Eintheilung in zwölf Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- und sechzehn Fingerbreiten getheilt; ferner wurde das römische Gewicht in ein festes Verhältniss zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sicilien herrschte, nicht aber in Kyme -- ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr zwei römische Pfund gleich drei halben Minen (Kupferlitren) gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermasse theils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbniss (amphora, modius nach medimnos, congius aus khoeus, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von oxubaphon) entstanden sind, während umgekehrt xestes Corruption von sextarius ist; theils in den Verhältnissen. Die gewöhnlichsten Masse sind identisch, für Flüssigkeiten der
MASS UND SCHRIFT.
rien, wo zum Beispiel die Zwölfzahl in den Zwölfstädtebünden und die Rechnung nach Idus und Nonen wie die Sitte der Jahresnägel ebenso vorkommen wie in Rom; wie denn überall Rechnung und Messung leicht die Volksgrenzen überschreiten. Daſs es auf einmal und durch bewuſste Schöpfung entstanden ist, zeigt die innere Geschlossenheit des Systems; Ort und Zeit sind nicht mehr zu ermitteln, obwohl mehr auf latinischen Ursprung deutet als auf etruskischen und für das Entstehen dieser Einrichtung vor der Erfindung der Schreibekunst die Sitte der Jahresnägel spricht. Daſs der Anfang der etruski- schen Volksaera, wie es scheint, ins Jahr 1044 vor Christi gesetzt wird, verdient Beachtung, obwohl man hier wie bei allen Weltaeren beim Anfang der wirklichen Rechnung eine durch Speculation gewonnene Anzahl Jahre als verflossen angesetzt haben wird, so daſs diese Zahl nicht berechtigt den Anfang der etruskischen Cultur so hoch hinaufzurücken.
Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westküste eröffnet hatte, war dies nicht ohne Einfluſs auf das dort übliche Maſssystem. Zwar die Zeitmes- sung wie das Flächenmaſs blieben unberührt von dem grie- chischen System; allein das Längenmaſs, das Gewicht und vor allem das Körpermaſs, das heiſst diejenigen Bestimmun- gen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, empfan- den den griechischen Einfluſs. Der römische Fuſs, der später freilich um ein Geringes kleiner war als der griechische, aber damals entweder wirklich noch gleich war oder doch gleich geachtet ward, wurde neben seiner römischen Eintheilung in zwölf Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- und sechzehn Fingerbreiten getheilt; ferner wurde das römische Gewicht in ein festes Verhältniſs zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sicilien herrschte, nicht aber in Kyme — ein bedeutsamer Beweis, daſs der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr zwei römische Pfund gleich drei halben Minen (Kupferlitren) gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermaſse theils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbniſs (amphora, modius nach μέδιμνος, congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von ὀξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης Corruption von sextarius ist; theils in den Verhältnissen. Die gewöhnlichsten Maſse sind identisch, für Flüssigkeiten der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="139"/><fwplace="top"type="header">MASS UND SCHRIFT.</fw><lb/>
rien, wo zum Beispiel die Zwölfzahl in den Zwölfstädtebünden<lb/>
und die Rechnung nach Idus und Nonen wie die Sitte der<lb/>
Jahresnägel ebenso vorkommen wie in Rom; wie denn überall<lb/>
Rechnung und Messung leicht die Volksgrenzen überschreiten.<lb/>
Daſs es auf einmal und durch bewuſste Schöpfung entstanden<lb/>
ist, zeigt die innere Geschlossenheit des Systems; Ort und<lb/>
Zeit sind nicht mehr zu ermitteln, obwohl mehr auf latinischen<lb/>
Ursprung deutet als auf etruskischen und für das Entstehen<lb/>
dieser Einrichtung vor der Erfindung der Schreibekunst die<lb/>
Sitte der Jahresnägel spricht. Daſs der Anfang der etruski-<lb/>
schen Volksaera, wie es scheint, ins Jahr 1044 vor Christi<lb/>
gesetzt wird, verdient Beachtung, obwohl man hier wie bei allen<lb/>
Weltaeren beim Anfang der wirklichen Rechnung eine durch<lb/>
Speculation gewonnene Anzahl Jahre als verflossen angesetzt<lb/>
haben wird, so daſs diese Zahl nicht berechtigt den Anfang<lb/>
der etruskischen Cultur so hoch hinaufzurücken.</p><lb/><p>Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg<lb/>
