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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
und gestattet haben, versteht sich; aber ebenso deutlich ist
es, dass der Senat, seit er die finanzielle Verwaltung an sich
gerissen hatte, es nicht unter seiner Würde hielt die Gemein-
weide zunächst für sich, das heisst für die Adlichen und für
die reichen in den Senat aufgenommenen Plebejer in An-
spruch zu nehmen und den kleinen Ackerbesitzer, der eben
die Weide am nöthigsten brauchte, in dem Mitgenuss zu beein-
trächtigen. Es war ferner bisher ein Hutgeld erlegt worden,
das in den gemeinen Seckel fiel; die patricischen Quästoren
erhoben dasselbe säumig und nachsichtig und liessen allmäh-
lig es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn
durch Eroberung neue Domänen gewonnen worden, regel-
mässige Landauslegungen angeordnet, bei der alle ärmeren Bür-
ger und Insassen berücksichtigt wurden. Diese Assignationen
wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger
sie zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden
seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche
Occupationssystem, das heisst die Ueberlassung der Domänen-
güter nicht zum Eigenthum oder zur Pacht, sondern zu un-
entgeltlicher jederzeit widerruflicher Sondernutzung an privi-
legirte Personen. So traf den mittleren und kleinen Grund-
besitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Bürgernutzungen
gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch dass das
Hutgeld nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse floss;
und die Landauslegungen stockten, die für das agricole Pro-
letariat einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten, etwa
wie heutzutage ein grossartiges und fest regulirtes Emigrations-
system es thun würde. Die schweren zum Theil unglücklichen
Kriege, die dadurch herbeigeführten unerschwinglichen Kriegs-
steuern und Frohnden thaten das Uebrige, um den Besitzer
entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht,
wenn auch nicht zum Sclaven seines Schuldherrn zu machen,
oder, was wohl das Gewöhnlichste wie das Verderblichste war,
ihn durch Ueberschuldung thatsächlich zum Zeitpächter seines
Gläubigers herabzudrücken. Die Capitalisten, denen hier ein
neues Gebiet einträglicher und mühe- und gefahrloser Specu-
lation sich eröffnete, liessen wohl regelmässig dem Bauer,
dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Hände
gab, den Namen des Eigenthümers und den factischen Besitz;
allein mochte damit für den Einzelnen der äusserste Ruin
abgewandt sein, so drohte dagegen diese precäre von der
Gnade des Gläubigers jederzeit abhängige Stellung des Bauern

ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
und gestattet haben, versteht sich; aber ebenso deutlich ist
es, daſs der Senat, seit er die finanzielle Verwaltung an sich
gerissen hatte, es nicht unter seiner Würde hielt die Gemein-
weide zunächst für sich, das heiſst für die Adlichen und für
die reichen in den Senat aufgenommenen Plebejer in An-
spruch zu nehmen und den kleinen Ackerbesitzer, der eben
die Weide am nöthigsten brauchte, in dem Mitgenuſs zu beein-
trächtigen. Es war ferner bisher ein Hutgeld erlegt worden,
das in den gemeinen Seckel fiel; die patricischen Quästoren
erhoben dasselbe säumig und nachsichtig und lieſsen allmäh-
lig es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn
durch Eroberung neue Domänen gewonnen worden, regel-
mäſsige Landauslegungen angeordnet, bei der alle ärmeren Bür-
ger und Insassen berücksichtigt wurden. Diese Assignationen
wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger
sie zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden
seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche
Occupationssystem, das heiſst die Ueberlassung der Domänen-
güter nicht zum Eigenthum oder zur Pacht, sondern zu un-
entgeltlicher jederzeit widerruflicher Sondernutzung an privi-
legirte Personen. So traf den mittleren und kleinen Grund-
besitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Bürgernutzungen
gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch daſs das
Hutgeld nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse floſs;
und die Landauslegungen stockten, die für das agricole Pro-
letariat einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten, etwa
wie heutzutage ein groſsartiges und fest regulirtes Emigrations-
system es thun würde. Die schweren zum Theil unglücklichen
Kriege, die dadurch herbeigeführten unerschwinglichen Kriegs-
steuern und Frohnden thaten das Uebrige, um den Besitzer
entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht,
wenn auch nicht zum Sclaven seines Schuldherrn zu machen,
oder, was wohl das Gewöhnlichste wie das Verderblichste war,
ihn durch Ueberschuldung thatsächlich zum Zeitpächter seines
Gläubigers herabzudrücken. Die Capitalisten, denen hier ein
neues Gebiet einträglicher und mühe- und gefahrloser Specu-
lation sich eröffnete, lieſsen wohl regelmäſsig dem Bauer,
dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Hände
gab, den Namen des Eigenthümers und den factischen Besitz;
allein mochte damit für den Einzelnen der äuſserste Ruin
abgewandt sein, so drohte dagegen diese precäre von der
Gnade des Gläubigers jederzeit abhängige Stellung des Bauern

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[172/0186] ZWEITES BUCH. KAPITEL II. und gestattet haben, versteht sich; aber ebenso deutlich ist es, daſs der Senat, seit er die finanzielle Verwaltung an sich gerissen hatte, es nicht unter seiner Würde hielt die Gemein- weide zunächst für sich, das heiſst für die Adlichen und für die reichen in den Senat aufgenommenen Plebejer in An- spruch zu nehmen und den kleinen Ackerbesitzer, der eben die Weide am nöthigsten brauchte, in dem Mitgenuſs zu beein- trächtigen. Es war ferner bisher ein Hutgeld erlegt worden, das in den gemeinen Seckel fiel; die patricischen Quästoren erhoben dasselbe säumig und nachsichtig und lieſsen allmäh- lig es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domänen gewonnen worden, regel- mäſsige Landauslegungen angeordnet, bei der alle ärmeren Bür- ger und Insassen berücksichtigt wurden. Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger sie zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche Occupationssystem, das heiſst die Ueberlassung der Domänen- güter nicht zum Eigenthum oder zur Pacht, sondern zu un- entgeltlicher jederzeit widerruflicher Sondernutzung an privi- legirte Personen. So traf den mittleren und kleinen Grund- besitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Bürgernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch daſs das Hutgeld nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse floſs; und die Landauslegungen stockten, die für das agricole Pro- letariat einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten, etwa wie heutzutage ein groſsartiges und fest regulirtes Emigrations- system es thun würde. Die schweren zum Theil unglücklichen Kriege, die dadurch herbeigeführten unerschwinglichen Kriegs- steuern und Frohnden thaten das Uebrige, um den Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sclaven seines Schuldherrn zu machen, oder, was wohl das Gewöhnlichste wie das Verderblichste war, ihn durch Ueberschuldung thatsächlich zum Zeitpächter seines Gläubigers herabzudrücken. Die Capitalisten, denen hier ein neues Gebiet einträglicher und mühe- und gefahrloser Specu- lation sich eröffnete, lieſsen wohl regelmäſsig dem Bauer, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Hände gab, den Namen des Eigenthümers und den factischen Besitz; allein mochte damit für den Einzelnen der äuſserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese precäre von der Gnade des Gläubigers jederzeit abhängige Stellung des Bauern

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/186>, abgerufen am 24.11.2024.