Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DIE KUNST. kommen, hier noch vereinigt erscheinen; die Stile hattensich also noch nicht bestimmt geschieden, als diese Ueber- lieferung stattfand. Das Originelle dabei, namentlich das spitze weit vorspringende Dach, mochte man dem italischen strohgedeckten Hause entnehmen, dessen Form, wie albanische Aschenkisten sie zeigen, dazu recht wohl stimmt; immer vor- ausgesetzt, was sich schwer wird erweisen lassen, dass nicht in jener Zeit auch das griechische Wohn- und Gotteshaus noch ein spitzes Dach hatte. -- Unter den bildenden Künsten ist die Plastik in Stein durch den Mangel eines geeigneten Materials sehr zurückgehalten worden; den Marmor von Luna und Carrara kannte man noch nicht. Dagegen die Metall- und Thonarbeiten sind in Etrurien, theils in Folge der Thonlager und Silber- und Kupfergruben des Landes, theils durch den dort hinströmenden Reichthum früh angeregt worden und haben eine grosse Entwicklung erlangt. Dass die tyrrheni- schen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden, begreift, wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruski- schen Gräber gesehen hat; woneben freilich die rohe Arbeit der Münzen von Populonia auffällt. In noch viel grösserem Massstab entwickelte sich unter den günstigen Localverhält- nissen der Kupferguss; selbst an die Verfertigung grosser Erz- figuren, von Kolossalstatuen bis zu funfzig Fuss Höhe wagte sich der etruskische Künstler, und die capitolinische Wölfin so wie einzelne Geräthstücke, Helme und Leuchter aus etru- skischen Gräbern gehören zu den schönsten Werken des alten strengen Kunststils. Die Thonarbeit endlich, die besonders in Veii geblüht zu haben scheint, schuf nicht bloss grössere Thon- figuren und Statuen, sondern entwickelte auch eine eigen- thümliche Ornamentik, welche Dächer, Giebel und Wände mit Aufsätzen und Reliefplatten von gebrannter Erde schmückte. Die Steinschneidekunst scheint nicht zu den ältesten Kunstzweigen Italiens zu gehören; sie schliesst sich in Etrurien, wo sie allein früher aufgekommen ist, an die ursprünglich ägyptische Skara- baeenform an. -- Ebenbürtig neben der bildenden, wenn nicht ihr überlegen erscheint endlich die zeichnende Kunst, sowohl die Linienzeichnung, welche in Latium besonders die kupfernen Putzkästchen, in Etrurien vornämlich die Rückseiten der kupfer- nen Handspiegel durch ihre zierlichen Umrisse schmückte, als die monochromatische Malerei, deren Meisterwerke selbst in der Kaiserzeit in Caere, Rom, Lavinium, Ardea bewundert wurden und deren handwerkmässige Leistungen die ausge- DIE KUNST. kommen, hier noch vereinigt erscheinen; die Stile hattensich also noch nicht bestimmt geschieden, als diese Ueber- lieferung stattfand. Das Originelle dabei, namentlich das spitze weit vorspringende Dach, mochte man dem italischen strohgedeckten Hause entnehmen, dessen Form, wie albanische Aschenkisten sie zeigen, dazu recht wohl stimmt; immer vor- ausgesetzt, was sich schwer wird erweisen lassen, daſs nicht in jener Zeit auch das griechische Wohn- und Gotteshaus noch ein spitzes Dach hatte. — Unter den bildenden Künsten ist die Plastik in Stein durch den Mangel eines geeigneten Materials sehr zurückgehalten worden; den Marmor von Luna und Carrara kannte man noch nicht. Dagegen die Metall- und Thonarbeiten sind in Etrurien, theils in Folge der Thonlager und Silber- und Kupfergruben des Landes, theils durch den dort hinströmenden Reichthum früh angeregt worden und haben eine groſse Entwicklung erlangt. Daſs die tyrrheni- schen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden, begreift, wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruski- schen Gräber gesehen hat; woneben freilich die rohe Arbeit der Münzen von Populonia auffällt. In noch viel gröſserem Maſsstab entwickelte sich unter den günstigen Localverhält- nissen der Kupferguſs; selbst an die Verfertigung groſser Erz- figuren, von Kolossalstatuen bis zu funfzig Fuſs Höhe wagte sich der etruskische Künstler, und die