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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
leugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige
Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.

Der politischen Revolution folgte also alsbald eine sociale,
die der blinde Egoismus der neuen Machthaber muthwillig
heraufbeschwor. Jene setzen die zurechtgemachten Annalen
ins Jahr 244, diese in die Jahre 259 und 260; doch ist der
Zwischenraum unzweifelhaft bedeutend länger gewesen. Die
strenge Uebung des Schuldrechts -- so lautet die Erzählung
-- erregte die Erbitterung der ganzen Bauerschaft. Als im
Jahre 259 für einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veran-
staltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft dem Ge-
bot zu folgen, so dass der Consul Publius Servilius die Anwen-
dung der Schuldgesetze vorläufig suspendirte und sowohl die
schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl als
auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte. Die Bauern
stellten sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt
vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erfochten hatten,
ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungs-
loser Strenge wandte der zweite Consul Appius Claudius die
Creditgesetze an und der College, den die Soldaten anriefen,
wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Col-
legialität nicht zum Schutz des Volkes eingeführt, sondern zur
Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indess man
litt was nicht zu ändern war. Als aber im folgenden Jahr
sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Consuls nicht
mehr. Erst dem ernannten Dictator Manius Valerius fügten
sich die Bauern, theils aus Scheu vor der höhern Amtsgewalt,
theils im Vertrauen auf seinen populären Sinn -- die Valerier
waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment
ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfründe dünkte. Der
Sieg war wieder bei den römischen Feldzeichen; aber als die
Sieger heimkamen und der Dictator seine Reformvorschläge
dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnäckigen
Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen,
wie üblich, vor den Thoren der Stadt; als die Nachricht hin-
auskam, verliess es den Feldherrn und seine Lagerstatt und
zog, geführt von den Legionscommandanten, den plebejischen
Kriegstribunen, in militärischer Ordnung in die Gegend von
Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Hügel
besetzte und Miene machte in diesem fruchtbarsten Theil
des römischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu
gründen. Dieser Abmarsch, bei dem die Verzagten und

ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
leugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige
Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.

Der politischen Revolution folgte also alsbald eine sociale,
die der blinde Egoismus der neuen Machthaber muthwillig
heraufbeschwor. Jene setzen die zurechtgemachten Annalen
ins Jahr 244, diese in die Jahre 259 und 260; doch ist der
Zwischenraum unzweifelhaft bedeutend länger gewesen. Die
strenge Uebung des Schuldrechts — so lautet die Erzählung
— erregte die Erbitterung der ganzen Bauerschaft. Als im
Jahre 259 für einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veran-
staltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft dem Ge-
bot zu folgen, so daſs der Consul Publius Servilius die Anwen-
dung der Schuldgesetze vorläufig suspendirte und sowohl die
schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl als
auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte. Die Bauern
stellten sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt
vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erfochten hatten,
ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungs-
loser Strenge wandte der zweite Consul Appius Claudius die
Creditgesetze an und der College, den die Soldaten anriefen,
wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Col-
legialität nicht zum Schutz des Volkes eingeführt, sondern zur
Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indeſs man
litt was nicht zu ändern war. Als aber im folgenden Jahr
sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Consuls nicht
mehr. Erst dem ernannten Dictator Manius Valerius fügten
sich die Bauern, theils aus Scheu vor der höhern Amtsgewalt,
theils im Vertrauen auf seinen populären Sinn — die Valerier
waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment
ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfründe dünkte. Der
Sieg war wieder bei den römischen Feldzeichen; aber als die
Sieger heimkamen und der Dictator seine Reformvorschläge
dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnäckigen
Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen,
wie üblich, vor den Thoren der Stadt; als die Nachricht hin-
auskam, verlieſs es den Feldherrn und seine Lagerstatt und
zog, geführt von den Legionscommandanten, den plebejischen
Kriegstribunen, in militärischer Ordnung in die Gegend von
Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Hügel
besetzte und Miene machte in diesem fruchtbarsten Theil
des römischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu
gründen. Dieser Abmarsch, bei dem die Verzagten und

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[174/0188] ZWEITES BUCH. KAPITEL II. leugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader. Der politischen Revolution folgte also alsbald eine sociale, die der blinde Egoismus der neuen Machthaber muthwillig heraufbeschwor. Jene setzen die zurechtgemachten Annalen ins Jahr 244, diese in die Jahre 259 und 260; doch ist der Zwischenraum unzweifelhaft bedeutend länger gewesen. Die strenge Uebung des Schuldrechts — so lautet die Erzählung — erregte die Erbitterung der ganzen Bauerschaft. Als im Jahre 259 für einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veran- staltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft dem Ge- bot zu folgen, so daſs der Consul Publius Servilius die Anwen- dung der Schuldgesetze vorläufig suspendirte und sowohl die schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl als auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte. Die Bauern stellten sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erfochten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungs- loser Strenge wandte der zweite Consul Appius Claudius die Creditgesetze an und der College, den die Soldaten anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Col- legialität nicht zum Schutz des Volkes eingeführt, sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indeſs man litt was nicht zu ändern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Consuls nicht mehr. Erst dem ernannten Dictator Manius Valerius fügten sich die Bauern, theils aus Scheu vor der höhern Amtsgewalt, theils im Vertrauen auf seinen populären Sinn — die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfründe dünkte. Der Sieg war wieder bei den römischen Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Dictator seine Reformvorschläge dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnäckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie üblich, vor den Thoren der Stadt; als die Nachricht hin- auskam, verlieſs es den Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, geführt von den Legionscommandanten, den plebejischen Kriegstribunen, in militärischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Hügel besetzte und Miene machte in diesem fruchtbarsten Theil des römischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu gründen. Dieser Abmarsch, bei dem die Verzagten und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/188>, abgerufen am 21.11.2024.