Gleichgültigen durch den Corpsgeist und die geschlossene militärische Organisation waren fortgerissen worden, liess dem Senat keine Wahl als nachzugeben, zumal da auch den hart- näckigsten Pressern jetzt auf eine handgreifliche Art demon- strirt worden war, dass ein solcher Bürgerkrieg auch mit ökonomischem Ruin enden müsse. Der Dictator vermittelte das Verträgniss; die Bürger kehrten zurück in die Stadt- mauern; die äusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem ,den Grossen' (ma- ximus) und den Berg jenseit des Anio ,den heiligen'; es lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Lei- tung unter den zufällig gegebenen Feldherrn von der Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgeführten Revolution, an die das Volk gern und stolz sich erinnerte. Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der drückendsten Schuldnoth und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch Gründung verschiedener Colo- nien, brachte der Dictator verfassungsmässig ein Gesetz durch, welches er überdies noch, ohne Zweifel um den Bürgern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwören und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden ,Hausherren' (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patricischen Consuln fünf plebejische Tribunen zur Seite als eine von der consularischen völlig unabhängige und ihr coordinirte Gewalt, welche indess gegen das militäri- sche Imperium, das heisst gegen das der Dictatoren durchaus und gegen das der Consuln ausserhalb der Stadt, unwirksam ward. Doch fand keineswegs eine Theilung der Gewalten statt. Das Imperium, das Recht zu befehlen blieb den Con- suln ungeschmälert; dagegen erhielten die Tribunen theils das Recht jeden von einem Beamten erlassenen Befehl, durch den der betroffene Bürger sich verletzt hielt, durch ihren eingeleg- ten Protest zu vernichten, theils die Befugniss Criminalurtheile unbeschränkt auszusprechen und dieselben, wenn Provocation eingelegt ward, vor dem versammelten Volke zu vertheidigen; woran sich dann sehr bald das Recht der Tribunen anschloss überhaupt zum Volk zu reden und Beschlussfassung zu be- wirken. Kraft des ersten Rechtes konnten sie dem Militär-
VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
Gleichgültigen durch den Corpsgeist und die geschlossene militärische Organisation waren fortgerissen worden, lieſs dem Senat keine Wahl als nachzugeben, zumal da auch den hart- näckigsten Pressern jetzt auf eine handgreifliche Art demon- strirt worden war, daſs ein solcher Bürgerkrieg auch mit ökonomischem Ruin enden müsse. Der Dictator vermittelte das Verträgniſs; die Bürger kehrten zurück in die Stadt- mauern; die äuſserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem ‚den Groſsen‘ (ma- ximus) und den Berg jenseit des Anio ‚den heiligen‘; es lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Lei- tung unter den zufällig gegebenen Feldherrn von der Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergieſsen durchgeführten Revolution, an die das Volk gern und stolz sich erinnerte. Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
Auſser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der drückendsten Schuldnoth und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch Gründung verschiedener Colo- nien, brachte der Dictator verfassungsmäſsig ein Gesetz durch, welches er überdies noch, ohne Zweifel um den Bürgern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwören und sodann in einem Gotteshause niederlegen lieſs unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden ‚Hausherren‘ (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patricischen Consuln fünf plebejische Tribunen zur Seite als eine von der consularischen völlig unabhängige und ihr coordinirte Gewalt, welche indeſs gegen das militäri- sche Imperium, das heiſst gegen das der Dictatoren durchaus und gegen das der Consuln auſserhalb der Stadt, unwirksam ward. Doch fand keineswegs eine Theilung der Gewalten statt. Das Imperium, das Recht zu befehlen blieb den Con- suln ungeschmälert; dagegen erhielten die Tribunen theils das Recht jeden von einem Beamten erlassenen Befehl, durch den der betroffene Bürger sich verletzt hielt, durch ihren eingeleg- ten Protest zu vernichten, theils die Befugniſs Criminalurtheile unbeschränkt auszusprechen und dieselben, wenn Provocation eingelegt ward, vor dem versammelten Volke zu vertheidigen; woran sich dann sehr bald das Recht der Tribunen anschloſs überhaupt zum Volk zu reden und Beschluſsfassung zu be- wirken. Kraft des ersten Rechtes konnten sie dem Militär-
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VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
Gleichgültigen durch den Corpsgeist und die geschlossene
militärische Organisation waren fortgerissen worden, lieſs dem
Senat keine Wahl als nachzugeben, zumal da auch den hart-
näckigsten Pressern jetzt auf eine handgreifliche Art demon-
strirt worden war, daſs ein solcher Bürgerkrieg auch mit
ökonomischem Ruin enden müsse. Der Dictator vermittelte
das Verträgniſs; die Bürger kehrten zurück in die Stadt-
mauern; die äuſserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das
Volk nannte den Manius Valerius seitdem ‚den Groſsen‘ (ma-
ximus) und den Berg jenseit des Anio ‚den heiligen‘; es lag
etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Lei-
tung unter den zufällig gegebenen Feldherrn von der Menge
selbst begonnenen und ohne Blutvergieſsen durchgeführten
Revolution, an die das Volk gern und stolz sich erinnerte.
Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte;
ihr entsprang das Volkstribunat.
Auſser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur
Abstellung der drückendsten Schuldnoth und zur Versorgung
einer Anzahl Landleute durch Gründung verschiedener Colo-
nien, brachte der Dictator verfassungsmäſsig ein Gesetz durch,
welches er überdies noch, ohne Zweifel um den Bürgern
wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern,
von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwören und sodann
in einem Gotteshause niederlegen lieſs unter Aufsicht und
Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter
Beamten, der beiden ‚Hausherren‘ (aediles). Dies Gesetz
stellte den zwei patricischen Consuln fünf plebejische Tribunen
zur Seite als eine von der consularischen völlig unabhängige
und ihr coordinirte Gewalt, welche indeſs gegen das militäri-
sche Imperium, das heiſst gegen das der Dictatoren durchaus
und gegen das der Consuln auſserhalb der Stadt, unwirksam
ward. Doch fand keineswegs eine Theilung der Gewalten
statt. Das Imperium, das Recht zu befehlen blieb den Con-
suln ungeschmälert; dagegen erhielten die Tribunen theils das
Recht jeden von einem Beamten erlassenen Befehl, durch den
der betroffene Bürger sich verletzt hielt, durch ihren eingeleg-
ten Protest zu vernichten, theils die Befugniſs Criminalurtheile
unbeschränkt auszusprechen und dieselben, wenn Provocation
eingelegt ward, vor dem versammelten Volke zu vertheidigen;
woran sich dann sehr bald das Recht der Tribunen anschloſs
überhaupt zum Volk zu reden und Beschluſsfassung zu be-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/189>, abgerufen am 21.11.2024.
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