capitolinische Wölfin so wie einzelne Geräthstücke, Helme und Leuchter aus etru- skischen Gräbern gehören zu den schönsten Werken des alten strengen Kunststils. Die Thonarbeit endlich, die besonders in Veii geblüht zu haben scheint, schuf nicht bloſs gröſsere Thon- figuren und Statuen, sondern entwickelte auch eine eigen- thümliche Ornamentik, welche Dächer, Giebel und Wände mit Aufsätzen und Reliefplatten von gebrannter Erde schmückte. Die Steinschneidekunst scheint nicht zu den ältesten Kunstzweigen Italiens zu gehören; sie schlieſst sich in Etrurien, wo sie allein früher aufgekommen ist, an die ursprünglich ägyptische Skara- baeenform an. — Ebenbürtig neben der bildenden, wenn nicht ihr überlegen erscheint endlich die zeichnende Kunst, sowohl die Linienzeichnung, welche in Latium besonders die kupfernen Putzkästchen, in Etrurien vornämlich die Rückseiten der kupfer- nen Handspiegel durch ihre zierlichen Umrisse schmückte, als die monochromatische Malerei, deren Meisterwerke selbst in der Kaiserzeit in Caere, Rom, Lavinium, Ardea bewundert wurden und deren handwerkmäſsige Leistungen die ausge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0165" n="151"/><fw place="top" type="header">DIE KUNST.</fw><lb/> kommen, hier noch vereinigt erscheinen; die Stile hatten<lb/> sich also noch nicht bestimmt geschieden, als diese Ueber-<lb/> lieferung stattfand. 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DIE KUNST.
kommen, hier noch vereinigt erscheinen; die Stile hatten
sich also noch nicht bestimmt geschieden, als diese Ueber-
lieferung stattfand. Das Originelle dabei, namentlich das
spitze weit vorspringende Dach, mochte man dem italischen
strohgedeckten Hause entnehmen, dessen Form, wie albanische
Aschenkisten sie zeigen, dazu recht wohl stimmt; immer vor-
ausgesetzt, was sich schwer wird erweisen lassen, daſs nicht
in jener Zeit auch das griechische Wohn- und Gotteshaus
noch ein spitzes Dach hatte. — Unter den bildenden Künsten
ist die Plastik in Stein durch den Mangel eines geeigneten
Materials sehr zurückgehalten worden; den Marmor von Luna
und Carrara kannte man noch nicht. Dagegen die Metall- und
Thonarbeiten sind in Etrurien, theils in Folge der Thonlager
und Silber- und Kupfergruben des Landes, theils durch den
dort hinströmenden Reichthum früh angeregt worden und
haben eine groſse Entwicklung erlangt. Daſs die tyrrheni-
schen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden, begreift,
wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruski-
schen Gräber gesehen hat; woneben freilich die rohe Arbeit
der Münzen von Populonia auffällt. In noch viel gröſserem
Maſsstab entwickelte sich unter den günstigen Localverhält-
nissen der Kupferguſs; selbst an die Verfertigung groſser Erz-
figuren, von Kolossalstatuen bis zu funfzig Fuſs Höhe wagte
sich der etruskische Künstler, und die capitolinische Wölfin
so wie einzelne Geräthstücke, Helme und Leuchter aus etru-
skischen Gräbern gehören zu den schönsten Werken des alten
strengen Kunststils. Die Thonarbeit endlich, die besonders in
Veii geblüht zu haben scheint, schuf nicht bloſs gröſsere Thon-
figuren und Statuen, sondern entwickelte auch eine eigen-
thümliche Ornamentik, welche Dächer, Giebel und Wände mit
Aufsätzen und Reliefplatten von gebrannter Erde schmückte. Die
Steinschneidekunst scheint nicht zu den ältesten Kunstzweigen
Italiens zu gehören; sie schlieſst sich in Etrurien, wo sie allein
früher aufgekommen ist, an die ursprünglich ägyptische Skara-
baeenform an. — Ebenbürtig neben der bildenden, wenn nicht
ihr überlegen erscheint endlich die zeichnende Kunst, sowohl
die Linienzeichnung, welche in Latium besonders die kupfernen
Putzkästchen, in Etrurien vornämlich die Rückseiten der kupfer-
nen Handspiegel durch ihre zierlichen Umrisse schmückte, als
die monochromatische Malerei, deren Meisterwerke selbst in
der Kaiserzeit in Caere, Rom, Lavinium, Ardea bewundert
wurden und deren handwerkmäſsige Leistungen die ausge-
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