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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XV.
Latium, Umbrien und der Sabina finden, sind zwar zum
grossen Theil wahrscheinlich erst in viel späterer Zeit, einige
sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt errichtet; allein
die Aehnlichkeit namentlich des künstlichen polygonen Baus
mit griechischem Mauerbau kann schwerlich für zufällig ge-
halten werden, während die einfacheren und minder soliden
beiden andern Arten sich eher als selbstständig betrachten
lassen. In der That ist es in Etrurien wieder Pyrgi, das
nebst den zwei nicht sehr weit entlegenen Orten Cosa und
Satunia allein polygone Mauern hat, deren erste Anlage zumal
bei dem bedeutsamen Namen wohl ebenso sicher den Griechen
zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth.
Caere selbst und die Masse der übrigen etruskischen Städte
sind nicht im polygonen Stil ummauert. Dagegen beherrscht
derselbe Latium und das dahinter liegende Binnenland. Dass
solche Bauten hier vorkommen, dagegen an der Ostküste, die
den Griechen ferner lag, und im Süden, der ihnen im Ganzen
unterworfen war, sie sich nicht oder doch wenigstens nicht
häufig finden, zeigt eben wieder recht deutlich, dass die An-
regung zu diesen Bauwerken nicht von den in Italien ange-
siedelten, sondern von den an der Westküste mit den freien
Italikern verkehrenden Griechen kam, aber auch, dass diese An-
regung weit intensiver auf Latium wirkte als auf Etrurien. --
Ob die lebendige Aneignung dieser dem energischen und rea-
listischen italischen Wesen so congenialen Architektur so weit
ging, dass der Bogen in Italien erfunden und von da den
Hellenen mitgetheilt ward, lässt sich nicht mehr entscheiden;
denn auch zugegeben, dass die grossen hydraulischen Anlagen
der Römer, die Hauptkloake und das Brunnenhaus (tullianum)
am Capitol wirklich die ältesten aller noch erhaltenen Bogen
sind, so können wir, denen so zahlreiche Aktenstücke fehlen,
unmöglich auf die vorhandenen Trümmer hin den Griechen
den Besitz des Bogens in älterer Zeit absprechen, und noch
weniger lässt sich entscheiden, ob man früher in Latium oder
in Etrurien Bogen gebaut hat.

Auch der Tempel, der in der Kaiserzeit der tuscanische
heisst, wie der des capitolinischen Iupiter in Rom, ist im
Wesentlichen der griechische, das heisst ein viereckiger oder
runder ganz oder zum Theil von Säulengängen eingefasster
ummauerter und gedeckter Raum, ursprünglich ein Holz-,
kein Steinbau; nur dass die Elemente, die zum Beispiel in
dem dorischen Kapitäl und der ionischen Basis getrennt vor-

ERSTES BUCH. KAPITEL XV.
Latium, Umbrien und der Sabina finden, sind zwar zum
groſsen Theil wahrscheinlich erst in viel späterer Zeit, einige
sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt errichtet; allein
die Aehnlichkeit namentlich des künstlichen polygonen Baus
mit griechischem Mauerbau kann schwerlich für zufällig ge-
halten werden, während die einfacheren und minder soliden
beiden andern Arten sich eher als selbstständig betrachten
lassen. In der That ist es in Etrurien wieder Pyrgi, das
nebst den zwei nicht sehr weit entlegenen Orten Cosa und
Satunia allein polygone Mauern hat, deren erste Anlage zumal
bei dem bedeutsamen Namen wohl ebenso sicher den Griechen
zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth.
Caere selbst und die Masse der übrigen etruskischen Städte
sind nicht im polygonen Stil ummauert. Dagegen beherrscht
derselbe Latium und das dahinter liegende Binnenland. Daſs
solche Bauten hier vorkommen, dagegen an der Ostküste, die
den Griechen ferner lag, und im Süden, der ihnen im Ganzen
unterworfen war, sie sich nicht oder doch wenigstens nicht
häufig finden, zeigt eben wieder recht deutlich, daſs die An-
regung zu diesen Bauwerken nicht von den in Italien ange-
siedelten, sondern von den an der Westküste mit den freien
Italikern verkehrenden Griechen kam, aber auch, daſs diese An-
regung weit intensiver auf Latium wirkte als auf Etrurien. —
Ob die lebendige Aneignung dieser dem energischen und rea-
listischen italischen Wesen so congenialen Architektur so weit
ging, daſs der Bogen in Italien erfunden und von da den
Hellenen mitgetheilt ward, läſst sich nicht mehr entscheiden;
denn auch zugegeben, daſs die groſsen hydraulischen Anlagen
der Römer, die Hauptkloake und das Brunnenhaus (tullianum)
am Capitol wirklich die ältesten aller noch erhaltenen Bogen
sind, so können wir, denen so zahlreiche Aktenstücke fehlen,
unmöglich auf die vorhandenen Trümmer hin den Griechen
den Besitz des Bogens in älterer Zeit absprechen, und noch
weniger läſst sich entscheiden, ob man früher in Latium oder
in Etrurien Bogen gebaut hat.