an die italische Westküste eröffnet hatte, war dies nicht ohne<lb/>
Einfluſs auf das dort übliche Maſssystem. Zwar die Zeitmes-<lb/>
sung wie das Flächenmaſs blieben unberührt von dem grie-<lb/>
chischen System; allein das Längenmaſs, das Gewicht und<lb/>
vor allem das Körpermaſs, das heiſst diejenigen Bestimmun-<lb/>
gen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, empfan-<lb/>
den den griechischen Einfluſs. Der römische Fuſs, der später<lb/>
freilich um ein Geringes kleiner war als der griechische, aber<lb/>
damals entweder wirklich noch gleich war oder doch gleich<lb/>
geachtet ward, wurde neben seiner römischen Eintheilung in<lb/>
zwölf Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- und<lb/>
sechzehn Fingerbreiten getheilt; ferner wurde das römische<lb/>
Gewicht in ein festes Verhältniſs zu dem attischen gesetzt,<lb/>
welches in ganz Sicilien herrschte, nicht aber in Kyme — ein<lb/>
bedeutsamer Beweis, daſs der latinische Verkehr vorzugsweise<lb/>
nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich<lb/>
drei attischen Minen oder vielmehr zwei römische Pfund gleich<lb/>
drei halben Minen (Kupferlitren) gesetzt. Das seltsamste und<lb/>
buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermaſse<lb/>
theils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch<lb/>
Verderbniſs (<hirendition="#i">amphora, modius</hi> nach μέδιμνος, <hirendition="#i">congius</hi> aus<lb/>χοεύς, <hirendition="#i">hemina, cyathus</hi>) oder durch Uebersetzung (<hirendition="#i">acetabulum</hi><lb/>
von ὀξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης<lb/>
Corruption von <hirendition="#i">sextarius</hi> ist; theils in den Verhältnissen.<lb/>
Die gewöhnlichsten Maſse sind identisch, für Flüssigkeiten der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[139/0153]
MASS UND SCHRIFT.
rien, wo zum Beispiel die Zwölfzahl in den Zwölfstädtebünden
und die Rechnung nach Idus und Nonen wie die Sitte der
Jahresnägel ebenso vorkommen wie in Rom; wie denn überall
Rechnung und Messung leicht die Volksgrenzen überschreiten.
Daſs es auf einmal und durch bewuſste Schöpfung entstanden
ist, zeigt die innere Geschlossenheit des Systems; Ort und
Zeit sind nicht mehr zu ermitteln, obwohl mehr auf latinischen
Ursprung deutet als auf etruskischen und für das Entstehen
dieser Einrichtung vor der Erfindung der Schreibekunst die
Sitte der Jahresnägel spricht. Daſs der Anfang der etruski-
schen Volksaera, wie es scheint, ins Jahr 1044 vor Christi
gesetzt wird, verdient Beachtung, obwohl man hier wie bei allen
Weltaeren beim Anfang der wirklichen Rechnung eine durch
Speculation gewonnene Anzahl Jahre als verflossen angesetzt
haben wird, so daſs diese Zahl nicht berechtigt den Anfang
der etruskischen Cultur so hoch hinaufzurücken.
Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg
an die italische Westküste eröffnet hatte, war dies nicht ohne
Einfluſs auf das dort übliche Maſssystem. Zwar die Zeitmes-
sung wie das Flächenmaſs blieben unberührt von dem grie-
chischen System; allein das Längenmaſs, das Gewicht und
vor allem das Körpermaſs, das heiſst diejenigen Bestimmun-
gen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, empfan-
den den griechischen Einfluſs. Der römische Fuſs, der später
freilich um ein Geringes kleiner war als der griechische, aber
damals entweder wirklich noch gleich war oder doch gleich
geachtet ward, wurde neben seiner römischen Eintheilung in
zwölf Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- und
sechzehn Fingerbreiten getheilt; ferner wurde das römische
Gewicht in ein festes Verhältniſs zu dem attischen gesetzt,
welches in ganz Sicilien herrschte, nicht aber in Kyme — ein
bedeutsamer Beweis, daſs der latinische Verkehr vorzugsweise
nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich
drei attischen Minen oder vielmehr zwei römische Pfund gleich
drei halben Minen (Kupferlitren) gesetzt. Das seltsamste und
buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermaſse
theils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch
Verderbniſs (amphora, modius nach μέδιμνος, congius aus
χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum
von ὀξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης
Corruption von sextarius ist; theils in den Verhältnissen.
Die gewöhnlichsten Maſse sind identisch, für Flüssigkeiten der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/153>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.