Auch der Tempel, der in der Kaiserzeit der tuscanische
heiſst, wie der des capitolinischen Iupiter in Rom, ist im
Wesentlichen der griechische, das heiſst ein viereckiger oder
runder ganz oder zum Theil von Säulengängen eingefaſster
ummauerter und gedeckter Raum, ursprünglich ein Holz-,
kein Steinbau; nur daſs die Elemente, die zum Beispiel in
dem dorischen Kapitäl und der ionischen Basis getrennt vor-

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[150/0164] ERSTES BUCH. KAPITEL XV. Latium, Umbrien und der Sabina finden, sind zwar zum groſsen Theil wahrscheinlich erst in viel späterer Zeit, einige sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt errichtet; allein die Aehnlichkeit namentlich des künstlichen polygonen Baus mit griechischem Mauerbau kann schwerlich für zufällig ge- halten werden, während die einfacheren und minder soliden beiden andern Arten sich eher als selbstständig betrachten lassen. In der That ist es in Etrurien wieder Pyrgi, das nebst den zwei nicht sehr weit entlegenen Orten Cosa und Satunia allein polygone Mauern hat, deren erste Anlage zumal bei dem bedeutsamen Namen wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth. Caere selbst und die Masse der übrigen etruskischen Städte sind nicht im polygonen Stil ummauert. Dagegen beherrscht derselbe Latium und das dahinter liegende Binnenland. Daſs solche Bauten hier vorkommen, dagegen an der Ostküste, die den Griechen ferner lag, und im Süden, der ihnen im Ganzen unterworfen war, sie sich nicht oder doch wenigstens nicht häufig finden, zeigt eben wieder recht deutlich, daſs die An- regung zu diesen Bauwerken nicht von den in Italien ange- siedelten, sondern von den an der Westküste mit den freien Italikern verkehrenden Griechen kam, aber auch, daſs diese An- regung weit intensiver auf Latium wirkte als auf Etrurien. — Ob die lebendige Aneignung dieser dem energischen und rea- listischen italischen Wesen so congenialen Architektur so weit ging, daſs der Bogen in Italien erfunden und von da den Hellenen mitgetheilt ward, läſst sich nicht mehr entscheiden; denn auch zugegeben, daſs die groſsen hydraulischen Anlagen der Römer, die Hauptkloake und das Brunnenhaus (tullianum) am Capitol wirklich die ältesten aller noch erhaltenen Bogen sind, so können wir, denen so zahlreiche Aktenstücke fehlen, unmöglich auf die vorhandenen Trümmer hin den Griechen den Besitz des Bogens in älterer Zeit absprechen, und noch weniger läſst sich entscheiden, ob man früher in Latium oder in Etrurien Bogen gebaut hat. Auch der Tempel, der in der Kaiserzeit der tuscanische heiſst, wie der des capitolinischen Iupiter in Rom, ist im Wesentlichen der griechische, das heiſst ein viereckiger oder runder ganz oder zum Theil von Säulengängen eingefaſster ummauerter und gedeckter Raum, ursprünglich ein Holz-, kein Steinbau; nur daſs die Elemente, die zum Beispiel in dem dorischen Kapitäl und der ionischen Basis getrennt vor-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/164>, abgerufen am 24.11.2024.